Kapitel 12

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Die Zeit verstrich zäh. Angespannt stand der Kapitän neben mir, den Blick immer wieder prüfend in die Ferne gerichtet.

„Wir könnten umdrehen", schlug ich zögerlich vor. Die Aussicht missfiel mir gewaltig, denn wir würden dadurch viel Zeit verlieren – Zeit, die wir sowieso nicht hatten. Dennoch war ich nicht erpicht auf einen Kampf mit Piraten, der uns möglicherweise das Leben kosten würde.

Der Kapitän schüttelte den Kopf. „Das würde nichts bringen. Wen die Schwarze Jungfrau ins Visier nimmt, der entkommt ihr nicht. Ich müsste die Wellenkönigin aufgeben oder mir eine neue Arbeit suchen. Nach beidem steht mir nicht der Sinn. Lieber riskiere ich mein Leben." Harte, unverblümte Worte, die ich nur zu gut verstehen konnte. Trotzdem wurde mir etwas flau bei dem Anblick der sich uns bot.

Der ferne Schatten am Horizont war größer geworden. Nun konnte man auch ohne Fernrohr nicht mehr leugnen, dass uns das andere Schiff auflauerte.

Der Mond vertrieb die Schwärze, hinter der es sich zuvor versteckt hatte. Bleich spiegelte er sich im Wasser.

Mat beendete seine Runde und tauchte von achtern wieder auf.

„Käpt'n...", begann er ängstlich. „... werden wir alle sterben?"

Im kalten Licht des Mondes wirkten die Gesichtszüge des Mannes neben mir noch härter. Insbesondere als er grimmig auf die Schwarze Jungfrau blickte. „Ich gebe meine Mannschaft nicht dem Tod preis. Nicht, wenn ich es verhindern kann."

Mat schien nur leidlich beruhigt, aber immerhin war ihm nicht aufgefallen, was ich bemerkt hatte – nämlich, dass der Kapitän sich von seinen Worten selbst ausgenommen hatte. Er war bereit, für seine Mannschaft zu sterben.

„Was stehst du immer noch so dumm rum?", blaffte der Kapitän den armen Mat an. „Du bist im Dienst."

Eiligst verschwand Mat, warf aber im Gehen immer wieder beunruhigte Blicke auf das ferne Schiff.

Ich erwartete, dass Dom auch mich fortschicken würde, aber er schwieg. So blieb ich neben ihm stehen, während die Stille zwischen uns zu knistern schien. Irgendwann straffte er sich. „Ich übernehme das Ruder. Ich möchte, dass Argur wenigstens ein paar Stunden Schlaf bekommt. Ihr solltet Euch ebenfalls niederlegen."

Ich schüttelte den Kopf. „Ich könnte heute Nacht sowieso nicht schlafen."

Die Augen des Kapitäns schienen schwarz, als sie mich langsam musterten. „Ich nehme an, Ihr werdet mir nicht den Grund verraten."

Ich schwieg.

Der Kapitän seufzte. „Dann begleitet mich, ehe ich eine Dummheit begehe."

Argur schien äußerst verdutzt, als wir auf einmal vor ihm standen. „Ist was passiert Käpt'n? Die Nacht ist noch lang nicht vorüber."

Sein Vorgesetzter winkte nur ab. „Deshalb solltest du dich für die wenigen Stunden, die noch bis zum Sonnenaufgang bleiben, schlafen legen. Ich übernehme ab jetzt."

Im Gegensatz zu Mat schien Argur zu wissen, wann es besser war, sich zu verziehen, denn er verschwand ohne ein weiteres Wort.

Der Kapitän ergriff das Steuerrad mit ernster Miene, seine Hände hatten sich so fest um das Holz geschlossen, dass seine Sehnen hervortraten.

„Möglicherweise werde ich Euch um einen Gefallen bitten müssen."

Statt weiter das Schiff zu beobachten, welches sich uns unablässig näherte, richtete ich meine Aufmerksamkeit auf den Kapitän. „Ein Gefallen?"

„Die Piraten der Schwarzen Jungfrau sind..." Er zögerte, während er den Kurs leicht korrigierte. „Sie sind vielleicht ein Haufen Gauner und Halsabschneider, aber sie sind auch diszipliniert und hinterhältig. Das alles tut jedoch nichts zur Sache. Viel wichtiger ist ihre absolute Ergebenheit ihrem Kapitän gegenüber."

Die Chroniken von Seyl 2 - Die Herrscher der WüsteWo Geschichten leben. Entdecke jetzt