Befreiung 8.0

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Es klang, als hätte jemand einen Eimer Wasser auf die glühenden Kohlen eines Lagerfeuers geschüttet, als die Luft zwischen den beiden Verbindungsstücken des Helms entwich. Auch wenn ich das Anlegen des Anzuges schon einige Male durchlebt hatte, lief mir bei diesem Geräusch jedes Mal ein Kribbeln den Rücken hinunter. Eine Mischung aus Erinnerung an unbeschwertere Tage und der Angst, dass die Luft dieses Mal an der falschen Stelle abgepumpt wurde und ich in einem Sarg mit Armen und Beinen erstickte.

Ich nahm einen tiefen Atemzug, der meine Nase mit dem Geruch frischer Autopolsterung füllte, schloss die Augen und sah die Umgebung durch El Robos Außenkameras. Statusanzeigen, Gefahrenerkennung, Personenidentifizierung. Tausend Informationen erschienen auf einmal vor meinem inneren Auge. Ich hatte keine Probleme, sie einzuordnen und blitzschnell auf sie zu reagieren. Das war mir schon bei den ersten Übungen leicht gefallen. Viel leichter, als ich es erwartet hatte. Das einzig Befremdliche war die Wahrnehmung der anderen Menschen. Wenn ich sie ansah, fühlte ich mich wie ein Fremder, ein ferner Beobachter oder ganz als wäre ich tatsächlich der Anzug und nicht der Mensch in seinem Inneren.

Vor mir ragte eines der grauen Tore auf, die zur Zitadelle führten. Im mittleren Bereich hatten wir welche gefunden, die größer waren, als jenes, durch das ich hier angekommen war. Das besaß nur eine Höhe von zwei Metern und ich hätte mich schwergetan, darin zu laufen, ohne mir ständig den Kopf anzustoßen. Dieses Tor hatte einen Durchmesser von drei Metern, also würde auch der Kleinbus hindurchpassen, den wir uns von der Sethlan-Enklave geborgt hatten. Geborgt war ein wirklich großzügig ausgelegter Begriff, denn ich zweifelte daran, dass sie ihn heil zurückbekommen würden.

Die letzten Tage hatte ich mich aufgewärmt, indem ich auch die letzten Verbrecher im Ring zusammengetrieben hatte. Dass Cass unsere Abenteuer aufzeichnete, hatte uns diesmal wirklich geholfen, denn so leisteten sie kaum noch Widerstand. Jetzt konnten wir sicher sein, dass zumindest bei unserer Abreise nichts Unvorhergesehenes mehr geschah. Außerdem fiel es der Enklave leichter, auf ihren Bus zu verzichten.

Hinter mir bestiegen meine Freunde das gepanzerte Ungetüm. Sergej öffnete die Fahrertür, aber mit so viel Schwung, dass ich schon Angst bekam, dass er sie abreißen würde. Ich wusste nicht, wie lange er vor dem Einfrieren gefahren war, aber obwohl das vielleicht schon hundert Jahre zurücklag, war er doch der Einzige von ihnen, der überhaupt jemals hinter einem Steuer gesessen hatte. Er ließ sich in den Fahrersitz fallen und der Bus wackelte bedrohlich, dann zog er die Tür genauso schwungvoll zu, wie er sie geöffnet hatte. Das tat mir schon beim Zuschauen weh.

Klara machte es sich auf dem Beifahrersitz bequem und wartete mit dem Schließen der Tür, bis ihre drei Ratten in den Fußraum gehüpft waren. Moritz und Cass würden für die Rückendeckung sorgen. Auf dem Dach befand sich eine Microgun aus der Voreiszeit, eine fiese Gatling-Kanone, bei der Querschläger garantiert waren. Sie war der inoffizielle Grund, warum wir den Bus panzern mussten, aber sie würde uns helfen, den Weg in die Außenwelt freizuschießen. Daneben war ein Energiefeldgenerator montiert, mit dem wir, in derselben Weise wie Annadora, ein Kraftfeld aufbauen würden, während Brutus und ich das Tor öffneten.

Wenn der Zitadelle die Siks ausgingen, würden die Vetis hoffentlich selbst auftauchen. Das war zumindest unsere Theorie. Es widerstrebte mir zwar, dass wir damit Werkzeuge des Eiszombies waren und seinen ursprünglichen Auftrag ausführten. Das Motiv, die Menschen der Zitadelle in die Freiheit zu führen oder ihnen wenigstens die Wahl zu geben, wo sie leben wollten, war trotzdem richtig. Und weil wir nicht wussten, was die Vetis mit den Menschen im Inneren wirklich vorhatten, musste es einfach getan werden. Am Ende gab es in der Zitadelle auch einen Terraformer, der diesmal nicht mit Dinos, sondern mit Menschen gefüttert wurde. Nach all dem, was wir erlebt hatten, war ja alles möglich.

Neben dem Gedanken, was die Vetis vorhaben könnten, gab es eine andere Sache, die mich beunruhigte. Ich hatte mich in den letzten Tagen verändert. Wenn ich vorher Hemmungen gehabt hatte, Menschen zu verletzten, fiel mir das, sobald ich in El Robo kletterte, immer leichter. Die Verletzungen, die ich den Verbrechern zufügte, waren nichts anderes als Statistiken. Ich musste nur darauf achten, dass ich sie nicht zu stark verletzte, dass unser MedCenter sie nicht wieder zusammenflicken konnte. Die Kämpfe waren zudem keine Herausforderung mehr für mich. Anders als gegen den Schlitzer, sah ich mein Leben kein einziges Mal in Gefahr. Vielleicht hatte das Feuer neben den Hautschichten auch einen Teil meines Einfühlungsvermögens weggebrannt. Oder ich war tief in meinem Inneren zu der Ansicht gekommen, dass es einfach Menschen oder Wesen gab, die so abgrundtief böse waren, dass ihnen nicht friedvoll beizukommen war. Ich konnte nicht genau greifen, was es war, aber der Gedanke war erschreckend.

HypothermieWo Geschichten leben. Entdecke jetzt