Befreiung 8.5

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Der Griff des Tores entglitt El Robo. Seine Finger rutschten an der Tür hinab und die Kamerabilder des Anzugs flackerten bei jeder Unebenheit auf, über die sie strichen. Schließlich blieb der Zeigefinger an einem Vorsprung hängen und die Bilder stabilisierten sich wieder. Ich war zu schwach, um den Anzug zu bewegen. Konnte mich einfach nicht mehr auf die Befehle konzentrieren, die ich ihm geben musste. Jetzt war ich nicht mehr, als ein stummer Zuschauer, gefangen in den Kameras. Wie war es möglich gewesen, dass ich im Koma bis zum Eiszombie vorgedrungen war, jetzt aber nicht mehr tun konnte, als zu zuschauen? Doch das Tor war geöffnet und die Kameras liefen. Die Kavallerie war eingetroffen und würde sich um den Rest kümmern.

Würde sie das? Schaffte Sergej den Rest ohne meine Hilfe? Ich bäumte mich gegen die Hilflosigkeit auf, aber mir ging es nicht anders als einem normalen Menschen, der davon träumte, eine Kaffeetasse allein mit seinen Gedanken zu sich hinzubewegen. Es blieb nur ein Traum.

Sergej schlug nochmal zu und ließ einen Eishagel auf die Majorin niedergehen, die einen Satz zurück machte, direkt neben mich. Wenn ich mich nur bewegen könnte, hätte ich sie gepackt. Ich schrie, dass er aufpassen solle, weil sie gefährlich war, doch nicht einmal an die Lautsprecher kam ich heran. Er sprang durch die Öffnung und war auf sich allein gestellt.

Während Sergej noch in der Luft war, bildete sich zu ihren Füßen bereits der Schaft einer Eislanze, die sicher auf das Herz meines Freundes zielte. Ich hätte den Atem angehalten, ob er das auch sah, doch da war nichts als gefühllose Logik, die sich fragte, was passieren würde, wenn die Lanze wuchs und er landete.

Die Majorin schrie und trat zu. Ein Eisklumpen flog von ihr davon und ohne ihre gepanzerten Sik-Stiefel hätte sie sich sicher die Zehen gebrochen. Durch die Schicht des Eises blickten einer meiner Kameras die erstarrten Augen einer Riesenratte entgegen. Sie hatte ihr Leben gegeben, um Sergej ein ähnliches Schicksal zu ersparen wie mir. Ganz freiwillig hatte sie sich nicht geopfert, das war mir klar, und obwohl es Unmengen an Ratten gab, trauerte Klara sicher auch um diese eine.

Diese Ablenkung verschaffte Sergej genug Zeit, um in unserer Eishöhle zu landen. Er sah wirklich übel aus. Kratzer und Furchen durchzogen sein Gesicht, seine Klamotten hingen an Brust und Arm in roten Fetzen an ihm herab. Seine Prothese war verbeult und ein dunkelroter Streifen durchzog den freigelegten biologischen Arm. Die Wasserzombies waren nicht zimperlich mit ihm umgesprungen. Dass er hier auftauchte, musste bedeuten, dass sie ein schlimmeres Schicksal ereilt hatte.

Sergej grub seine metallenen Finger in die Wand aus Eis, schleuderte seiner Widersacherin einen Hagel glitzernder Brocken und Splitter entgegen und riss seinen Kopf beiseite. Die Spitze eines Eisspeers riss eine weitere Furche in sein Gesicht. Er zertrümmerte den Speer und wich zur Seite aus, rannte ein paar Schritte entlang der Wand. Die Majorin bewegte sich in entgegengesetzter Richtung und blieb auf Abstand.

Sie standen sich immer noch gegenüber, Sergej jetzt neben El Robo und die Majorin neben dem Loch, das er in ihre Wand gerissen hatte. Sein Blick sprang von ihr zum abgebrochenen Speer, der ihn treffen sollte, hin zu dem, er sich in meinen Rücken bohrte, dann wieder zu ihr. Er hatte verstanden, was hier los war, dass sie der Grund für das Eis war. Das hoffte ich zumindest. Sie hingegen sah an uns vorbei, hin zum sich öffnenden Tor.

"Was gewinnt ihr damit, dass ihr das Tor öffnet?", schrie sie ihm entgegen und mir. "Dort draußen ist nichts von Bedeutung. Nichts! Keine Zivilisation, kein Leben! Ich bin die letzte Vetis auf diesem Planeten und die Menschen in der Zitadelle sind ebenfalls die Letzten ihrer Art. Wollt ihr sie hinaus in den Tod schicken und eure eigene Spezies auslöschen?"

Ich versuchte erneut, die Lautsprecher in Gang zu bringen, aber es ging einfach nicht. Sergej antwortete an meiner Stelle.

"Gefahr? Dass ich nicht lache." Er spuckte einen Klumpen Blut aus. "Dort draußen herrscht keine Gefahr. Es ist sicherer als hier. Keine Zombies, die von verdammten Eis-Aliens auf uns gehetzt werden."

HypothermieWo Geschichten leben. Entdecke jetzt