„Glaubst du, Senn geht es gut?" Rosena wusste selbst, dass sie dieselbe Frage erst vor fünf Minuten gestellt hatte, doch ihre Sorgen waren nicht kleiner geworden. Anfangs hatte sie den Meuchelmörder gehasst, weil er sie aus ihrer Familie gerissen und entführt hatte, jetzt jedoch war sie ihm auf ewig dankbar.
„Ich weiß es nicht", knurrte Alyn. Mit verschränkten Armen lief sie auf und ab. Einmal hatte sie vor lauter Frust gegen die Wand getreten. Die Piraten hatten sie in einen schmucklosen Raum gesperrt. Immerhin gab es zwei Betten, was Alyn ironisch als Komfort in Par'Nevere bezeichnet hatte.
„Was ist mit Mika?"
„Ich weiß es nicht", entgegnete Alyn scharf. „Bei den Göttern, Rosena. Ich weiß genauso wenig wie du und das treibt mich in den Wahnsinn." Hilflos rang sie mit den Händen, während Rosena sie beobachtete.Sie schlang die Arme um ihre Knie. „Wird mein Leben denn immer aus Angst bestehen?", fragte sie leise.
Alyn hielt inne und machte eine abrupte Kehrtwende. Sie setzte sich zu Rosena. „Du brauchst keine Angst zu haben. Alles wird gut."
„Wie denn?", rief Rosena aus. „Wir sind von Piraten gefangen genommen worden und unser Kapitän ringt mit seinem Leben. Und zu allem Übel wollen sie auch noch was von Senn. Was, wenn sie ihn getötet haben?"
„Das glaube ich nicht", sagte Alyn überzeugt. „Nein. Sie haben explizit nach ihm gefragt. Es muss etwas mit dem Kapitän der Wellenkönigin zu tun haben."„Glaubst du das, was diese unheimliche Kapitänin gesagt hat? Dass er uns alle retten kann oder uns zum Tode verurteilt?"
„Ach Rosena! Ich weiß es nicht. Warum stellst du lauter Fragen, die ich nicht beantworten kann?" Sie barg das Gesicht in den Händen. Müde rieb sie sich die Schläfen. „Ich kann nur darauf vertrauen, dass alles gut wird. Senn hat dieses unmenschliche Glück, dass er alles irgendwie übersteht, egal wie aussichtslos es auch sein mag."Rosena musste an die Jünger Lessamms denken und an das, was sie ihm angetan hatten. Sie konnte Alyn nur zustimmen, denn auch wenn er nur wenig darüber gesprochen hatte, war doch klar, dass er im Gegensatz zu anderen noch gut davongekommen war. „Ich wünschte, es wäre einfacher. Dieses Abenteuerleben zehrt an mir. In den Fängen von Piraten. Kann es denn noch schlimmer kommen?"
„Ro, reiß dich zusammen. Weißt du, was ich schlimmer fände? Von meinem eigenen Vater vergewaltigt zu werden. Darum heb den Kopf und zeig diesen Piraten, dass du aus härterem Material gemacht bist. Dass du sie nicht fürchtest, weil du stark bist. So wie es deine Mutter gesagt hat."Ihre Worte waren ungewöhnlich scharf und bewiesen nur, dass Alyn ebenfalls unter der Gefangenschaft litt. Mehr, als sie vielleicht jemals zugegeben hätte. In dieser Hinsicht ähnelte sie Senn. Beide waren so stark und unabhängig und gaben niemals auf. Rosena schluckte. „Du hast recht. Ich werde diesen Piraten meine Angst nicht mehr zeigen."
Wenn es nur so einfach wäre. Sie fürchtete den Moment, in dem sich die Türe öffnen würde. Doch andererseits sehnte sie ihn ebenso herbei. Dieses Warten war schrecklich.„Mach mir einen Schmetterling", sagte Alyn plötzlich.
Rosena sah auf. „Einen Schmetterling?"
„Ja. Vielleicht auch einen Papagei. Es ist mir gleich, solange es bunt ist und nicht so trist, wie dieser scheußliche Raum. Es wird dir helfen, glaub mir."Auch wenn sie ihrer älteren Freundin nicht glaubte, konzentrierte sich Rosena. Sie malte sich aus, einen Schmetterling durch den Raum fliegen zu sehen. Mit leuchtend blauen Flügeln, die leicht grünlich schimmerten, wenn das Sonnenlicht darauf fiel. Sie sah seine kleinen Fühler vor sich, die Facettenaugen und den zierlichen Körper. Sie zeichnete in Gedanken seine fragilen Flügel, zerbrechlich und doch stabil.
Als sie die Augen wieder öffnete, flatterte ein kleiner Falter vor ihnen. Doch er glich eher einer Motte, denn dem Schmetterling, den sie sich vorgestellt hatte.
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Die Chroniken von Seyl 2 - Die Herrscher der Wüste
FantasySenn und Alyn haben es geschafft: Sie haben den ersten Edelstein gefunden. Doch nun führt ihre Reise sie nach Skaramesch, das Land der Wüste. Der Weg dorthin ist nicht einfach, es lauern Piraten, die es insbesondere auf wohlhabende Reisende abgesehe...