Kapitel 50♚

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„Linn!", rufe ich lautstark aus, während wir nach rechts in den Gang abbiegen.
Jasper, der neben mir läuft, scannt ebenfalls die Umgebung ab. Doch hier in diesem Teil des Hauses ist absolute Totenstille. Keine Anzeichen mehr eines Balls. Keine Menschen. Keine Möglichkeit zu fliehen.
„Ich glaube, wir sollten in der anderen Richtung weitersuchen", spreche ich meinen Gedanken laut aus, blicke ihn jedoch nicht dabei an.
Das er nun so viel von meinen Geheimnissen weiß verunsichert mich so stark, das ich mich kaum traue weiter darüber zu sprechen um nicht noch mehr zu verratenen.
Alles in mir schreit danach, dieser Situation zu entschwinden.

„Hast du dich vorhin verletzt?", fragt er stattdessen und ignoriert meine Aussage. Jasper berührt meinen Oberarm und ich verziehe leicht das Gesicht bei dem Gedanken, wie mein Körper der Länge nach am Boden gelandet ist, als Aron meinen Knöchel gepackt hat.
„Sicherlich nicht so wie du", erwidere ich und deute bedeutungsvoll auf seine Nase unter der immer noch Blut von Aron's schlag klebt. Bereits jetzt sehe ich, wie seine rechte Gesichtshälfte anschwillt.

„Und außerdem habe ich Verletzungen nie lange."
Schluckend gucke ich zu Boden und lasse die restliche Erklärung in der Luft hängen.
Ich spüre, wie er mich neugierig anguckt.

„Du interessierst und faszinierend mich gleichermaßen."
Als ich diese sachlichen Worte neben mir höre und seinen Blick auf mir spüre, bleibe ich abrupt stehen. Schon wieder dieses Wort.
Faszinierend.
Als ich ihn ansehe, realisiere ich, das er es ernst meint. Kein amüsiertes funkeln in den Augen.
„Oh.. ich-„
„Das etwas an dir anders ist, merkt man offensichtlich. Zumindest alle in der Schule. Beinahe jeden Tag habe ich von irgendwelchen Leuten in der Schule deinen Namen gehört, bevor ich dich überhaupt gesehen oder ein Wort mit dir gewechselt habe. Ich war gespannt, dich endlich mal zu sehen."

Er wendet sich mir ganz zu und ich ziehe meine Augenbrauen zusammen.
„Und als du mich dann gesehen hast", deute ich lachend an und denke daran zurück, wie ich einen Ball an den Kopf bekommen und fast in seinen Schoß gefallen wäre.
Jasper muss ebenfalls lachen und fasst sich im nächsten Moment in die Haare.
Ich wende mich ihm ebenfalls komplett zu und beobachte, wie er beinahe verlegen zu Boden blickt.
„Was ist denn?", frage ich, weil ich merke, dass etwas unausgesprochenes in der Luft liegt.

„Naja, also eigentlich habe ich dich schon früher entdeckt. Ich war wohl zu neugierig", erwidert er schulterzuckend
Oh mein Gott.
Oh mein Gott.

„D-das kommt nicht von mir. Es ist die Magie weißt du", fange ich langsam an. Das Bedürfnis ihm die Wahrheit zu sagen ist zu groß. Es scheint mir, als würde ich mich mit fremden Federn schmücken. Und das will ich mir nicht antun.
„So wie die Meere vom Mond angezogen werden, ziehe ich die Menschen in meiner Umgebung an mit meiner Magie. Das bin nie ich selber."
Dieses Geständnis zu machen kostest mich Kraft aber andererseits fühlt es sich gut an.
Den ich war mutig.

„Du irrst dich."
Seine Stimme klingt fest und ohne jeglichen Zweifel. Unsere Blicke treffen sich und ich sehe in seinen Augen eine tiefe Dunkelheit. Fast bodenlos und ich weiß nicht wieso, doch ein Teil von mir will ihm so sehr glauben das es weh tut.
Ich halte seinem Blick stand und sage ihm mit meinen Augen das er derjenige ist, der sich irrt.
Denn ich werde nie gut genug sein.

„Ich habe noch nie jemanden kennengelernt, der so mutig ist wie du. Dein Geheimnis. Du hast es Aron einfach verraten und dich selber in Gefahr gebracht, um das des Mondwolfes zu beschützen. Und das warst du alleine. Nicht deine Magie."
Seine Stimme klingt so überzeugt, dass ich erstmal einen Moment brauche, um zu realisieren, was er eben gesagt hat.
Ich öffne schließlich den Mund, um etwas zu erwidern doch ein lautes Kichern lässt mich erschrocken innehalten.

„Das war Linn", spreche ich gleich den ersten Gedanken aus, der mir in den Sinn kommt.
Jasper's Gesicht verschließt sich innerhalb eines Augenblicks und er geht wenige große Schritte, um um die nächste Ecke schauen zu können.
Dann bleibt er abrupt stehen.
Einen kurzen Moment später hole ich ihn ein und bleibe dann ebenfalls wie vom Blitz getroffen stehen, als ich die Situation vor mir erfasse.

Meine kleine Schwester und Light.
Wild knutschend an der Wand.

„Verdammt Linn?!", rufe ich aus, während Jasper ohne ein Wort zu sagen dasteht.
Beide preschen auseinander.
Linn wischt sich über die Lippen und Light streicht vergeblich sein durchwühltes Haar glatt.
Geschockt blicke ich zwischen den beiden hin und her.
Was sich gerade hier abgespielt hat, haben wir überdeutlich gesehen. Vollkommen überflüssig sich jetzt auch noch um das Aussehen zu bemühen.

„Sag mal, was habt ihr den getrieben?", ist das erste, was Light sagt mit nur einen Blick auf Jaspers verletztes Gesicht.
„Scheinst wohl nicht so viel Glück gehabt zu haben", lachend schaut er mich an und nickt mir anerkennend zu.
Linn haut ihm warnend in die Schulter und er zuckt unschuldig mit den Schultern. Dabei weiß ich genau, dass meine Schwester sich auch am liebsten ins Fäustchen lachen würde bei dem blöden Witz.

Ich rümpfe meine Nase und währe ihm schon längst wütend ins Gesicht gesprungen, wenn Jasper nicht beruhigend eine Hand an meinen Rücken gelegt hätte, so als hätte er gemerkt, wie sich mein Körper auf die Lauer legt.
Ich schlucke meine aufbrausenden Gefühle herunter und versuche mich auf das wesentliche zu konzentrieren; was zur Hölle bei den beiden passiert ist, als Jasper und ich gefühlt um unser Leben kämpfen mussten.
„Was ist-", meine Worte bleiben unausgesprochen in der Luft hängen.

Geschockt weiten sich meine Augen, als ich panische Schreie durch die Flur hallen höre.

Alarmiert blicke ich mich um, doch kann niemanden ausmachen. Und doch verstummen die Stimmen nicht.
Ich höre dumpfe Geräusche, als würde etwas umfliegen und daraufhin weitere Schreie. Panisch. Hilfe flehend.

„Der Ball", schieß es geschockt aus Light seinem Mund und innerhalb weniger Momente laufen wir alle in die gleiche Richtung.
Desto näher wir dem Ballsaal kommen, desto lauter und präsenter hallen die Hilferufe durch die Flure. Mit jedem Schritt den ich tue werden sie weniger.

Gänsehaut umfängt meinen Körper voller Erwartung, als wir um die letzte Ecke laufen und die geschlossene Türe des Saales vorfinden. Eine böse Vorahnung überkommt mich.

Und dann verstummen alle Geräusche. Wir bleiben abrupt stehen.
Keine Schreie mehr. Kein mucks.
Die plötzliche Stille schleicht durch die Flure in unsere Richtung und umgibt meinen Körper unheilvoll. Ich schlucke.
Keiner von uns wagt es ein Wort zu sagen, geschweige denn weiter zu gehen.
Jasper ist der einzige, der sich aus seiner Starre löst und die letzten Meter zur Tür überwindet.
Mit zielsicheren Bewegungen greift er nach der Klinge und schiebt beide Türen mit Schwung auf und gibt uns allen freien Blick auf das Bild, das sich vor uns ergibt.

Erschrocken schnappe ich nach Luft. Auch wenn ich vollkommen geschockt bin, merke ich dennoch, wie Light sich die Hände vor dem Mund schlägt und Linn sich schutzsuchend an seine Seite schmiegt.
Jasper tritt einen kleinen Schritt zurück.

Überall das reinste Chaos.

Stühle, Tische und Kerzenständer liegen verteilt am Boden. Tischdecken und der Teppich voller Essen oder rotem Wein.
Doch dieses Durcheinander ist nicht das wesentliche, dass uns so schockt.
Sondern die ganzen Menschen, die ohne Regung verteilt am Boden liegen.
Ein Meer aus Anzügen und Kleidern verschiedener Farben.
Auf dem Boden, halb auf den Tischen liegend.
Überall Gäste die sich nicht mehr bewegen.

„Was um alles in der Welt ist hier passiert?", stellt Jasper die eine Frage, die gerade jedem von uns auf der Zunge liegt.

Wolfsmond - Geheimnis der Legende Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt