Kapitel 45

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Langsam drehte ich mich um, vollkommen sprachlos auf die Gestalt vor mir starrend. „Ihr?", würgte ich hervor, während ich versuchte meine Stimme unter Kontrolle zu bringen. „Aber wie...?"

Der Graf lachte. „Ein kleines Magiekunststück. Ich gebe zu, es war nicht leicht und viele meiner Versuche waren vergeblich, deshalb bin ich genauso überrascht wie Ihr, jedoch aus anderen Gründen. Ich hätte nicht damit gerechnet, dass es tatsächlich funktioniert. So ein Zauber erfordert viel Vorbereitung. Ich habe jedoch einige Dinge erfahren, die für Euch unter Umständen von großer Bedeutung sein könnten."

Eilig schlüpfte ich in mein Hemd und der Graf wurde ernst. „Ihr seid dünn geworden. Nein, das stimmt nicht. Ihr seid regelrecht mager. Was ist geschehen?" Er flackerte kurz und erst jetzt, nahm ich mir Zeit, den Hintergrund zu betrachten. Der Graf befand sich in einer hell erleuchteten Bibliothek. Hinter ihm waren zahlreiche Regale von oben bis unten vollgestopft mit Büchern. Ein dunkelgrüner Sessel lud zum entspannten Sitzen ein, aber der Kommandant der Le'Hag schien lieber zu stehen. Es war etwas erschreckend, ihn in der weißen Uniform der Wächter zu sehen. Bei unseren bisherigen Zusammentreffen hatte er stets Zivilkleidung getragen.

Ich berichtete ihm eine stark verkürzte Form der Ereignisse.

„Rosena ist also ein Edelstein. Es ist kaum zu glauben. Aber wie sagt man so schön? Stille Wasser sind tief. Was für ein überaus großer..." Er schwieg kurz und ließ sich dann das Wort auf der Zunge zergehen. „... Zufall, dass Ihr sie damals mit Euch genommen habt."

Ich runzelte die Stirn. „Was wollt Ihr damit sagen?"

Er schüttelte den Kopf. „Nichts. Jetzt ist nicht der richtige Zeitpunkt für wilde Spekulationen. Ich habe auch einiges zu berichten" Sein nachdenklicher Blick verfinsterte sich zusehends. „Es wird gemunkelt, der wahre König sei aufgetaucht. Genauer gesagt, gibt es momentan große Differenzen. Es scheint nämlich gar zwei Könige zu geben."

Es gelang mir nicht, meine Überraschung zu verbergen. „Zwei Könige?", fragte ich ungläubig. Bis jetzt hatte ich stets große Zweifel gehegt, ob wir nicht einem Phantom hinterherjagten. Deshalb hatte ich die Suche nach den Edelsteinen auch dieser meiner Meinung nach aussichtslosen Aufgabe vorgezogen. Und nun sollte es gleich zwei Thronfolger geben? Etwa Geschwister?

„Ja, die Gerüchte halten sich. Einer von ihnen soll durchs Land reisen und gute Taten vollbringen. Die Oberen haben mir den Befehl erteilt, alle möglichen Mittel voll auszuschöpfen und diesen falschen Thronerben auszuschalten. Da ich nun nur noch der stellvertretende Kommandant bin, obliegt es mir und nicht Torz, der sich für die Aushebung einer Armee die Nächte um die Ohren schlagen muss. Ich muss gestehen, im gewissen Sinne bin ich erleichtert über meine Degradierung."

„Meine Glückwünsche", sagte ich sarkastisch.

Der Graf ging nicht darauf ein. „Bis jetzt jedoch konnte kein Erfolg verbucht werden. Niemand hat diesen ominösen König gesehen. Egal, welcher Spur wir nachgehen, sie führt stets ins Leere. Aber Ihr solltet Euch beeilen, denn irgendwann werden wir vielleicht Glück haben."

„Wir sind zu weit entfernt. Die Hälfte meiner Zeit ist abgelaufen, aber ich habe es gerade einmal geschafft, zwei Edelsteine zu versammeln. Aber Ihr spracht von zwei Königen."

„Oh ja, der zweite ist weitaus realer als dieses Phantom. Es handelt sich um den Ziehsohn Oriks."

„Ich wusste nicht, dass überhaupt einer der Oberen..." Mein Satz verlief ins Leere. Warum eigentlich nicht? Die Oberen waren kaum unsterblich.

„Der Junge ist etwas jünger als du. Ich glaube, vierundzwanzig. Vom Alter her kommt es hin, er ähnelt dem letzten König in der Tat und auch seine Vorgeschichte stimmt. Trotzdem bete ich zu allen Göttern, dass sich die Oberen irren. Timo mag ein netter Kerl sein, aber er ist schrecklich verblendet."

Die Chroniken von Seyl 2 - Die Herrscher der WüsteWo Geschichten leben. Entdecke jetzt