Eis 1.6

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Fenster sind des Einbrechers Freund. So viel hatte ich seit letzter Nacht gelernt.

Die Fenster auf den Geschäftsetagen waren vergittert, die Besitzer des Fitnessstudios hingegen machten sich scheinbar weniger Sorgen um unerwünschte Besucher. Kein Hindernis für Sergejs Eisenstange. Wir stiegen ein, bewaffneten uns im Inneren mit Feueraxt und Feuerlöscher und verließen das Fitnessstudio durch einen Notausgang ins Treppenhaus.

"Wenn ich mal wieder den Schlüssel zu meiner Wohnung vergesse, rufe ich einfach dich", scherzte ich, während Sergej mit der Axt auf die Tür zum Hauptbereich der Geschäftsetagen einschlug. Griff und Schloss splitterten und nach einem Tritt schwang die Tür auf.

Mit einem nervtötenden Heulen startete die Alarmanlage und wir zuckten kollektiv zusammen.

"Mist", fluchte Sergej.

"Keine Sorgen", beruhigte ich ihn und mich. "Die Polizei wird schon nicht anrücken, bei all dem Schnee."

"Das Geräusch ist trotzdem unerträglich."

Wenn ich ehrlich war, widerstrebte es mir etwas, die Läden auszurauben. Im Moment mochte zwar ein Ausnahmezustand gelten, irgendwann würde der aber wieder vorbei sein. Und die Gesetze waren ja trotzdem nicht aufgehoben. Ich konnte nur hoffen, dass es keine Kameras gab. Das fiel mir jetzt vielleicht etwas spät ein, aber ich zog die Kapuze meiner Winterjacke über und betete, dass das ausreichte, um mein Gesicht gegen das fahle Licht abzuschirmen, das durch die Seitenfenster in die Hallen des Einkaufscenters fiel.

"Wohin müssen wir?", fragte die Ärztin.

Ich kaufte hier gelegentlich ein und rief mir den Aufbau in Erinnerung. Im Untergeschoss gab es einen kleinen Supermarkt, das Sportgeschäft erstreckte sich auf der einen Seite über drei Etagen. Ein Buchladen nahm einen Großteil der restlichen dritten Etage ein. Ein Friseur, ein Handyladen, mehrere Bäcker und Cafés sowie ein Tabakladen waren dazwischen verteilt. Und Klamottenläden. Natürlich in der gewohnten Verteilung Damen zu Herren von 100 zu 1. Die Geschäfte waren an den Außenwänden angesiedelt, in der Mitte befanden sich Rolltreppen und Sitzbereiche, die zu den Bäckereien und Cafés gehörten.

"Ich würde sagen, wir besuchen erst das Sportgeschäft und, weil mein Magen knurrt, danach den Supermarkt." Die letzte Portion Ravioli war nun schon eine Weile her und fast so schlimm, wie zu erfrieren, war, zu verhungern. Zwischendurch wäre auch ein Besuch auf der Toilette angesagt, wenn wir schon einen Abstecher in die Zivilisation machten. Den kündigte ich aber nicht groß an.

Sergej zuckte mit den Schultern, die Ärztin sah leicht genervt aus, weil wir sie immer noch nicht auf dem Weg zum Zylinder war, aber das war mir egal und ich ging voran.

Mit einer unglaublichen Routine schlug Sergej das Schaufenster des Sportladens ein und löste direkt die nächste Alarmanlage aus.

Die Ärztin hielt sich die Ohren zu und versuchte, den Lärm zu übertönen. "Gott, mach so weiter und ich bin bald taub."

"Schau mal dort, Sergej." Ich zeigte auf der Innenseite über die Tür. Auch er entdeckte den kleinen Lautsprecher und ließ ihn mit einem weiteren Hieb verstummen. Jetzt verfolgte uns nur noch das gedämpfte Jaulen aus dem Eingangsbereich.

Mit der Taschenlampenfunktion unserer Smartphones arbeiteten wir uns durch den Laden. Nach und nach suchten wir uns alles zusammen, was uns nützlich erschien. Ein großer Rucksack. Seile, Kletterhaken, Gürtel und Karabiner. Schneeanzüge. So konnte ich meine hässliche Schneehose endlich austauschen. Die würde ich draußen, voller Genugtuung, in einem Mülleimer verschwinden lassen. Eine Schneebrille mit verstellbarem Lichtfilter packte ich auch ein. Durch meine Arbeit im Büro waren meine Augen lichtempfindlich geworden. Strahlender Sonnenschein und reflektierender Schnee? Eine tödliche Kombination!

HypothermieWo Geschichten leben. Entdecke jetzt