Kapitel 10

34 11 6
                                    

Frustriert schlug Davide auf den Tisch. Seit Wochen schon suchte er nach Antworten und war immer noch nicht weitergekommen. Allmählich zweifelte er an seinen Fähigkeiten als Archivar.

Wer war Senns Vater? Es gab nur einen Kartographen, der dafür in Frage kam und dieser war aus dem Nichts aufgetaucht. Von einem Moment auf den anderen war er stadtbekannt geworden. Doch egal, welche Dokumente Davide auch durchforstete, konnte er nichts herausfinden. Jades Geschichte hingegen war ihm längst bekannt. Der Lebenslauf ihres Sohnes besaß jedoch noch einige Lücken. Weder hatte er seinen Geburtsnamen herausfinden können noch wohin er zwischen seinem zehnten und neunzehnten Lebensjahr verschwunden war.

Es war zum Haare ausreißen.

Müde streckte Davide seine steifen Glieder. Lupold hatte ihn noch immer nicht besucht. Allmählich machte sich der Archivar Sorgen. Seine letzten Nachrichten waren unbeantwortet geblieben, sodass er schweren Herzens Fuchs, seinen Assistenten, entsendet hatte, um seinen alten Freund aufzusuchen. Fast wäre er sogar selbst gegangen, aber Fuchs hatte ihn überzeugt, dass die Gardisten jeden Mann verhaften würden, dessen sie habhaft werden konnten. Davide war für eine kopflose Flucht nicht geschaffen. Auch hätte ihn die Reise an den Rand eines Herzinfarktes gebracht, da seine Nerven für so eine Aufregung nicht gemacht waren.

Vor wenigen Tagen war Fuchs aufgebrochen. Noch hatte er keine Nachrichten erhalten.

Davide konnte nur hoffen, dass es Lupold gut ging. Er war der Einzige, der möglicherweise wusste, wie es den Oberen gelungen war, nicht nur den König, sondern auch die Edelsteine zu besiegen, ohne dass es zu einem Kampf kommen konnte.

Ein Klopfen erregte seine Aufmerksamkeit. Davide erhob sich und bahnte sich seinen Weg durch die Regale bis zur Eingangstür des Archivs.

Davor stand ein verfrorener Maler. Die Nase des Künstlers hatte sich knallrot gefärbt und unter der Haut waren kleine Äderchen deutlich erkennbar.

„Darf ich reinkommen?", brummte er.

Eilig trat Davide beiseite und Maler schulterte eine große Tasche. „Scheißkälte, da draußen", schimpfte er. „Meine Finger friern beim Malen ein. Ich kann den Pinsel kaum mehr richtig halten. Aber unter großer Aufopferung bin ich fertig geworden. Das sind die letzten sechs Portraits."

Er ließ sich ächzend auf einen der Sessel fallen. „Hier ist es ja auch so kalt", klagte er. „Ist ja auch kein Wunder, wenn sie das ganze Holz für die Eisenproduktion opfern. Wo ist denn dein Gehilfe? Doch nicht etwa auch eingezogen worden? Was für Zeiten sind das?"

Maler musste wahrlich schlechter Laune sein, denn wo andere immer knurriger und kurzangebundener wurden, da wurde er regelrecht redselig.

„Fuchs ist nicht in der Stadt. Er erledigt etwas für mich", erklärte Davide vage. „Darf ich sie sehen?", fragte er dann neugierig und Maler ächzte.

„Tu was du nicht lassen kannst. Aber sie sind nicht so gut geworden, wie ich es gerne hätte. Die Kälte, verstehst du? Ich bin auch nicht mehr der Jüngste."
„Sie sind gut", unterbrach Davide ihn, ehe der Künstler in Fahrt kam. Sichtlich geschmeichelt, verstummte dieser.

Andächtig betrachtete Davide ein Portrait nach dem anderen.

„Sind das nicht die Edelsteine vor den dunklen Jahren?", fragte er.

Maler zuckte mit den Schultern. „Woher soll ich denn das wissen? Für mich sinds einfach nur Menschen."

Davide ignorierte den Mann, der seine Füße in den dreckverklumpten Stiefeln nun auf den niederen Holztisch legte. Fast beiläufig schob er wertvolle Bücher und Dokumente beiseite, damit sie nicht von dem geschmolzenen Schnee nass wurden. Seine ganze Aufmerksamkeit galt den sechs Portraits. Drei Frauen und drei Männer.

Die Chroniken von Seyl 2 - Die Herrscher der WüsteWo Geschichten leben. Entdecke jetzt