Kapitel 26♚

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Als ich die Türe in den Schulflur aufstoße und hineingehe, höre ich, wie ein paar laufende Gespräche abrupt stoppen.
Um mich herum wird es leiser, als ich mit gesenktem Kopf durch die vielen Schülern gehe. Dieses eine Gefühl, dass mich immer wieder beschleicht, wenn ich durch Menschenmengen gehe, kommt auch jetzt.

Ich spüre die Magie an meinen Fingerspitzen pulsieren und der Rubin an meinem Hals schenkt mir nur eine kaum bemerkbare Wärme.
Auch wenn dieses Gefühl zwischen all meinen Gedanken kaum wahrnehmbar ist, weiß ich dennoch, dass jede Aufmerksamkeit nur wegen meiner Kälte auf mich fällt. Und das der Rubin nicht einmal das bessern kann.

Leise seufzend betrete ich die Mensa und erblicke sogleich meinen freien Tisch.
Auch hier wird der Trubel der Mittagspause deutlich leiser und es scheint, als würde kurz die Zeit stehenbleiben, ehe sie anders als vorher weiterläuft.
Mit ein paar wenigen Schritten bin ich an meinem Platz und lasse mich darauf fallen.

Tief atme ich aus.
Mein Blick wandert über meine verschränkten Hände weiter, bis zu dem leeren Platz gegenüber von mir. Gelangweilt hebe ich meine Hand und bette meinen Kopf auf dessen Fläche.
Und dann tue ich das, was ich immer mache, wenn ich mein unnormales Leben einfach leid bin.

Ich stelle mir vor, dass andere Menschen um mich herum sitzen und ungezwungen Lachen, ohne von meiner Kälte Notiz zu nehmen.
Ich stelle mir ein so langweiliges Leben vor, dass es mir sogar leid ist. Mit Liebeskummer und gebrochenen langen Freundschaften, von denen ich dachte, sie halten für immer und ewig.

Ich höre einen Stuhl quietschen und erst als ich aufsehe, merke ich, dass es der Stuhl an meinem Tisch ist. Ich schrecke aus meinen Gedanken auf und hebe meine Augen.
Jasper lässt sich auf den Stuhl nieder und lehnt sich entspannt nach hinten. Mein Herz stolpert kurz, ehe es in doppelter Geschwindigkeit weiter pumpt.

Einen Moment kann ich nichts anderes tun, als ihn überrascht anzustarren.
Ein Lächeln bildet sich auf seinen geschwungenen Lippen und ich zwinge mich, nicht länger als nötig drauf zu gucken. Gleichzeitig dränge ich meine Kälte so weit in mir zurück, wie es geht. So weit, dass er es unmöglich spüren kann.

„Wie geht es dir?", ertönt seine tiefe Stimme.
Auch wenn ich nicht viel Erfahrungen mit meinem Mitmenschen und dessen Gespräche habe, weiß ich dennoch, dass so eine Frage meist nur dafür genutzt wird, um ein Gespräch voranzutreiben. Meistens ist sie nicht wirklich ernst gemeint.

Doch der Ausdruck in seinem Gesicht ist so direkt und tief, dass ich mir sicher bin, dass er diese Frage nicht als diese sieht.
Sondern sie vollkommen ernst meint.
Nervös nehme ich wahr, dass immer mehr Blicke in unsere Richtung fallen.

Als ein einfaches ‚hmpf' meinen Mund als Antwort verlässt, hätte ich mir am liebsten selber eine gescheuert. Konversation betreiben, Kaddee!, ermahne ich mich selber in Gedanken.

Jasper zieht seine Augenbrauen nach oben und kaum zu glauben, doch dieses belustigende Funkeln in seinen Augen tritt wieder auf.

Ich frage mich, was er an mir andauernd so witzig findet.

Ich versuche meine Verwirrung darüber zu ignorieren und sage stattdessen; „Mir geht es gut und dir? Tut mir leid, aber ich bin es nicht wirklich gewohnt.. ich bin einfach nur überrascht, dich hier sitzen zu sehen."
Ich streiche mir eine braune Haarsträhne hinter mein rechtes Ohr. Seine Augen verfolgen meine Fingerspitzen und bleiben einen Moment an meinem Haar hängen.
Mir wird so warm unter seinem Blick, dass ich schlucken muss.

„Mir geht es ebenfalls gut. Natürlich setze ich mich zu dir. Da wir uns ja jetzt gegenseitig vertrauen schenken", ertönt seine neckende Antwort und ein Lachen bahnt sich in meiner Kehle an.

Ich spüre, wie meine Mundwinkel sich heben, ohne das ich etwas dagegen tun kann.
„Einer Diebin sollte man nicht vertrauen."
Ich verschränke meine Arme ineinander und hebe wieder meinen Blick.
Gerade er hat mir diesen Namen gegeben.

Auch auf seinen Lippen erscheint wieder ein Lächeln und er überlegt kurz, eher er antwortet. „Da hast du wahrscheinlich recht. Was passiert, wenn ich es doch tue?"
Ich versinke in seinen Augen und schlucke abermals kaum merklich. Seine komplette Aufmerksamkeit liegt auf mir und ich bin mir sicher, dass alles um uns herum passiert könnte, ohne das er es merkt.

Ich versuche die Hitze in meinen Wangen mit meiner Kälte wieder zu neutralisieren, bevor ich auch nur rot im Gesicht werden kann.
Es würde nur meine Gedanken verraten.
Ich werfe all meinen Scham und über Bord und lehne mich stattdessen etwas weiter nach vorne. Ein Lächeln umspielt meine Lippen und Jasper's Augen werden kaum merklich größer. Nur ein ganz kleines Stück.

„Finde es heraus", flüstere ich.
Danach stehe ich auf und verlasse die Mensa. Und ich bin mir sicher, diese plötzliche Stille kam dieses Mal bestimmt nicht von meiner Kälte.





Drei Stunden später beginnen sich langsam die Flure zu leeren. Ich jedoch bleibe länger als nötig an meinen Spinnt, um meine Gedanken etwas zu ordnen. Tief durchatmend lege ich meine Bücher in meinen Spinnt und beobachte das blaue Schimmern unter meiner Fingerspitzen Haut. Ich brauche nur wenige Augenblickliche, bis sie wieder eine normale Farbe angenommen hat.

Nach der Begegnung mit Jasper, habe ich im Unterricht andauernd daran zurückdenken müssen. Dabei ist mir jedes Mal so warm geworden, dass ich das Gefühl von Kälte die meiste Zeit über sehr gut unter Kontrolle hatte. Auch jetzt fühle ich mich sicher und stark.

Ich schließe meinen Spinnt wieder und gehe Richtung Bibliothek. Das altbekannte nervöse Kribbeln im Bauch tritt wieder auf und ich bleibe stehen, als ich vor der geöffneten Bibliothek Tür ankomme.
Ich spüre schon kurz vorher, dass eine Person in dem Raum ist.

Darin erblicke ich Jasper.
Ich beobachte, wie er seine Hand an einem Bücherregal entlangfahren lässt, ehe er sich ein Buch herauszieht um dessen Einband zu betrachten. Meine Augen wandern wie automatisch an seinen Armen hinab und weiter zu seinem ausgeprägten Rücken, dessen Muskeln sich bei jeder Bewegung regen.

Ich bleibe schließlich an seinem lebhaft wirkenden Gesicht hängen, dass ich mich fragen muss, ob ich möglicherweise ein Gespräch zwischen ihm und dem Buch unterbrechen werde.

Ich schlucke kurz und im gleichen Moment schiebt er das Buch wieder zurück in das Regal und dreht sich um zu mir um.

„Sind die anderen noch nicht da?", frage ich, obwohl die Antwort auf der Hand liegt.
Meine Stimme klingt so laut.

Jasper schüttelt den Kopf und streicht sich eine lose gewordene Locke aus der Stirn. Ein sinnloses Unterfangen, denn sie legt sich wie dafür geschaffen wieder zurück.

„Nein. Scheinbar sind wir noch alleine", antwortet er und kommt in ein paar wenigen Schritten in meine Richtung.
Sobald er in meiner näheren Reichweite ist, kann ich den Impuls nicht unterdrücken etwas zurückzuweichen. Meine Kälte ins hinterste Eck gerückt.

Jasper bleibt stockend stehen. Verwirrt heben sich seine Augenbrauen. „Hast du etwa Angst vor mir? Du weichst andauernd zurück, wenn ich dir zu nahe komme."
Seine Stimme klingt so ehrlich verwirrt, dass es mir schwerfällt in den ersten Sekunden etwas zu erwidern.
Und ich war mir die ganze Zeit sicher, dass er es nicht merken würde.

„Ich habe keine Angst vor dir, Jasper."
Dieser Satz kommt mir so leicht über die Lippen. Ich sehe es in seinem Blick; wie sehr er sich darüber Gedanken gemacht haben muss. Es erleichtert mich, diese Last aus seinen Augen nehmen zu können.
Gleichzeitig jedoch erschrecken mich diese offenen Gefühle und diese Unerschrockenheit, die er jedes Mal zu Tage legt. So als hätte er keine Angst davor, verletzt zu werden.

„Gut", lautet seine Antwort nach ein paar Sekunden. Er wendet sich ab und geht auf dem gleichen Sessel zu, wie gestern bei unserem Gespräch.
Und das Thema lässt er einfach fallen. Heilfroh über diese Tatsache tue ich es ihm gleich und nutze die wenigen Schritte, um meine Kälte wieder in das Gleichgewicht zu bekommen, dass unter seinen Augen leider gelitten hat.

Die Stille, die sich zwischen uns ausbreitet verschwindet jedoch schnell, als Light und meine Schwester ebenfalls in die Bibliothek kommen.
Reichlich zu spät.
„Da seit ihr endlich", sage ich und blicke meiner Schwester entgegen.

„Dann legen wir los", antwortet Light gut gelaunt und gerade dann, als ich wegen seiner Anwesenheit die Nase rümpfe.

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