Die Chroniken von Seyl 2 - Die Herrscher der Wüste

Prolog

Hypnotischer Singsang hallte durch den nächtlichen Dschungel und übertönte das Brüllen eines fernen Raubtiers. Nackte Leiber wogen sich im Schein des Feuers. Die Frauen saßen im Schneidersitz, die Hände auf die Schultern ihrer Nachbarn gelegt, so bildeten sie einen lockeren Kreis um die Flammen. Auf einmal verstummte eine von ihnen. Sofort wurden auch die anderen still. Flatternd öffneten sich ihre Lider. Ihre Augen leuchteten unnatürlich, während sie sich in fremden Sphären bewegte.

Sie murmelte etwas, dann schüttelte sie energisch den Kopf. Die Federn und Beeren, die ihr Haupt schmückten, rutschten hin und her.

Die anderen Frauen tauschten ratlose Blicke. So unruhig hatten sie ihre Dwadleakela noch nie erlebt. Trotzdem schwiegen sie. Denn es war nicht an ihnen, die Frau aus ihrer Trance zu wecken, während sie Zwiesprache mit ihrer Göttin hielt.

Auf einmal riss die Frau die Augen unnatürlich weit auf, dann schwankte sie und hätten sie ihre Sitznachbarinnen nicht gestützt, wäre sie wohl umgekippt. Dann war der Spuk so schnell vorbei, wie er auch gekommen war. Der Blick der Frau klärte sich und sie erhob sich zittrig. „Die Göttin hat gesprochen", sagte sie zu den anderen Mitgliedern ihres Stammes.

Gespannte Stille herrschte. Im Hintergrund hatten sich die Männer versammelt. Es war an ihnen, die Frauen in dieser Situation, in der sie so wehrlos waren, zu beschützen.

Mit rauchiger Stimme begann die Frau zu erzählen, was sie gesehen hatte.

„Es wird ein Mann kommen und er wird aus Gold sein. Er wird eine von uns mit sich nehmen, in ferne Länder."

Ihre Zuhörer begannen miteinander zu raunen. Ihnen missfiel der Gedanke. Die Frau hob nur leicht die Stimme und sofort verstummten alle. „Er wird von den Göttern geschickt sein."

Die alte Frau zu ihrer Linken unterbrach sie. Bei ihr handelte es sich um die Anführerin des Stammes. Sie besaß als einzige das Recht, die Dwadleakela zu unterbrechen. „Von den Göttern?" Alle horchten auf. Jeder von ihnen hatte sich genau dieselbe Frage gestellt. Hatte sich die Dwadleakela zum ersten Mal seit Anbeginn der Zeit geirrt?

Diese jedoch schien sich von den Zweifeln nicht berühren zu lassen. „In dieser Hinsicht war die Göttin eindeutig. Der Mann aus Gold wird von den Göttern geschickt werden und wir werden ihm helfen. Eine unserer Töchter, eine, deren Geburt naht, wird ihn begleiten."

Eine noch junge Frau schnappte nach Luft, ihre Bauch rundete sich merklich und fast hätte sie den Kreis gelöst, weil sie ihre Arme schützend um ihren Unterleib schlingen wollte. Wie alle anderen, konnte auch die Stammesführerin ihre Angst sehen. „Was geschieht, wenn wir ihn abweisen?"

„Die Welt wird untergehen." Die Dwadleakela klang erstaunlich ungerührt, monoton drangen die Worte aus ihrem Mund. Da keiner der anderen Frauen diese Antwort genügte, sprach sie weiter. „Die Wege des Schicksals sind niemals eindeutig und auch die Göttin äußert sich selten direkt. Nicht immer verstehe ich ihre Botschaften vollständig. Ich weiß nicht, bei wem es sich um den Mann aus Gold handelt. Doch in einer Hinsicht bin ich mir sicher. Wenn die unsere ihn nicht begleitet, wird er scheitern und nicht nur ferne Länder, sondern auch unser Stamm wird darunter leiden. Der Dschungel wird brennen."

Bei ihren Worten züngelten die Flammen des Feuers höher und höher, der Lichtschein warf gespenstische Schatten auf ihre Haut. Sie blickte direkt zu der schwangeren Frau. „Du wirst eine Tochter gebären und ihr Name wurde von der Göttin erwählt. Sie wird stärker sein als jede andere Frau in diesem Dschungel und doch wird sie dem goldenen Mann gehorchen. Wenn sie alt genug ist, werde ich sie unterrichten."

Mit einer fließenden Bewegung erhob sich die Dwadleakela. „Ich werde fortgehen...", verkündete sie. „... und lernen."

Ihre Stammesschwestern nahmen diese Botschaft mit gemischten Gefühlen auf. Auch wenn das Eintreten der Prophezeiung noch viele Jahre in der Ferne lag, so wusste jede von ihnen, dass sich mit diesem Abend etwas unwiederbringlich verändert hatte.