Kapitel 47

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Während ich meinen Dolch aufklaubte, schaute ich mich immer wieder um, aber es schien, als wäre die Gefahr erstmal gebannt.

Mein rasender Puls beruhigte sich etwas und ich konnte immer noch zittrig weitergehen. Große Erleichterung überkam mich, als ich endlich das rege Getümmel in den Gassen um den Hafen erreichte.

Sie würden mich nicht in aller Öffentlichkeit töten. Sie wären vielleicht dazu in der Lage, aber das Risiko entdeckt zu werden, war zu groß und mein plötzliches Zusammenbrechen würde zu viele Fragen aufhäufen. Das war nicht ihr Stil.

Ich drängte mich durch die Menschenmassen, immer darauf achtend, dass ich niemandem zu nahe kam. Vor mir öffnete sich das Häusermeer und gab den Blick auf die Hafenbucht mitsamt der großen Brücke frei. Das Wasser glitzerte und die zahlreichen Schiffe schaukelten sanft auf und ab.

Als ich die Wellenkönigin erblickte, fiel mir ein Stein vom Herzen. Obwohl es sich nur um ein Schiff handelte, ließ mich ihr vertrauter Anblick aufatmen.

Ich trat näher. Niemand schien sich an Deck zu befinden, aber ehe ich es betreten konnte, ertönte ein Ruf: „Senn! Da bist du ja. Ich dachte, du hättest unseren Termin vergessen." Aöwe eilte auf mich zu, in ihrem Schlepptau Mika, der aber offenbar nach jemand anderem Ausschau hielt. Seine Miene verdunkelte sich, als ihm klar wurde, dass ich allein gekommen war.

„Wo ist Rosena?", fragte er und fügte dann eilig ein „und Alyn", hinzu.

Ich zuckte mit den Schultern. „Sie sind nicht mitgekommen."

Er seufze und man konnte ihm seine Niedergeschlagenheit regelrecht anmerken. Es war unmöglich zu leugnen, dass er regelrecht vernarrt in Rosena war. Ich hoffte, dass er der jungen Frau ein Stück ihres Selbstbewusstseins zurückgeben konnte.

„Wir sollten gehen", schlug Aöwe ungeduldig vor. Man konnte ihr anmerken, wie unrecht es ihr war, von mir und Mika begleitet zu werden.

Ich folgte der Kapitänin und ihrem Stiefsohn, immer nach potenziellen Gefahrenherden Ausschau haltend.

Vor einem prächtigen Gebäude blieben wir stehen. Mika runzelte die Stirn. „Was wollen wir hier?"

Aöwe zuckte mit den Schultern. „Das ist die Adresse."

Er schüttelte den Kopf. „Das ist unmöglich. Das ist der Palast des Emirs. Ich bin mir sicher."

Die Kapitänin runzelte die Stirn. „Aber es muss hier sein." Sie hielt ihm einen Zettel hin. Er nahm ihn entgegen und überflog ihn. „Du hast recht. Wir sind hier richtig." Trotzdem wollte er es nicht glauben. „Das ist unmöglich", sagte er nochmal und lachte. „Kaum zu glauben. Da fahre ich jahrelang mit meinem Bruder – der Person, die ich am besten kenne auf der ganzen Welt - den Side auf und ab, nur um dann festzustellen, dass ich ihn gar nicht so gut kenne, wie ich dachte."

Ich starrte stumm auf das Gebäude, dessen zahlreiche Türme sich in die Höhe streckten und die Vorbild für alle anderen Kuppeln in ganz Agba waren.

Aöwe straffte sich und trat auf die beiden Wachen zu, die vor dem großen eisernen Eingangstor postiert waren. Die beiden beachteten sie nicht. „Wir haben einen Termin", verkündete Aöwe, aber keiner der Männer warf ihr auch nur einen Blick zu.

Sie stemmte die Hände in die Seiten. „Ich sagte, wir haben einen Termin." Ihre Stimme klang ungehalten.

Ich trat an ihre Seite. „Das sind Skara. Sie werden nicht auf dich hören. Das ist gegen ihre Erziehung und ihre Kultur."

Die Chroniken von Seyl 2 - Die Herrscher der WüsteWo Geschichten leben. Entdecke jetzt