Tilgung 7.1

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Unter meinen Synthetikklamotten schmiegte sich der Anzug, den mir Captain Lover nachgeschickt hatte, eng an meinen Körper. Auch wenn ich den Helden spielen sollte, war ich nicht lebensmüde. Er behinderte mich nicht in meiner Bewegungsfreiheit, deswegen konnte ich Ruiz überzeugen, dass ich ihn bei dieser Übung tragen durfte.

Meine Bewaffnung war bestenfalls minimalistisch. Ich hatte einen Dolch aus der Schmiede der Siedlung dabei, der in etwa der Länge der Waffe des Schlitzers entsprach. Da wir seinen Namen nicht kannten und ich in die schweren Metallstiefel eines Helden schlüpfen sollte, hatten wir auf Moritz' Drängen hin beschlossen, unseren Gegnern auch Namen zu geben. Das machte ihm verdächtig viel Spaß, allem und jedem Namen zu geben.

Neben dem Messer trug ich eine primitive Laserpistole bei mir, die aber nur Energie für ein paar Schuss besaß, für den Fall, dass ich noch jemand anderem außer dem Schlitzer begegnete. Moritz hatte mir außerdem eine Datenbrille für den Anzug gebastelt, so musste ich nicht immer mit einem geschlossenen Auge rumlaufen, um meine Umgebungsdaten abzurufen. Ich war mir sicher, dass sich das noch auszahlen würde, spätestens, wenn ich durch die nächste Tür laufen wollte, ohne mir den Kopf zu stoßen. Befehle konnte ich immer noch über den Handschuh geben, falls ich im Kampf kein Wort herausbekam, um den Anzug anzusteuern.

Mit dem Gefühl, wenigstens halbwegs vorbereitet zu sein, ging ich entlang der Barrikaden durch den Teil der Kuppel, den Ruiz Siedler noch nicht für sich eingenommen hatten. Eine schwache Blutspur zeigte mir den Weg, aus dem Peterson gekommen sein musste.

Ein Schatten huschte an mir vorbei und kam zwei Meter vor mir zu Stehen. Kein Feind, sondern eine Riesenratte. Auch hier hausten diese garstigen Viecher. Sie richtete sich auf den Hinterbeinen auf und ging mir in dieser Haltung bis zu den Knien. Dann winkte sie mit einer der Vorderpfoten und lief mir voraus.

Ich war nicht allein. Klara hatte mich im Auge. Auf der anderen Seite der Mauer würde auch Sergej warten. Weit genug entfernt, dass er dem Schlitzer nicht auffallen würde. Falls etwas schief ging, würde er mir zur Hilfe eilen. Einfach über den Zaun springen, oder hindurchlaufen, wenn die Dorfbewohner ihm inzwischen schon genug auf die Nerven gegangen waren. Moritz und seine neue Flamme waren nicht mit von der Partie. Sie kümmerten sich um irgendetwas Wichtigeres, ohne genau zu erklären, um was es sich dabei handelte. Ich konnte es mir vorstellen und fragte mich, wann ich das Heldendasein hinter mir lassen konnte, um selbst einmal sesshaft zu werden. Die Zeit war so an mir vorbeigeflogen und in unserem Kampf, nicht entdeckt zu werden, hatte sich dafür nie eine Gelegenheit geboten. Wenigstens war das eine wunderbare Ausrede, warum ich immer noch Single war.

Je weiter ich kam, desto spärlicher wurde die Beleuchtung. Erst waren nur einzelne Lampen defekt, was wegen des Lichts, das immer noch über die Barrikaden fiel, kaum einen Unterschied machte. Doch dann bewegte sich die Blutspur von der Mauer weg, hinein in die Dunkelheit. Weswegen hatte sich Peterson bloß von der Mauer wegbewegt? Er musste doch wissen, dass das schief gehen würde. Ich folgte dem Blut, bis das Licht nach ein paar Metern so schwach war, dass die Spur zwischen den Grashalmen nicht mehr zu erkennen war.

Ein warnendes Quieken vor mir ließ mich die Kampfhaltung einnehmen, wie sie mir Ruiz beigebracht hatte. Darauf konzentrierte ich mich, damit die Nervosität nicht die Überhand gewann. Als das Quieken erstarb, wusste ich, dass es jetzt losgehen würde. Ich atmete ruhig und konzentrierte mein Gehör auf die Umgebung.

Da! Ein Rascheln!

Er war leise. Barfuß und im Gras waren seine Schritte kaum zu hören und es fiel mir schwer, zu schätzen, wie weit er wirklich entfernt war. Ich tippte mir an die Brille. Selbst wenn meine Augen versagten, dem Infrarotmodus meiner Brille konnte er nicht entgehen. Ich wusste, dass er die Dunkelheit liebte, den Angriff aus dem Verborgenen, und hatte mich darauf vorbereitet. Das war alles im Bereich des Erlaubten. Ich sollte schließlich meine Kampfkünste unter Beweis stellen und nicht meine nicht existenten Katzenaugen.

HypothermieWo Geschichten leben. Entdecke jetzt