Kapitel 6♚

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Als ich zur Haustüre reinkomme, kommt mir sogleich ein himmlischer Duft entgegen.
Ich höre in der Küche Teller aneinander schlagen und kurz darauf Besteck klirren.
Stimmen ertönen murmelnd, aber ich bin zu weit weg, um sie verstehen zu können.

„Mum!", sage ich glücklich in den Flur hinein.
Innere Freude erfüllt mich. Ich habe sie die letzten zwei Tagen nicht gesehen, weil sie sich meist im Wald herumtreibt und wenn sie wieder kommt, liege ich meist schon im Bett.
Freudig ziehe ich mir meine Weste aus und lege meinen Rucksack in die Ecke.
Neugierig gehe in die Küche und erblicke sogleich Mum vor dem Herd.
Ihr schlanker Rücken ist zu mir gedreht.
Das weiße Haar ist mit einer Klammer an ihrem Hinterkopf befestigt.
Mein Kopf wandert nach links.
Dad ist an der Kochinsel angelehnt und lacht über etwas, das Mum anscheinend gerade gesagt hat.

Aaaauuu!", sage ich laut jaulend in die Küche hinein um mich bemerkbar zu machen.
Mum zuckt sogleich erschrocken zusammen und dreht sich kurz darauf genervt nach mir um und Dad wirft seufzend den Kopf in den Nacken, als er meinen Laut hört.
Lachend betrete ich den Raum vollends.

„Kaddee. Wie oft soll ich dir noch sagen, das kein Wolf so heult?"
Dad guckt mich kopfschüttelnd an aber kann sich ein schmunzeln nicht verkneifen.
Er weiß, das ich es nur tue, um ihn zu ärgern.

Ich mache meinen Mund auf, um mich zu erklären, doch ich werde unterbrochen, als sich die Haustüre abermals öffnet.
Wir drei horchen auf und ich lache einen Augenblick in mich hinein.

Das muss Linn sein, und wenn ich mich nicht irre, wird sie gleich-

„Aaaaaauuu", kommt es noch lauter, als bei mir, von der Haustüre.
Lachend halte ich mir den Bauch, als Linn verstummt und die Haustüre krachend ins Schloss fällt.
Mum seufzt abermals. Und mit Gewissheit kann ich sagen, dass Dad sich gerade mit der flachen Hand auf die Stirn schlagen möchte.
Die beiden haben eindeutig zwei ziemlich gleiche Töchter erzogen.
Haben sie das eine Problem und schon kommt das andere.

„Na, meine Wolfsfreunde?", ertönt ihre Stimme und kurz darauf kommt Linn in die Küche.

Schelmisch Grinsend guckt sie unsere Eltern an, als sie die Gesichter der beiden erblickt.
Ich versuche das Lachen aufzuhören aber ich schaffe es einfach nicht und halte mir die Hand vor dem Mund.

Linn und ich jaulen öfters mal auf, um Mama und Papa auf die Nerven zu gehen.
Es hat angefangen, als wir im Geschichtsunterricht das Thema Mondwolf durchgegangen sind. Alle in der Klasse waren so neugierig und stellten immer so vollkommen unlogische Fragen während ich fast immer Lachen musste.
In der Pause traf ich auf Linn und sie erzählte mir, das sie auch das Thema in Geschichte haben und das ein Junge in ihrer Klasse versucht hat das heulen des Mondwolfes nachzumachen und Linn hat anscheinend so laut lachen müssen, das sie vom Lehrer rausgeschmissen wurde.
Seitdem machen wir es gelegentlich weil wir es so lustig finden.

Linn stellt sich neben mich und lugt auf den Herd, vor dem Mama steht.
Einen Moment verweilen wir so, ehe Linn beginnt den Tisch zu decken und mir einige Male komische Augenzeichen gibt.

Ich glaube, es soll so viel heißen wie ‚sei nicht Faul und hilft mir'.
Grinsend bewege ich mich nicht von der Stelle. Linn verengt die Augen und geht mit Tellern in den Händen weg.

„Kaddee Schatz, ich wollte heute dein Zimmer ein wenig aufräumen aber die Türe ist verschlossen. Hast du das gemacht?"
Mum dreht sich neugierig zu mir um.
Ich versuche nicht zu einer Salzsäule zu erstarren und entspannt drein zu gucken.
Mein Blick hängt an dem kartierten Geschirrtuch, das sie in den Händen hält.
Verstohlen wende ich meine Augen zu ihr nach oben bevor ich antworte.
Sie kennt mich viel zu gut und würde merken das ich lüge, wenn ich ihr nicht in die Augen sehen würde.

„Sag mal, hast du Geheimnisse vor mir?", Linn beschwert sich lautstark aus dem Esszimmer und kommt kurz darauf in die Küche gestürmt. Sie hält nach wie vor Teller in der Hand, die sie eigentlich aufdecken sollte.
Ich verdrehe die Augen und schmeiße meine Hände in die Luft.

„Manchmal klemmt sie. Du hast wahrscheinlich nicht genug gerüttelt", lüge ich und schlage meine Augen nieder.
Mein Blick bleibt kurz an meinem Händen hängen, die untätig an meinem Körper herunter hängen.

„Seit wann den das?", mischt sich nun Dad ein und seine Stimmt klingt, als würde er gerade die Stirn runzeln.
Ich hebe meinen Blick und gucke ihm direkt in die Augen.
„Schon immer."




Mit langsamen Schritten gehe ich die Treppe nach oben in mein Zimmer.
Ich ziehe den Schlüssel aus meiner Hosentasche, der sich leise raschelnd bemerkbar macht.
Das Kreuzverhör hat glücklicherweise schnell sein Ende gefunden. Noch ein bisschen länger und ich wäre durchgedreht, vor allem aber wegen Linn ihren verengten Augen, die etwas zu verräterisch funkelten.

Ich blicke mich sicherheitshalber im Gang um.

Bei so einer Schwester wie Linn kann man sich in gar nichts sicher sein.
Es ist schon ein halbes Wunder, dass sie mir noch nicht auf die Schliche gekommen ist.
Der Flur ist leer.
Ich lausche. Nichts.

„Dieses neugierige Monster", murmle ich vor mich hin, nachdem ich die Türe aufgeschlossen habe und gerade öffne. Erleichtert schließe ich sie hinter mir und atme tief durch. Mein Atmen gleicht kurzzeitig einer eisigen Rauchwolke, so leicht, das nur ich es sehen kann.

„Neugieriges Monster wer?"
Ertönt plötzlich eine Stimme in meinem Zimmer.

Spitz schreie ich auf und drehe mich um.
„Linn, was zur Hölle-", sage ich laut in den Raum hinein. Ich öffne meine Augen, die ich vor lauter Schreck zusammengekniffen hatte.
Linn steht mit verschränkten Armen und einem Lächeln im Gesicht mitten in meinem Zimmer.

Verständnislos gucke ich sie an. Mein Herz schlägt mir unruhig in meiner Brust und die Kälte in mir verkriecht sich in das hinterste Eck meines Gehirns, bevor es wieder hervor trottet, wie ein schüchternes Tier, dass sich mir langsam wieder nähert.

„Wie kommst du hier rein?", fauche ich sie an und blende mein inneres Gefühl aus.
Wütend verenge ich die Augen und lasse sie unauffällig umherwandern.
Tau dort, tau da.
Mein Zimmer ist eiskalt.
Meine Bettdecke nass, von dem aufgetautem Eis.

Und meine kleine Schwester mitten drin. Die Arme verschränkt und die Lippen zu einem vermeidlichen süßen Lächeln verzogen.

„Dein Fenster war offen", sagt sie schulterzuckend, als wäre es ganz normal an Hausfassaden hochzuklettern und durch ein offenes Fenster zu kriechen.

Anerkennend blickt sich Linn um, während ich sie nur Verständnislos mustern kann.

Sie lässt ihren Zeigefinger über meinen nassen Schreibtisch wandern, danach guckt sie sich ihren nassen Finger an, als wäre sie irgendein Tester.
Ich atme kopfschüttelnd aus.

„Also ich wusste ja, dass du etwas zu verheimlichen hast, doch damit hätte ich nicht gerechnet. Was, bitteschön, ist hier passiert?"

Meine Knie werden weich und ich bin mir sicher, dass mein Herz jetzt nicht nur wegen dem erschrecken so schnell schlägt.
Angestrengt ziehe ich meine Augenbrauen zusammen, während Linn mir intensiv in die Augen guckt.
Als könnte sie damit etwas bewirken.

Ich hole tief Luft.
Jetzt kann ich nur noch einen einzigen Trumpf spielen.
„Mum! Mum, komm schnell!", schreie ich so laut ich kann. Wenn sie in mein Zimmer kommt, würde ich Linn in die Karten spielen doch sie, sowie ich, wissen ganz genau, dass Linn's Kletter-Aktion weitaus schlimmere Folgen nach sich ziehen würde, als ein nasses Bett.  

Sie reißt erschrocken die Augen auf.
„Du kleines Bies-", sie verstummt, als Mum die Treppe hoch kommt. Es ist schon zu spät.
Ich lächle innerlich teuflisch vor mich hin, während Linn mir einen Todesblick schenkt.

„Das ist noch nicht vorbei!", flüstert sie mir zu, während sie aus meinem Zimmer rast und Mum höchstwahrscheinlich mit einem Lächeln entgegenläuft.

Wolfsmond - Geheimnis der Legende Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt