Wie festgefroren sah ich die Szenerie immer wieder vor mir und das, obwohl sie nur in meiner Einbildung existierte. Alyns Blick, nachdem ich ihr die Wahrheit erzählt hatte. Wie sie sich voller Abscheu von mir abwandte und aus dem Raum verschwand. In meiner Vorstellung befanden wir uns in einem schmucklosen Zimmer, so kahl wie mein Innenleben. Sie war stets von einem hellen Lichtschimmer erhellt. Auch jetzt wurde mir die Parallele zu der Legende um die Sal'ysála, bewusst. Stellte sich nur noch die Frage, bei welchem der beiden Götter es sich um mich handelte. Beladah, der durch die Karfunkelsteine gerettet wurde, oder sein Bruder, der trotz ihnen auf immer in der Dunkelheit eingesperrt blieb, bis er eines Tages vielleicht voller Rache zurückkommen würde.
Es machte jedoch einen Unterschied, selbst zu leiden oder die Person, die einem am wichtigsten auf der ganzen Welt war, leiden zu sehen. Hätte ich geahnt, wie sehr es Alyn bedrückte, meine Vergangenheit nicht zu kennen, hätte ich sie ihr zuliebe vielleicht schon eher erzählt. Doch mich ließ dieses dunkle Bild nicht los. Ich wollte nicht wieder allein sein. Nicht mehr. Ich wollte nicht in der Dunkelheit zurückbleiben, ohne Licht und Hoffnung.
Alyns Augen schimmerten feucht, aber sie weinte nicht. „Wie kann ich dir noch glauben?" Betrübt starrte sie gen Boden.
Jetzt war es an mir, sie sanft am Kinn zu fassen, sodass sie mich ansehen musste. „Weil ich dich nie anlügen würde. Ich schwöre es bei allem, was mir wichtig ist. Ich werde dir meine Geschichte erzählen, aber versprich mir, nicht zu hart über mich zu richten. Ich habe keinen Ruhm angehäuft."
Sie musste wider Erwarten lächeln. „Das weiß ich doch."
Als ich aufsah, stach mir Rosena ins Auge. Die junge Frau musterte mich intensiv. Ihr Blick schien alles zu durchdringen. Als wäre ich ein Kuriosum, welches sie seiner Merkwürdigkeit berauben wollte.
Alyn hingegen wich mir aus. Sie glaubte nicht an mein Versprechen und Scham überkam mich, ohne dass ich es hätte verhindern können. Ich wollte ihr nicht gegenüberstehen. Ich fürchtete mich davor. Mehr als alles andere wollte ich ihre Unterstützung und ihre Liebe, aber ich war befleckt. Viel mehr, als sie ahnte. Für die meisten meiner Taten gab es keine Rechtfertigung und das Schlimmste von allem: Ich würde mich in derselben Situation vermutlich wieder genauso entscheiden. Ich mochte heute die Wahl haben, aber damals war mir nichts anderes übrig geblieben. Ich würde immer mein eigenes Leben zuerst retten. Auch wenn ich dafür morden musste.
Doch das alles behielt ich für mich. Ich wollte nicht, dass Alyn mich mit meinen Augen sah. Sie würde sich verabscheut abwenden.
„Senn. Tu das nicht." Ihre Stimme durchbrach meine düsteren Gedanken. Besorgt fasste sie mich an meinem Arm und kurz erinnerte mich die Berührung an einen Mann, der mich in einer Zelle aufgesucht hatte, um Unaussprechliches zu begehen. Mein instinktives Zurückzucken konnte ich nicht verhindern.
Alyn biss sich auf die Lippe. Trotzdem ließ sie mich nicht los und ich war ihr dankbar dafür. Kasimir hatte die Geister der Vergangenheit geweckt und diese würden nicht eher ruhen, bis sie mich mit sich gerissen hatten. Ich klammerte mich an die Wärme, die Alyns Hand ausstrahlte, wie an einen Anker auf stürmischer See.
„Tu das nicht", wiederholte sie. „Verliere dich nicht selbst."
Dabei war ich doch schon längst verloren. Genauso wie Joarken, den ich nicht hatte retten können. Ebenso wenig wie die namenlosen Frauen, die vor meinen Augen gefoltert worden waren. Ich hatte es nicht verhindert. Irgendwann würde ich ihnen bereitwillig folgen, aber eine schallende Ohrfeige brachte mich zurück in die Wirklichkeit. Zornesfunkelnd starrte mich Alyn an und in ihren Sturmaugen tobte ein Gewitter.
Vollkommen verdattert rieb ich mir die schmerzende Gesichtshälfte. „Was war das?", fragte ich völlig fassungslos.
„Mach das nie wieder", sagte Alyn, anstelle einer Antwort.
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Die Chroniken von Seyl 2 - Die Herrscher der Wüste
FantasySenn und Alyn haben es geschafft: Sie haben den ersten Edelstein gefunden. Doch nun führt ihre Reise sie nach Skaramesch, das Land der Wüste. Der Weg dorthin ist nicht einfach, es lauern Piraten, die es insbesondere auf wohlhabende Reisende abgesehe...