Nachspiel 1

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So viele Jahre war er nicht mehr hier gewesen. Nun betrat er diesen Ort als alter Mann. Es kam ihm so vor, als sei es das verheißene Land, auf das er in seiner Jugend einen flüchtigen Blick werfen durfte, aber nie betreten. Zu schwer lastete die Schuld auf allen in der Zitadelle.

Am Anfang ihrer Reise lag noch Schnee. Bedeckte den Boden, so weit das Auge reichte. Dabei war es nicht einmal besonders kalt. Sobald sie aber den Rand des Tals erreicht und den Kamm des Hangs erklommen hatten, blickten sie auf einen grünen Teppich hinab. In weiter Ferne ragte die Spitze eines Turmes aus einem anderen Tal. Dazwischen streckten fremdartige Wesen ihre langen Hälse neugierig zwischen den Baumkronen hervor und beobachteten den zusammengewürfelten Erkundungstrupp. Er wusste nicht, was das für Tiere waren, doch es waren auch andere Fragen, die ihn neben dem Staunen beschäftigten.

Héctor Ruiz überlegte, was seine Siedler hier anpflanzen konnten und welchen Ort sie dafür am besten auswählen sollten. Ob sie den Ring endgültig verlassen würden? Bis es hier eine Infrastruktur gab, eher nicht. Die Zitadelle würde mit ihrer Technik und dem gewohnten Komfort immer noch den Mittelpunkt ihrer neuen Zivilisation bilden, auch wenn sich die Menschen nach und nach von ihr lösen würden. Schließlich stand ihnen jetzt die ganze Welt offen.

Neben ihm streckte sich Numbaka, deckte seine Augen mit der Hand gegen die Sonne ab, die gerade durch die Wolken brach, und lächelte. Nach der Nachricht, dass seine Verbannung aufgehoben war, hatte sich sein Zustand erheblich verbessert. Nachdem er erfahren hatte, dass er als ehemaliger Schrotti mit dem ersten Erkundungstrupp in die Außenwelt aufbrechen sollte, kam er ihm jetzt sogar zwanzig Jahre jünger vor. Ruiz stimmte in das Lächeln ein, bis es abrupt erstarb.

Neben der Aussicht auf ein neues Leben hier draußen, begleitet sie immer auch das traurige Wissen, dass dies nicht ohne Opfer möglich gewesen war. Seine Enkeltochter war gestorben. Die verdammte Hypothermieabteilung konnte sie nicht zurückholen. Oder sie wollte es nicht. Jetzt lag sie auf O4 und würde ihren Weg in den Kreislauf der Zitadelle finden. Wenn er das Zeitliche segnete, starb die Linie seiner Familie mit ihm. Kein Ruiz, der irgendwann einmal El Robo tragen und zu neuen Abenteuern aufbrechen würde. Mit dieser Expedition würde er sich ein letztes Denkmal setzen und so würde ihr Familienname wenigstens als Randnotiz in den Geschichtsbüchern fortleben.

Auch Daniel hatte die Öffnung des Tores nicht überlebt. Er war bereits in einem kritischen Zustand, als die Meds ihn erreichten. Über Kontakte hatte Ruiz erfahren, dass sie alles versucht hatten, um ihn zurückzuholen. Nicht, um ihn zu retten, sondern weil sie nicht nachvollziehen konnten, was er mit dem Netzwerk der Zitadelle angestellt hatte. Vieles davon konnten sie selbst nicht mehr rückgängig machen. Aber er kam nicht zurück. Sein Körper blieb leblos. Hinter vorgehaltener Hand munkelten einige, dass sein Geist jetzt durch die Datenkanäle spukte, denn der von ihm erschaffene Medienkanal hört nicht auf, die Einsätze seiner Freunde zu verfolgen und auszustrahlen.

Ruiz glaubte nicht an Übernatürliches. Wenn die Zitadelle von einem imaginären Geist heimgesucht wurde, konnte ihm das egal sein. Wenn er erst einmal hier draußen Fuß gefasst hatte, würde sie nicht mehr als eine Ferne unliebsame Erinnerung sein.

Er verlangsamte seinen Schritt, um nicht mit seinem Vordermann zusammenzustoßen. Ihr Trupp bestand aus sieben Menschen. Numbaka und Luc, einem weiteren Schrotti aus der alten Zeit, und er, der das Sicherheitskorps von damals vertrat, sie bildeten den Kern. Leute, die diese Welt bereits kannten.

Numbaka hämmerte neben ihm auf das verrostete NavPanel in seiner Hand. Leute, die sich hier nicht nur auskannten, sondern auch mit der antiken Navigationstechnologie umgehen konnten. Irgendwie jedenfalls.

Nun, bald würde es neue Systeme geben, die mit den neuesten Medienpanels kompatibel oder direkt in die Anzüge der Siks integriert waren. Dann konnte die junge Generation sich alleine hinaustrauen, ohne dass die Alten ihnen Händchen halten mussten.

HypothermieWo Geschichten leben. Entdecke jetzt