Kapitel 44♚

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Ich spüre in der Dunkelheit nur eines: seine Lippen, die sich langsam meinen nähern.
Mir stockt der Atem.
Fast schon spüre ich die Berührung, doch er zögert. Bleibt still. Direkt vor dem Kuss.
Sein warmer Atem vermischt sich mit meinem eiskalten und ich frage mich unwillkürlich; kann das funktionieren? Mit so vielen Gegensätzen? So vielen Abgründen zwischen uns?

Eine dunkle Leinwand hat sich von allen Seiten um uns herum gelegt und ich spüre Wärme wie Watte. Überall um mich herum scheint sie zu schleichen und jede Zelle meines Körpers fühlt sich vibrierend an. Und alles fokussiert sich auf eines- ihn.
Elektrisch. Wie aufgeladen.

Seine Lippen berühren nur federleicht meine und etwas in meiner Brust explodiert.
Ich spüre, wie sein Atem schneller wird.
Er hält inne. Immer noch zögernd.
Er denkt, er tut etwas falsches. Das muss es sein.
Dabei sind es nur seine Gefühle, die plötzlich aus den dunklen Ecken gekrochen kommen. Es sind welche, von denen er noch garnicht wusste, das sie überhaupt existieren.

Das stelle ich mir zumindest vor, als ich mutig flüstere; „Du zögerst ja."
Ich schlucke. "Du darfst doch nicht zögern in einer Welt wie unserer. Du darfst niemals.."

Ich weiß nicht, ob er mich küsst oder ich ihn. Der Kuss hat nichts von dem, was erste Küsse ausmacht.
Keine Vorsicht und kein Zögern mehr.
Und sanft und zärtlich? Es ist das Gegenteil. Dieser Kuss schmeckt wie eine Entscheidung. Eine unüberlegte und wilde Entscheidung.
Vielleicht aus den falschen Gründen getroffen, aber dennoch unausweichlich im hier und jetzt. Und was zählt schon außer dem hier und jetzt, in einer Welt, in der jeder falsche Schritt dein letzter sein kann?

Drängend pressen sich unsere Lippen aufeinander und mein Kopf stößt mit einem leisen dumpfen Geräusch an die Wand hinter mir. Meine Knie werden ganz weich und ich bin heilfroh über die großen Hände, die sich an meiner Taille klammern. Wärme durchzuckt jeden Winkel meines Körpers und ich kralle meine Finger automatisch in seinen Nacken. Dabei weiß ich nicht einmal mehr, wie diese dort gelandet sind.
Ich spüre seine Locken an meinen Fingern.
Weich kringeln sie sich an meiner Haut.

Mir entpuppt ein leises seufzen und es wäre mir peinlich gewesen, wenn die Reaktion von Jasper nicht so gewesen wäre. Er drängt mich weiter gegen die Wand und unsere Lippen hungern gierig nacheinander.
Noch nie in meinem Leben habe ich so intensive Momente erlebt.
Meine Hände gleiten zu seiner Brust und seine verschwinden von meinen Seiten und landen stattdessen federweich an meinem Gesicht und Hals.

Und plötzlich wird es heiß.
Siedend heiße Hitze entspringt dem Rubin und ich schreie vor Schmerz auf und kippe seitlich hinab, als dieser sich in meine Haut frisst und ich das Gefühl habe, sie verbrennt meinen gesamten Hals. Jasper seine Hände verlassen mein Gesicht.
„Kaddee", ertönt seine erschrockene Stimme direkt vor mir.
Ich sehe jedoch nichts weiter als Dunkelheit und fühle nichts anderes als diesen Schmerz.
Es ist, als hätte mich jemand ganz kalt von einem schönen Traum geweckt.

All meine warmen Gefühle laufen gegen eine steinharte Wand und bleiben dort stehen, während ich weitergehe und der ganze andere Mist an mir hängen bleibt.
Schmerz, Panik, Angst.. Wut.

„Die Kette!", keuche ich panisch als ich meine Stimme wieder finde und stütze mich mit meiner Hand an der Wand ab.
Er muss es riechen.
Geruch von verbrannter Haut liegt in der Luft und Jasper zögert keine Sekunde mehr und tastet nach meinen Schultern.

Plötzlich geschieht alles ganz schnell.
Während ich wie gelähmt den Schmerz spüre und spüre und kaum damit klar komme, greift er nach dem Rubin und reißt ihn mir von meinem Hals.
„Scheiße!", höre ich ihn schmerzerfüllt eine Sekunde später schreien eher er den Anhänger samt Kette zu Boden fallen lässt.

Wolfsmond - Geheimnis der Legende Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt