Kapitel 30

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Als ich am nächsten Tag erwachte, kratzte mein Hals. Ich hustete mehrmals, aber das Gefühl verschwand nicht. Nicht einmal, als ich einige Schlucke Wasser zu mir nahm.

Auf dem Stuhl in der Ecke lagen einige Kleidungsstücke. Zu meiner Freude fanden sich auch eine volle Waschschüssel und ein Rasiermesser.

Später verließ ich den Raum und machte mich auf die Suche nach Alyn. Dabei kam ich am Zimmer des Kapitäns vorbei und beschloss, mich nach seinem Befinden zu erkundigen. Dom war schon wach und saß auf seinem Bett, die Beine im Schneidersitz und über eine Karte gebeugt. Obwohl er bereits merklich besser aussah als noch den Abend zuvor, konnten die Kleider seine abgemagerte Statur kaum verbergen.

Er blickte auf, als er mich eintreten hörte. Seine noch recht farblosen Lippen verzogen sich zu einem Lächeln. „Senn. Du siehst nicht gut aus. Nun ja, zumindest besser als gestern." Er seufzte. „Diese Sache haben wir wohl gemeinsam."

Ich konnte ihm nur zustimmen. „Was machst du da?", wollte ich wissen.

Er beugte sich wieder über die Karte. „Aöwe möchte, dass ich hierbleibe."
„Und was willst du?"

„Ich muss weitersegeln. Ich habe Geschäfte in Agba zu erledigen. Unsere Lieferung ist längst überfällig. Meine Mannschaft ist zwar zuverlässig, aber besteht nur aus einfachen Matrosen und keinen Geschäftsleuten." Er rieb sich die Schläfen und seufzte.

„Aöwe wird dich nicht ziehen lassen. Sie ist es sehr um dich besorgt. Wenn ich ehrlich sein darf, wäre es vermutlich klüger, hierzubleiben und dich auszuruhen."
„Du gehörst nicht zu den Menschen, die immer die vernünftige Wahl treffen und ich auch nicht. Aber du hast recht. Ich werde mich davonschleichen müssen, denn andernfalls werde ich hier nicht wegkommen."

Er kritzelte einige Daten auf ein ausgebleichtes Stück Pergament. Ich zog den Stuhl heran und setzte mich neben ihn.

„Wann brechen wir auf?"

Er verzog das Gesicht zu einem schelmischen Grinsen. „Ich muss noch einige Berechnungen anstellen und meine Mannschaft versammeln. Es wundert mich, dass sie mich noch nicht aufgesucht haben..."

Auf einmal wurde die Tür aufgerissen. Eine äußerst wütende Aöwe stürmte herein. Ihre dunklen Augen blitzten zornig. „Warum? Weil ich sie davon abgehalten habe! Du musst dich schließlich ausruhen, du bist noch viel zu schwach! Die Strapazen einer Reise würden dich umbringen! Glaubst du, ich finde meinen tot geglaubten Sohn wieder, nur um ihn dann gleich erneut zu verlieren? Und du..." Sie wandte sich an mich und in ihrer starken Erregung wurde ihr Akzent deutlich hörbar. „Dich hätte ich für vernünftiger gehalten. Wie kannst du ihm nur solche Flausen in den Kopf setzen? Außerdem schau dich mal an, du siehst ja fast genauso tot aus!"

Betreten schwieg ich. Natürlich war mir mein bleiches und abgemagertes Gesicht aufgefallen, aber mir ging es gut. Bis auf dieses seltsame Kratzen, das ich immer dann bemerkte, wenn ich schluckte.

„Ich verbiete euch beiden, auch nur irgendwohin zu gehen, bis ihr euch wenigstens einigermaßen erholt habt."

Wütend richtete sich Dom auf. „Ich bin ein erwachsener Mann und kann selbst über mein Wohlergehen entscheiden."

Für einen Augenblick lieferten sich die beiden ein Blickduell. Aöwe wandte sich zuerst ab. „Nein!", entgegnete sie. „Das werde ich nicht zulassen."

Sie rauschte aus dem Zimmer und Dom lehnte sich erschöpft zurück. Sein Gesicht hatte eine gräuliche Färbung angenommen. Er atmete schwer, aber seine Augen wirkten munter wie eh und je.

„Jedenfalls werden wir nicht vor Spätnachmittag in See stechen können. Die Wellenkönigin muss neuen Proviant laden. Ich bezweifle, dass die Nahrung, die wir in Clove aufgenommen haben, noch verträglich ist. Außerdem sollte das Schiff auf etwaige Mängel untersucht werden. Ich möchte nicht riskieren, dass wir plötzlich einen irreparablen Schaden haben."

Die Chroniken von Seyl 2 - Die Herrscher der WüsteWo Geschichten leben. Entdecke jetzt