Zu meiner Überraschung klopfte es am Spätnachmittag des dritten Tages, an dem ich niederlag und allmählich vor Langeweile wahnsinnig wurde, zögerlich an der Tür. Ich war gerade wieder eingedöst, aber schreckte durch das Geräusch hoch.
Langsam trat Mika ein. Der junge Mann sah sich misstrauisch um, als befürchte er, jemand anderen als mich vorzufinden. Angestrengt richtete ich mich auf.
„Ich..." Er stockte und trat verlegen von einem Bein aufs andere.
Ich hob eine Augenbraue. „Glaub mir, bei meinem derzeitigen Wohlbefinden werde ich wohl kaum aus dem Bett springen und dich töten. Du kannst dich also beruhigt hinsetzen."
Dann räusperte ich mich, denn manchmal versagte mir noch die Stimme.
„Wie geht es dir?", fragte Mika, nachdem er auf dem Stuhl Platz genommen hatte, der extra für die Besucher von Argur herangeschafft worden war.
Ich rang mir ein Lächeln ab. „Nun, ich werde es gemäß der Prognose des weiblichen Anteils auf diesem Schiff überleben. Das kann ich auch nicht bestreiten. Trotzdem bin ich dankbar, wenn sich das als die erste und letzte Grippe in meinem Leben herausstellt."
Er lachte nervös. Dann suchte er nach den richtigen Worten. „Ich habe dir wohl nie... richtig gedankt, dass du mich damals aufgegabelt hast."
„Dieser Dank gebührt nicht mir, sondern Alyn. Sie hat mich damals überredet, dich vorm Erfrierungstod zu retten."
„Oh..." Irgendwie wirkte er enttäuscht. „Ro hat nichts gesagt?"
Ich runzelte die Stirn. Er nannte sie Ro? So wie Alyn es manchmal tat? War ich ein schlechter Freund, wenn ich sie nicht bei ihrem Spitznamen rief? „Nein. Rosena sagt nicht viel. Sie hat ein gutes Herz, aber sie ist einfach zu schüchtern, als dass sie einfach Befehle gibt oder mutige Entscheidungen fällt."
Verlegen spielte Mika mit seinen Fingern. „Spricht sie ab und zu von mir?"
Ich seufzte. „Mika. Warum bist du wirklich hier?"
Er wurde bleich. „Ich... vielleicht sollte ich gehen." Er schob seinen Stuhl zurück und wollte aufstehen, als meine Hand unter der Decke hervorschoss und ihn am Handgelenk packte. „Setz dich wieder hin und bereite einem gefährlich gelangweilten Mann keine Unannehmlichkeiten."
Zögerlich gehorchte er. Erschöpft ließ ich ihn los. Diese kleine Kraftaufwendung hatte mich mehr angestrengt als erwartet.„Jetzt noch einmal in Ruhe. Du magst Rosena sehr gerne, nicht wahr?" Der junge Mann nickte betreten und mit glühend roten Wangen. „Nun bist du zu mir gekommen, um herauszufinden, ob sie ebenso empfindet."
Ich konnte sehen, dass er vor Scham am liebsten im Boden versunken wäre. Trotzdem brachte er den Mut auf, erneut zu nicken. Allerdings wagte er es nicht, mir dabei ins Gesicht zu sehen. Stattdessen starrte er auf die Holzbohlen.
„Dir ist bewusst, dass Rosena keine leichte Kindheit hatte?"
„Ja, Herr", sagte er und ich zog die Stirn kraus, als ich feststellte, dass er mich anredete wie seinen Vorgesetzten.
„Und du willst sie trotzdem?"
„Das macht sie umso begehrenswerter. Ich bewundere sie." Der Junge lächelte, als er offenbar an meine Reisebegleiterin dachte. „Sie hat sich mir anvertraut und das macht mich stolz."„Das solltest du ebenfalls tun", erwiderte ich kurzerhand.
Verdattert schaute er mir nun doch ins Gesicht. „Wie bitte? Ich hab' ihr alles erzählt."
Langsam wiederholte ich meine Worte. „Du verheimlichst etwas. Junge, ich habe dich in einer deiner schlimmsten Stunden gesehen. Ich habe die Verzweiflung und das Elend auf deinem Gesicht erkannt, als ich dich - sternhagelvoll wie du warst - gestützt habe. Dein Bruder liebt dich und auch der Rest der Mannschaft bringt dir Freundschaft entgegen. Nichtsdestotrotz muss etwas geschehen sein, dass dich zu einem menschlichen Wrack gemacht hat. Rosena behauptet, du hast dich ihr geöffnet, aber sie ist ein gutes Mädchen. Auch wenn ihr Schlimmes widerfahren ist, übersieht sie die Abgründe, die sich in einzelnen Menschen auftun. Niemals hast du ihr alles offenbart. Nicht nach so kurzer Zeit. Du wärst nicht dem Alkohol verfallen, wenn du dich ausgesprochen hättest. Ich kenne Menschen wie dich."
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Die Chroniken von Seyl 2 - Die Herrscher der Wüste
FantastikSenn und Alyn haben es geschafft: Sie haben den ersten Edelstein gefunden. Doch nun führt ihre Reise sie nach Skaramesch, das Land der Wüste. Der Weg dorthin ist nicht einfach, es lauern Piraten, die es insbesondere auf wohlhabende Reisende abgesehe...