Kapitel 8♚

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Ich beschloss den restlichen Tag in meinem Zimmer zu bleiben. Denn dank Mum's ziemlich lauter Lache und anhand des fremden Auto's, dass immer noch in unserer Hofeinfahrt steht, konnte ich feststellen, dass Jasper tatsächlich noch immer da ist.

Ich blicke aus meinem Zimmerfenster in Richtung des Auto's, dass in der Sonne schwarz glänzt.
Wie lange er wohl noch hier bleiben wird?, frage ich mich mit einem aufgeregten kribbeln im Bauch.

Mein kalter Atem lässt die Scheibe beschlagen und schon bald gefriert ein kreisrunder Fleck.
Ich wende meinen Blick ab, als die Kälte unerträglich wird.

„Hoffentlich serviert Mum ihn nicht diese grässlich Quarkbällchen, die sie immer so gerne macht", höre ich Linn's Stimme hinter mir sagen.

Außerdem hatte ich das Problem, dass Linn der festen Überzeugung war, mit mir zu warten, bis Jasper gegangen war.
Laut ihr bin ich ihr so ähnlich, dass es so wäre, als hätte Jasper sie ebenfalls halb nackt gesehen.

Was natürlich nicht so ist.

Ich verdrehe meine Augen und wende meinen Blick ab, um den Rotschopf anzusehen.
Lächelnd blickt sie mir entgegen, während sie es sich im Schneidersitz auf meinem Bett gemütlich gemacht hat.

„Glaub mir, dann wäre er schon lange weg", antworte ich.
Ein Schmunzeln bildet sich auf ihren Lippen.
Ihre Augen beginnen zu leuchten, wie sie es immer tun, wenn sie mit mir spricht.
Manchmal frage ich mich, ob sie auch von der Kraft meiner Kälte angezogen wird.
So wie die anderen Leute in meiner Schule.

Davor habe ich Angst, denn ich will nicht das meine Schwester von etwas beeinflusst wird, was ich nicht kontrollieren kann.
Manchmal habe ich das Gefühl, dass die Menschen die ich mag, mich nur mögen wegen dem in mir.

Wäre ich normal, hätte ich dann immer noch die gleichen Leute um mich herum? Die gleichen Freunde?

Einen Moment legt sich Stille über uns. Ich höre leise Stimmen murmeln und werde aus meinen trüben Gedanken gerissen.
Sie unterhalten sich dort untern prächtig.
Über was sie wohl gerade reden?

„Du weißt, dass du mir vertrauen kannst, oder Kaddee?"
Die unsichere Stimme meiner Schwester geht mir ins Mark und Bein. Sie erklingt so unsicher und leise von der Seite, dass ich es kaum verstehen kann.

Ich senke meinen Blick, als mir bewusst wird, von was sie spricht. Mein Herz beginnt augenblicklich schneller zu schlagen ohne das ich etwas dagegen tun kann.

„Ja, natürlich", antworte ich.
Sofort drücken Schuldgefühle meine Schultern herunter.
Ich wende meinen Blick wieder nach draußen.
Die Sonne hat sich hinter den Wolken versteckt.

Es fiel mir leicht die gesamte Zeit zu lügen, weil mich niemand darauf angesprochen hat. Doch jetzt, wo doch meine Schwester einer der wichtigsten Personen in meinem Leben ist, fällt es mir schwer es weiter vor ihr zu verheimlichen.
Vor allem, wenn sie mich so direkt darauf anspricht.

„Dann.. wenn du es mir nicht sagen willst, dann ist es okay, aber naja..", sagt sie mit niedergeschlagener Stimme und blickt nach unten.
Ihre roten Haare fallen ihr vor das blasse Gesicht, darunter vermag ich einen verschlagenen Blick zu sehen.
Ich weiß ganz genau, dass sie jetzt einen auf traurig macht, um mir die Antworten herauszukitzeln.

Doch was sie nicht weiß ist, das es schon beim ersten Satz von ihr geschehen war.
Kurz sammle ich meine Worte und einen kurzen Moment weiß ich nicht wie ich so etwas Großes in ein paar kleine Worte fassen kann.

„Mir ist kalt, Linn", fange ich mit leiser Stimme an. Meine Gedanken wirbeln umher und mein Hände werden nass.

Doch als ich das Schweigen breche, habe ich das Gefühl von etwas mehr Erleichterung in meinem inneren. Meine Schultern fühlen sich leichter an und das Kribbeln in meinem Hals sagt mir, dass sich ein paar erste Tränen den Weg bahnen.

Sie hebt ihren Kopf abrupt und schon bald legt sich ein fragender Blick auf ihr Gesicht.
Ihre großen Augen mustern mich neugierig.
Ich schaue ihr tief in die Augen um es ihr etwas mehr zu verdeutlichen.

„Immer. Mir ist immer kalt, Linn. Verstehst du?" Meine Stimme bricht ab und ohne zu wissen wieso, spüre ich die erste Träne meine Wange entlanglaufen.

„Ich spüre es schon mein ganzes Leben lang. In meinen Händen, in meinen Armen. Überall. Es ist, als wäre mein ganzes Dasein nur aus unkontrollierbarer Kälte. Manchmal werden meine Fingerspitzen blau und manchmal spüre ich es tief in meiner Brust."
Ich hebe meine Hand und blicke auf meine Fingerspitzen. Ich sehe den blauen Schimmer, der unter meiner Haut leicht zu erkennen ist.
Linn steht auf und kommt zu mir.
Sichtlich verwirrt guckt sie mir mit ihren blauen Augen entgegen.

Und ich rede weiter, vor allem weil ich Angst davor habe, dass sie mir nicht glaubt wenn ich jetzt aufhöre.

„Früher dachte ich, das dass Gefühl normal wäre. Als Kind weiß man nicht gleich was richtig oder falsch ist.
Was andere fühlen und was nicht. Eine ganze Zeit lang, dachte ich, das jeder Mensch auf dieser Welt diese Kälte spürt. Das das völlig normal ist. Doch als ich verstanden habe, dass ich die einzige bin, hatte ich so Angst vor mir selber."
Ich senke abermals die Augen und kurz darauf spüre ich die zierlichen keinen Finger meiner Schwester, die meine Tränen abwischen.

Ich schaue auf und begegne ihre Augen aus denen nichts herauszulesen ist.
Ich deute mit einem leichten Kopfnicken zu meinen erhobenen Fingerspitzen.

„Schau genau hin", flüsterte ich mit aufgeregter Stimme.
Sie guckt zu meinen Fingern.

Ein paar Sekunden später atme ich tief durch und versuche alles auszublenden.
Ich versuche die Kälte zu fassen, ohne mich dabei zu bewegen.
Kurze Zeit später finde ich sie irgendwo in meiner Brust und versuche danach zu greifen. Dann merke ich, dass ich sie unter Kontrolle habe und führe sie durch meinen Arm in meine Fingerspitzen die augenblicklich blau werden.
An den Körperstellen wo ich die Kälte hindurchführe, entsteht eine Gänsehaut.

Eine Eisschicht verbreitet sich an meiner ganzen Hand aus. Ich zwinge die Kälte weiter hinaus bis zu meinem Handgelenk.
Dann lasse ich sie los und sie verschwindet wieder tief in meiner Brust.

Erst dann traue ich mich den Blick von Linn zu begegnen.
Sie starrt unbewegt auf meine Hand, die ich langsam zu bewegen versuche.
Es knackt.
Linn zuckt heftig zusammen und macht einen Schritt nach hinten.

„T-tut es weh?"
Ihre Stimmt gleicht einem Hauch. Sie ist blass um die Nase geworden.
Angst und Zweifel keimen in mir auf.

„Nein. Es ist unangenehm wegen der Kälte. Es ist so, als würdest du ohne Jacke in den Schnee hinaus gehen. Es fühlt sich an, als würde Kälte deine Haut berühren", versuche ich das Gefühl so gut es geht zu erklären.

Linn starrt mich fassungslos an.
Dann meine Hand.
Und als ich denke, dass kein Wort mehr aus ihr raus kommt, geht sie einen Schritt zu mir und umschlingt mit beiden Händen meine eisige Hand.
Wärme durchflutet mich und ich atme erleichtert aus.

„Ich werde dich wärmen. Immer wenn du es brauchst."
Ihre Stimme bricht und sie umarmt mich mit ihrem kleinen Körper.
Das erste Mal in meinem Leben kommt mir Linn wie ein kleines Mädchen vor, dass gerade fällt.
Ich spüre wie sie versucht mich aufzufangen.

Und ich umarme sie zurück, als ich die ersten Tränen in meiner Halsbeuge spüre.

Wolfsmond - Geheimnis der Legende Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt