Schock 6.3

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Es war nicht nur ein Tunnel, der den Ring mit dem Hauptkomplex verband. Es mussten Dutzende sein. Wahrscheinlich waren sie über den ganzen Ring verteilt. Wir hatten beschlossen, dem verwahrlosten Kerl zu folgen, damit wir eingreifen konnten, falls er auf einen unserer Freunde traf. Dabei waren wir an einigen Räumen vorbeigekommen, die dem ähnelten, in dem ich angekommen war. Keiner enthielt Anzeichen dafür, dass dort kürzlich ein Gefangener angekommen war oder ein Kampf stattgefunden hatte. Schließlich erreichten wir einen Raum, der kein Tor auf der Tunnelseite mehr hatte, sondern einen Gang, der in die entgegengesetzte Richtung führte, noch weiter weg von der Zitadelle.

Wenn wir doch nur eine Karte gehabt hätten, am besten mit ausführlichen Erklärungen, wozu welche Räume dienten. Hatten wir vielleicht eine?

"Pass mal kurz auf, ich gehe die Infokarten in meinem Paket durch, mit etwas Glück ist da ein Lageplan des Rings mit dabei", kündigte ich an, als ich mich im Schneidersitz auf den Boden herabließ.

"Ich passe die ganze Zeit auf, keine Sorge", brummte Sergej zur Antwort.

Es befanden sich wirklich viel Informationen auf den Karten. Tagebücher, Statistiken und Zusammenfassungen von Ratssitzungen. Ich fragte mich, warum der Captain mir gerade diese Daten hatte zukommen lassen. Eine Karte fiel mir durch ihre besondere Machart ins Auge. Schwarz, mit goldenem Rand und dem goldenen Schriftzug 'Testament'.

Ich las die Daten mit dem Handschuh aus. Das Testament war von Thulius und bereits einige Jahre alt und sah die Weitergabe seines Besitzes, speziell aber einer Menge gesammelter Informationen vor, die er selbst als geheim eingestuft hatte. Am Schluss gab es einen neueren Eintrag, auf den Tag des Angriffs der Reformer datiert.

'Addendum:

Sehr geehrter Captain Lover,

Ich schätze die Dienste, die Sie in unserer Sache geleistet haben. Da ich das unbestimmte Gefühl habe, dass ich den heutigen Tag nicht überleben werde, habe ich die Version meines Testamentes, die speziell an Sie weitergeleitet wird, geändert.

Ich habe heute meinen Bruder wiedergetroffen, der mir vor Jahren genommen und vor mir versteckt gehalten wurde. Ich bitte Sie, ihn und seine Freunde zu unterstützen und ihnen die größtmögliche Hilfe auf der Suche nach der Wahrheit zukommen zu lassen. Diese Daten können einen Teil, wenn auch wahrscheinlich nur einen kleinen, dazu beitragen.

Hochachtungsvoll,

Thulius'

Ich dankte dem Captain in Gedanken für die Daten, verfluchte ihn aber gleichzeitig, weil er nicht verhindert hatte, dass wir hier gelandet waren. Ich hoffte nur, dass wir Moritz noch finden würden, damit auch er von dem Wissen profitierte, das ich in meinen Händen hielt.

Ich suchte weiter und fand schließlich ein Datenpaket, welches Baupläne zum Ring enthielt. Das war besser als nichts. Sie zeigte, welche Bereiche der Zitadelle sich an den Tunnelenden befinden sollten, von denen es tatsächlich mehr als erwartet gab. Damit konnte ich in etwa abschätzen, wo wir uns befanden.

Der Ring war laut den Bauplänen nicht als Gefängnis gedacht. Viel mehr als Forschungsstation. Ein Außenposten, mit Schleusen und Klimaräumen, um die Wechselwirkung neuartiger Entwicklungen, sowie modifizierte Pflanzen und Tiere mit der Außenwelt zu testen. Ich las die Durchnummerierung für verschiedene Biotope, die miteinander verbunden werden konnten, um einen Kreislauf zu bilden, der sich um den gesamten Turm zog. Das weckte eine kurze Erinnerung an den Zylinder und was am Ende dessen Kreislaufes tatsächlich gestanden hatte. Ein Schauer lief mir den Rücken hinab. Ich fand aber keinen Hinweis auf den Plänen, die auf eine Terraformerkammer oder Ähnliches hinwiesen.

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