Zwischenspiel 1b

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Dr. Alexandra Pfaff lehnte gelassen an der Wand und beobachtete, wie sich der letzte der Glasbehälter öffnete. Der russische Junge stieg heraus. Vollkommen nackt.

"Fang!", rief sie ihm zu und sie warf ihm ein Bündel Klamotten zu. Die Sachen, die er unter seinem Schneeanzug getragen hatte.

Sie waren alle nackt gewesen, aber sie hatte das Glück gehabt, als Erste aus ihrem Behälter aussteigen zu können. So musste sie sich nicht den Blicken der anderen stellen. Ihm wollte sie die Peinlichkeit ersparen, verwirrt und nackt durch den Raum zu irren, auf der Suche nach seinen Anziehsachen.

Er fing sie beiläufig mit dem linken Arm, der offenbar nicht mehr aus Fleisch und Blut zu bestehen schien. War das eine Art Metall?

"Was ist hier los?" Er musterte sie und fügte dann hinzu: "Könnten Sie aufhören, mich so anzustarren?"

Sie warf noch einen letzten Blick auf seinen gut gebauten und durchtrainierten Körper, dann wandte sie sich ab und sah wieder zu den anderen Behältern.

"Wir wurden alle einem Gift ausgesetzt, als ihr die Tür zum Zylinder geschlossen habt. In diesen Behältern wurde uns ein Antidot verpasst und wir wurden immunisiert, um überleben zu können. Es ist offenbar Bestandteil der Raumatmosphäre hier drinnen."

Das schien aber nicht die einzige Veränderung gewesen zu sein, die an ihm vorgenommen wurde. Was war mit ihm in diesem Behälter geschehen? Dr. Pfaff nahm das tragbare Analysegerät und richtete es auf seinen Arm. Es begann wild zu piepen und ploppend erschienen diverse Erklärungen, Zusammensetzung und Funktion des Arms. Das waren zu viele Informationen und nicht gerade ihr Fachgebiet. Aber es war ein künstlicher Arm, der mit dem Rest seines Körpers verwachsen war. Sie fand es außerordentlich erstaunlich, dass so etwas möglich war.

"Was ist das alles?", fragte Sergej, während er sich einen Pullover überstülpte.

"Ein Labor", erklärte sie beiläufig und studierte weiter die Details auf dem Analysegerät. "Im Bauch eines Raumschiffes."

Es herrschte einen Moment Stille, bis am Rande ihres Wahrnehmungsbereichs Sergejs Kopf aus dem Pulli auftauchte. "Ein - Raum – schiff? Das klingt verrückt."

Sie nickte, löste ihren Blick vom Analysegerät und musterte wieder die Behälter. Den, aus dem sie gestiegen war. Während ihrer Zeit darin hatte sie Zugriff auf die Logbücher dieses Schiffes. So erstaunlich das klang, der Zylinder war in Wirklichkeit ein Raumschiff. Oder es handelte sich um eine ziemlich beeindruckende Attrappe und all das war nicht mehr als ein perfekt inszenierter Streich. Verwüstung und Eis sprachen natürlich dagegen. Es fiel ihr nicht schwer, an die Geschichte des Raumschiffes zu glauben. In ihrer Jugend war sie ein leidenschaftlicher Trekkie gewesen und hatte wohl immer darauf gehofft, einmal außerirdischem Leben zu begegnen.

Eine Fehlfunktion hatte das Raumschiff zur Notlandung gezwungen und die Wände der Segmente, die sich in die Erde gebohrt hatten, waren dabei beschädigt worden. Diese Segmente beherbergten Tiere, die nach erster Panik entkommen waren.

Das alles hier war nicht nur ein einfaches Raumschiff, sondern eine riesige außerirdische Arche. Woher sie kam und wohin sie eigentlich unterwegs war, hatte Dr. Pfaff nicht verstanden. Ein Notprogramm wurde aktiviert, um das Klima so zu verändern, damit die Tiere darin überleben würden. Deswegen all der Schnee. Das Überleben der Menschen, die davon betroffen waren, genoss nur geringe Priorität. Als das Notprogramm sie registrierte, war es außerdem schon zu spät.

Die Lösung des Problems schien einfach. Die Tiere mussten zurück in die Arche, der Schaden behoben und das Schiff wieder gestartet werden. Danach würde hier alles wieder zum Alten zurückkehren. Nun, nicht ganz. Sie würde dann diejenige sein, die das alles ermöglicht hatte. Mit ihrem neugewonnen Wissen und ihrem Können. Das würde honoriert werden, da hatte sie keine Zweifel. Neue Wege würden sich öffnen und sie konnte dieses Nest hinter sich lassen, zusammen mit dem Krankenhaus, das ohnehin dem Untergang geweiht war.

Wenn sie das richtig analysiert hatte, ließ sich im Schiff alles finden, das man für diese Mission brauchte. Alle anderen hier im Raum waren ebenfalls Ressourcen, die sie dafür einsetzen konnte. Der Russe schien im Behälter widerstandsfähiger geworden zu sein. Ein Mann fürs Grobe. Der andere Kerl schien bereits vorher eine gewisse Technikaffinität besessen zu haben und das Schiff hatte ihm ein neues Spielzeug gegeben, um diese in ungeahnte Bahnen zu lenken. Was mit dem Mädchen geschehen war, konnte sie nicht sagen, genauso wie bei dem blonden Jungen, der stumm in der Ecke saß. Sie waren Kinder und wahrscheinlich zu jung, um dem Schiff von Nutzen zu sein.

Jeder von ihnen war jetzt immun gegen die Krankheiten, die von den Tieren übertragen wurden, und es gab Waffen zur Betäubung. Sie hatten zwar keinen effektiven Schutz gegen Klauen und Zähne, doch ein verlorenes Körperteil schien nicht das Ende zu sein, wie man an Sergej sehen konnte. Was nicht bedeutete, dass sie sich selbst den Wölfen zum Fraß vorwerfen würde. Die Rolle der Helden überließ sie den Männern.

Sie ging weiter das Logbuch durch und wechselte in die medizinische Datenbank. Vielleicht gab es ja noch mehr, das ihnen von Nutzen sein konnte. Oder etwas, das man aus diesem Abenteuer, bevor das Raumschiff wieder verschwand, gewinnbringend mitnehmen konnte.

Sie würde jede Chance nutzen und ihre Stellung festigen, bevor sich das Spielfeld wieder änderte.

HypothermieWo Geschichten leben. Entdecke jetzt