Kapitel 24♚

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Die Stille ist ohrenbetäubend, als wir uns an einen der Sitzplätze der Bibliothek nieder lassen.
Der runde Tisch, der in unserer Mitte steht, ist voller aufgeschlagener Bücher, die derjenige liegen gelassen hat, der zuletzt hier saß.
Als ich mich auf einen der Stühle setze, spüre ich wie sofort der Sitzplatz unter mir zu gefrieren beginnt.

Linn, die zu meiner Rechten sitzt, wirft mir einen fast schon warnenden Blick zu. Ich spüre was sie mir damit sagen will; reiß dich zusammen.
Tief durchatmend dränge ich die Kälte stattdessen in meine Beine. Denn irgendwo muss sie hin, wenn ich nichts habe auf dessen ich sie entladen kann.
Ich verschränke meine Hände ineinander und blicke auf zu Light, der links von mir sitzt.

„Nun gut", Light lehnt sich auf seinen Platz zurück und verschränkt die Arme vor seiner Brust.
"Fangen wir von Anfang an. Kaddee, wieso hast du den Rubin denn überhaupt gestohlen?"
Interessiert heften sich nun seine Augen in meine. Ich versuche meinen Blick geschlossen zu halten und schenke ihn stattdessen ein Lächeln, auf das Linn sicherlich stolz ist.

„Das hier wird kein Verhör", stelle ich fest und meine Stimme klingt genauso wie ich sie haben wollte. Fest und bestimmt. Ich lehne mich nach vorne.

Jasper, der gegenüber mir Platz genommen hat nickt zustimmend.
„Sie hat recht. Wir sind nicht gegeneinander-„, er lehnt seine Ellenbogen auf seine Knie und sieht dabei um einiges besser aus als sein Bruder. In diesem Moment taxiert er Light.
„-wir wollen nicht nur Aron retten, sondern ebenfalls den Rubin zerstören."

„Aron retten?", mischt sich nun Linn das erste mal in dieses Gespräch ein. Und nicht nur sie ist hellhörig geworden.
Ich lehne mich noch etwas vor, um ja nichts von diesem Gespräch zu verpassen.

„Falls es euch noch nicht aufgefallen ist, meine Süßen. Unser Vater ist ein bisschen.. angeknackst. Und das alleine nur wegen diesem Ding an deinem Hals", sagt Light und beobachtet kurz den Rubin, der nach wie vor an mir hängt.

„Wir sind nicht deine Süßen", ertönt Linn's Stimme aufgebracht neben meinem Ohr. Ich verdrehe die Augen und sage schnell: „Erzählt uns mehr."
Doch Light schüttelt mit zusammengepressten Lippen den Kopf.
Ein ironisches Lächeln erscheint auf seinen Lippen und das verheißt nichts gutes.

„Nein, so läuft das hier nicht. Ihr könnt keine Brotkrumen streuen und dann verlangen, dass wir euch gleich unser gesamtes Brot geben."

Ich schnaufe genervt auf.
„Wir sind hier nicht bei Hänsel und Gretel, Light", rutscht es mir sogleich über die Lippen.
Dann beiße ich mir auf die Innenseite meiner Wange, als mich alle plötzlich anschauen. Mein Ton war doch genervter als beabsichtig.

Ich hatte wirklich nicht damit gerechnet, dass eine einfache Konversation so nervenaufreibend sein kann. Das alles hatte ich mir viel leichter und nicht ganz so anstrengend vorgestellt.
Ich hebe meinen Blick und begegne den von Jasper.
Seine Augen glitzern belustigt und ich spüre, dass meine Wangen beginnen sich rot zu verfärben.

Dann blicke ich Linn an, in der Hoffnung sie würde diese Situation retten und das Gespräch endlich voran treiben. Dabei spüre ich den Blick von Jasper deutlich auf mir.
„Okay Jungs, dann hier mal die Zusammenfassung: Warum Kaddee den Rubin genommen hat tut nichts zur Sache. Fakt ist, dass er Wünsche erfüllen kann. Deswegen wollen wir ihn zerstören. Niemand soll so viel Macht besitzen. Mehr gibt es nicht zu erzählen."

Bestätigend nicke ich, als Linn fertig ist.
Erleichtert über diese simple und einfache Zusammenfassung atme ich tief aus.
Ich hatte garnicht gemerkt, dass ich die Luft angehalten hatte.

„Wem von euch beiden wurden die Wünsche erfüllt?", ertönt Jasper seine Stimme nach ein paar Sekunden der Ruhe. Sie klingt tief und scheint zu vibrieren.

„Mir", sage ich. Sogleich fliegen wieder aller Augen auf mich und ich versuche meinen Kopf erhoben zu lassen.
Eine steile Falte erscheint zwischen Jasper's Augenbrauen als er mich mustert.

„Wie viele Wünsche?", fragt er.
Verwirrt über seine Frage runzle ich meine Stirn.

Ich denke über die vielen Male nach, als ich mir etwas gewünscht habe. Sei es nur am Anfang, als ich mir die ganze Nacht das Licht an uns aus gewünscht habe. Einfach nur um es zu begreifen. Ich zucke mit meinem Schultern.
„Ich weiß nicht recht. Über Zwanzig auf jeden Fall."

Die Stille nach diesem Satz macht mich unsicher. Ich sehe, wie Jasper sich zurück in seinen Sessel fallen lässt und mich ungläubig betrachtet. Light dagegen wird kalkweiß im Gesicht und seine sonst so große Klappe ist wie verschwunden.
Unsicher blicke ich zu Linn, die ebenfalls nicht wirklich schlau aus dieser Sache zu werden scheint.

Light schnaubt ungläubig.
„Aron ist bereits nach drei Wünschen vollkommen paranoid geworden. Er hat aufgehört gut zu schlafen und klar zu denken. Wie kann es sein, das es dir scheinbar pudelwohl geht und du sogar den Rubin mit bloßer Hand berühren kannst?
Aron konnte ihn nur von der Halterungen der Drachenstatue aus betrachten", sagt er und taxiert mich mit einem Blick, der mehr als nur fassungslos ist.

Abwehrend hebe ich meine Hände.
„Das.. das wusste ich nicht. Was passiert, wenn man sich etwas wünscht?", frage ich. Der wage Gedanke kommt mir, das das alles nur an meiner Kälte liegt.
Ich bin so wie jeder andere Mensch und das einzige, was mich von ihnen unterscheidet ist meine Kälte.

Das kann also nur der einzige Grund sein, warum der Rubin anders bei mir reagiert.
Vielleicht ist das, was ich mein Leben lang einen Fluch nannte, jetzt ein Schutzschild für mich.
Ein Fluch und ein Segen zugleich.

Jasper fährt sich scheinbar gestresst durch das lockige Haar und antwortet;
„Bei jedem Wusch zieht der Rubin Lebensenergie in sich. Erst wird man verrückt und irgendwann besteht man nicht mehr. Man hört auf zu existieren und zurück bleibt eine leere Hülle."
Linn ihr Mund verformt sich zu einem stillen ‚O' und ich presse meine Kiefer aufeinander.
Dieser Rubin stammt aus Zeiten, die furchtbar lang her sind und wie kann es sein, dass er immer noch da ist? Wenn er so viel anrichten kann?
Wie kann es sein, dass niemand es geschafft hat ihn zu beseitigen?

Es kommt mir so vor, als würde uns Jasper eine kurze Pause zum nachdenken geben, bevor er weiter redet.
„Mädels, dieser Rubin..", er zeigt mit einem Kopfnicken in meine Richtung, „-hat ein Eigenleben. Er erfüllt nur von Menschen die Wünsche, die er sich aussucht. Und dabei saugt er alles in sich auf, was Menschen brauchen, um zu leben."

Ich schlucke den Kloß in meinem Hals schwerfällig hinunter.
Deswegen konnte Linn sich nichts von dem Rubin wünschen. Weil er es nicht wollte.
Doch scheinbar hat er mich ausgewählt. Gänsehaut durchfährt meinen ganzen Körper.
Die unmittelbare Frage kommt mir, wie viel Schaden dieser Rubin bereits angerichtet haben muss. 
Wie viel Leben er schon genommen hat.
Wie vielen Menschen er bereit war, Wünsche zu erfüllen.

„Wie können wir ihn zerstören?", ertönt Linn ihre Stimme. Sie klingt eigenartig hohl und ich hoffe innerlich, dass sich das wieder ändert. Sie ist diejenige, die immer einen klaren Kopf bewahrt und weiß was zutun ist. Doch jetzt ist es anders.

Light zuckt mit den Schultern. „Das ist dann wohl der spaßige Teil der Geschichte."
Ein nicht so überzeugendes Lächeln erscheint auf seinen Lippen.

Und zu diesem Zeitpunkt bin ich mir sehr sicher, dass das alles andere als spaßig wird.

„Du bist doch gut im Einbrechen und Dinge zu nehmen, die dir nicht gehören. Oder irre ich mich da?", fragt Jasper und ich schaue in seine Richtung, als mir klar wird, dass er mit mir redet.

Ich begegne seine tiefen Augen und nehme mir einen Moment um seine Wimpern zu betrachten, bevor ich den Rubin in die Hand nehme und leicht anhebe.
„Sag du es mir", erwidere ich mit zuckersüßem Lächeln.

Wolfsmond - Geheimnis der Legende Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt