Kapitel 9♚

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Ich hatte den ganzen restlichen Tag nicht einmal das Gefühl, dass ich bereue es Linn gesagt zu haben.
Es hatte sich angefühlt, als würde ich eine Last loswerden, die schon die gesamte Zeit über auf meinen Schultern lag.

Spät nachmittags betrachte ich, wie der Motor des schwarzen Wagens in unserer Einfahrt anspringt und losfährt. Ich beobachte Jasper's Auto so lange, bis es aus meinem Blickfeld verschwunden ist.
Ich seufze tief.

Erst dann steuere ich gezielt auf meine Zimmertüre zu, um Mum zur Rede zu stellen. Wie kann es sein, dass Jasper den halben Tag bei meiner Mutter sitzt und sich mit ihr unterhält, als wären sie alte Freunde, die sich schön ewig nicht mehr gesehen haben?

Entschloss öffne ich die Türe, gehe den Flur entlang- und bleibe ruckartig stehen als mir Linn mit einem Arm voller Bücher entgegen kommt, dessen Buchumschläge ich noch nie gesehen habe.

„Linn, was ist das alles?", frage ich, nachdem sie an mir vorbei stiefelt, ohne mich zu beachten.
Abrupt bleibt sie stehen und dreht sich zu mir um. Das Haar fällt ihr dabei von der Schulter nach hinten.
„Oh! Hi Kaddee", ungeschickt blicken mir ihre Augen am Rand der Bücher entgegen.
Dabei frage ich mich, was um alles in der Welt sie in der letzten halben Stunde getrieben hat.
Mit meiner Hand deute ich auf die schätzungsweise acht Bücher.

„Ach, du meinst die Bücher", erwidert sie lachend, als wäre es normal mit einem Arm voller eigenartiger Bücher durch die Gegend zu gehen.

Ich erkenne an einem der Exemplare vergilbte Seiten und bei einem anderen ist der Einband etwas abgelöst. Insgesamt sehen die Bücher alt und verbraucht aus.
Woher hat sie die denn aufgetrieben?

„Ich informiere mich, um zu wissen womit wir es zutun haben- ich meine, du weißt schon.."
Die letzten Worte flüstert sie.
Mit großen Augen deutet sie auf meine Hände.

„Du weißt schon das uns hier niemand hören kann, oder?", frage ich mit hochgezogenen Augenbrauen. Ich verschränke meine Arme vor der Brust und versuche meine kleine Schwester böse anzufunkeln. Nicht das es mir schwerfallen würde.
„Ich wollte doch nicht, dass du deswegen Nachforschungen anstellst!"

„Ja, ja. Was du sagst und was ich tue sind zwei verschiedene Schuhe, und jetzt lass mich arbeiteten. Das wird wohl eine Weile dauern."
Ich öffne den Mund um etwas zu erwidern, sehe jedoch kurz darauf nur rotes Haar und ihren Hinterkopf.
Genervt verdrehe ich die Augen, als sie hinter ihrer Zimmertüre verschwindet.

Okay, ganz ruhig.
Erst widme ich mich dem eigentlichen Problem und dann kann ich mich noch um den Rotschopf kümmern.

Ich gehe in das Wohnzimmer und versuche dabei ruhig zu bleiben.
Mum ist gerade dabei Jasper's Teller aufzuräumen. Es ist immer noch unbegreiflich, dass Jasper erst vor ein paar Minuten hier saß.
So nah.

„Warum war er hier?", sage ich und beobachte ihr Haar das in Wellen über ihre schmalen Schultern fällt.
Sie blickt auf und ihr Gesichtsausdruck wirkt entschuldigend.

„Das tut mir leid, Schatz. Ich weiß, dass es wahrscheinlich sehr peinlich für dich war aber du brauchst dich nicht für deinen Körper zu schämen. Du bist schö-„

Stopp, das geht in die komplett falsche Richtung.

„Mum das war nicht meine Frage."
Ich verschränke meine Arme vor der Brust.
Wenn das so weiter geht, wird das Gespräch hier ganz schön eigenartig.

Sie verstummt und seufzt schließlich.
„Kaddee, eigentlich wollte ich es dir nicht sagen, damit du keine Sorge hast. Doch jetzt ist es auch schon zu spät. Ich möchte, dass du dich von Jasper und seiner ganzen Familie in der Schule fern hälst."
Meine Arme sacken nach unten. Sie kann es ja nicht wissen, doch ich will mich garnicht davon fern halten.
Er ist der einzige, der mir Wärme geben kann.

„Morgen Abend sind wir zum Essen bei ihnen eingeladen."
Sie geht in die Küche und legt den Teller in das Waschbecken. Ich gehe ihr hinterher.

Verwirrt lache ich auf. „Ich dachte wir sollten uns, warum auch immer, von ihnen fern halten?"

„Ja, das tun wir auch, wir müssen sie aber auch aushorchen. Ich meine, man sollte doch seine Feinde kennen."
Nach einem auffordernden Blick von mir schnaubt sie auf und gibt sich geschlagen.
Gespannt spitze ich meine Ohren.

„Jaspers Vater ist Jäger. Er jagt in den Wäldern, hier in der Gegend und es scheint ganz danach, als würde er Jagt nach uns machen. Er ist jeden Tag hier in der Umgebung und das macht mir Sorge. Er würde schießen, wenn er uns in Wolfsform sehen würde. Was zum Glück noch nicht passiert ist."

Mir rutscht augenblicklich das Herz in die Hose. Das kann nicht sein, denke ich betrübt.

„Wir können der gesamten Familie nicht trauen, weil wir nicht wissen, wer alles darin involviert ist und was für ein Ziel Aron, geschweige den Jasper, oder irgendwer anders von der Familie hat", redet sie weiter.

„Aber.. aber-„ fange ich an, sie jedoch unterbricht mich.

„Schatz, hör zu. Es ist alles halb so schlimm. Wir gehen da morgen hin, zeigen uns von der besten Seite und hoffen, dass wir vertrauen erwecken. Aron und seine Frau werden uns dann sicher mehr verraten. Vielleicht ist es nicht so wie wir denken.
Wir müssen jedoch die Möglichkeit, dass es so ist, aus dem Weg räumen. Das verstehst du sicher Schatz."
Sie streicht mir über mein Haar und verschwindet wieder in das nächste Zimmer.

Wie erstarrt bleibe ich stehen und versuche die Sache selber runter zu spielen.
Dabei spuckt mir nicht der Gedanke, dass es wahr sein könnte durch meinen Kopf, sondern eher, das ich morgen mit Jasper an einem Tisch sitzen werde.

Wolfsmond - Geheimnis der Legende Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt