Kapitel 40♚

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Noch nie in meinem Leben hatte ich so ein schönes Kleid an.
Wie eine zweite Haut schmiegt sich der schimmernde dunkle Stoff an meinem Körper entlang und endet fließend an meinen Knöcheln.
Ein Beinschlitz führt an meiner rechten Seite entlang und entblößt beim sitzen meinen halben rechten Oberschenkel.
Sanft spüre ich das leichte Ziehen an meiner Kopfhaut, als meine Mutter die letzten Handgriffe meiner Hochsteckfrisur tätigt.

Im Augenwinkel kann ich Linn erkennen, die mich bis jetzt kein einziges Mal angesehen hat.
Das schlechte Gewissen, es Light gesagt zu haben, will sich jedoch nach wie vor nicht melden.
Auch wenn sie mir jetzt sauer ist.
Er hätte es früher oder später sowieso erfahren.
Auch jetzt, wo ich sie betrachten kann, sehe ich, dass meine kleine Schwester schon viel älter als fünfzehn aussieht. Und das ist sie auch im Inneren.
Eine Kämpfernatur.
Wenn sie an meiner Stelle wäre, hätte sie die ganze Situation ganz anders bewältigt.

„Fertig", ertönt die sanfte Stimme meiner Mutter und ihre Hand verweilt einen Augenblick an meiner Schulter. Ich schrecke aus meinen Gedanken auf.
„Danke", sage ich und betrachte mich im Spiegel.
Mittlerweile brauche ich nicht einmal mehr blaue Kontaktlinsen, da sich meine Augenfarbe wieder normalisiert hat. Über dieses Ereignis, vor ein paar Wochen in meinem Zimmer, denke ich auch heute noch kaum nach.
Etwas in mir wehrt sich strickt dagegen aber ein anderer Teil will mehr wissen.

Mehr über die Kälte, die sich in meinen Adern bewegt wie mein eigen Blut.

Als ich Linn ansehe, bemerke ich ihre zusammengepressten Lippen. Das macht sie immer, wenn sie wütend ist.
Mum schenkt ihr einen langen Blick und dann wandern ihre Augen vielsagend in meine Richtung.
„Was auch immer da ist. Bring es in Ordnung", sagt sie in meine Richtung und verschwindet, um sich ebenfalls in Schale zu werfen.

Ich seufze.
„Du siehst gut aus", sage ich in die Stille hinein und kratze mich am Nacken, der mir plötzlich irre juckt.

„Das eine Mal sah ich aus wie jemand frisch vom Kloster und das darauf wie eine Melone ohne Kerne und kaum bin ich sauer auf dich und schon sehe ich gut aus?", erwidert sie und ich bin glücklich, dass sie kein Feuer speien kann.
Denn dann wäre ich sicherlich jetzt nur noch ein Stück Kohle.

„Also wenn du so die Stirn in Falten legst, siehst du sicherlich nicht gut aus", versuche ich sie aus der Reserve zu locken. Und kaum zu glauben- Linn zeigt eine Regung in ihrem Gesicht und blickt sich in den Spiegel.

„Scheiße. Du hast ja recht", stellt sie bestürzt fest und glättet sich mit ihren Fingerspitzen die Stirn.
Was auch immer das helfen mag.

Lachend stehe ich auf und gehe ein paar wenige Schritte in ihre Richtung.
„Jetzt mal im Ernst. Das Kleid sieht bezaubernd an dir aus. Lass uns heute einen schönen Abend haben und ein paar Schlösser knacken", winsle ich herum und lege einer ihrer rot gelockten Haarsträhnen hinter der zierlichen Schulter.
Ihr Kleid ist dunkelblau.

Tadelnd schüttelt sie schließlich den Kopf.
„Danke", erwidert sie.
„Light tut übrigens so, als könnte ich sein Kind sein. Dabei sind es nur 4 Jahre, die zwischen uns liegen."

Wenn Linn mir verzeiht kommt es mir immer so vor, als würde der tonnenschwere Stein, der bis eben noch auf mich zugerollt kam, plötzlich die Richtung wechseln.
Ich würde nie wissen wollen, was passieren würde, wenn der Stein mich irgendwann mal wirklich erwischen würde.

„Theoretisch gesehen könnte er ja dein Daddy sein", sage ich und lächle sie durch den Spiegel vielsagend entgegen.

Empört reißt Linn den Mund auf.
„Biestig nennt man das, meine Liebe."

Wolfsmond - Geheimnis der Legende Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt