Zwischenspiel 5

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Das Gebrüll der Rekruten ging ihm gewaltig auf die Nerven. Sie versuchten, etwas Ordnung in die Evakuierung des Ratsbereichs zu bringen, und die Betonung lag auf versuchen. Aber das war ein Abbild der allgemein schlechten Organisation des Sicherheitskorps an sich. Es wurde von fetten Offizieren aus der Oberwelt geleitet und rekrutierte seinen Nachschub fast ausschließlich aus den Reihen verwöhnter Bengel derselben Schicht.

Eigentlich stand es jedem Bürger aus jedem Teil der Zitadelle frei, dem Sicherheitskorps beizutreten. Doch die Plätze waren limitiert und da eine Laufbahn im Sicherheitskorps mit einem gewissen Prestige einherging, selbst in den unteren Dienstgraden, war Bestechung in den Reihen der Rekrutierer an der Tagesordnung. Und es war wohl keine Frage, wer die meisten Ressourcen hatte, um sie zu bestechen.

Die Reformen, die er im Sinn hatte, wurden von den restlichen Ratsmitgliedern abgelehnt. Selbst nachdem sich die Überfälle auf ihre Ressourcen und Lager gehäuft hatten. Diese Neuwahlen hätten eine Chance sein können, sie unter dem Blick der gesamten Bevölkerung durchzuboxen. Wenn es dafür jetzt nicht schon zu spät war.

Aber die Sache hatte auch etwas Gutes. Ratsmitglied Thulius konnte sich nicht erinnern, wann sein Leben in den letzten Jahren so aufregend gewesen war wie heute. Erst ein Anschlag, dem er nur knapp entkommen war. Andere hatten weniger Glück gehabt. Dieser Assistent, dessen Name ihm entfallen war.

Auf der Flucht wurde er mit Geistern seiner Vergangenheit konfrontiert. Moritz, der behauptete, sein Bruder zu sein. Für ihn lag das ein ganzes Leben lang zurück, aber der junge Mann sprudelte vor Informationen aus dieser Zeit, an die Thulius sich bestenfalls noch vage erinnerte.

Schließlich wurde auch noch der Ratsbereich angegriffen und sie evakuierten ihn mit Hunderten anderer Ratsbediensteter, die ununterbrochen jammerten und damit dem würdevollen Bild des Rates keinesfalls einen Gefallen taten. Dank seiner Bodyguards musste er sich nicht durch all diese niederen Beamten quetschen. In ihrem Fahrwasser folgten ihnen sein kleiner Bruder und dessen mürrischer Begleiter. Vielleicht war auch er der Grund, warum alle mit riesigen Augen auf Abstand gingen.

Deswegen war er der Erste, der im Bereich des Sicherheitskorps ankam und er sicherte sich gleich ein Büro. Sein temporäres, persönliches Hauptquartier. Es war auch keiner da, der hätte protestieren können.

Er ließ sich zufrieden in den Sessel irgendeines unbekannten Majors fallen und genoss die Stille, die eintrat, als sich die Türen des Büros schlossen. Moritz schnappte sich den Stuhl gegenüber, drehte die Lehne nach vorn und setzte sich. Er legte die Unterarme darauf ab und sah ihn mit erwartungsvollem Blick an. Der Kerl mit der Armprothese ließ sich in einen dritten Bürosessel plumpsen, legte die Beine hoch und räumte mit seinen Stiefeln den gesamten Schreibtisch frei. Der Lärm, den die herunterfallenden Büroutensilien machten, ließ Thulius aufschrecken, aber der Schläger ignorierte den finsteren Blick, den er ihm zuwarf. Die beiden Leibwächter hatten sich – mit respektvollem Abstand - in den Ecken des Raums hinter ihm positioniert.

"Kannst du dich noch daran erinnern, wie wir als Kinder die Flagge des Sicherheitskorps vom Stützpunkt in unserer Etage geklaut haben, um sie für unser Geheimversteck zu benutzen? Ich sehe das jetzt plötzlich direkt vor Augen. So viele Bruchstücke tauchen auf, die endlich einen Sinn ergeben", schoss es aus Moritz hervor.

So ging es schon die ganze Zeit. Immer wieder fiel ihm plötzlich etwas Neues ein. Aber daran konnte sich Thulius tatsächlich noch erinnern. Auch an den Ärger, den sie danach bekommen hatten. Er seufzte.

"Ja, ich kann mich auch an den alten Offizier mit dem gezwirbelten Schnurrbart erinnern, der uns anschließend eine Standpauke über die Würde dieses Symbols gehalten hatte und dass er uns an die Eiswölfe verfüttern würde, falls sich so etwas jemals wiederholen sollte."

HypothermieWo Geschichten leben. Entdecke jetzt