Kapitel 38

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Eine dringende Nachricht von Fuchs bewegte Davide dazu, sein geliebtes Archiv zu verlassen und auch Krylanid den Rücken zu kehren. Sie war in schlechtem Akrid verfasst und lautete wie folgt: Hab Luipolt gefundn, brauchä hilfe. Du mussd kommen, Luipolt kann nicht nach Krilaniet reisn. Er ist schwär krank.

Wie es Fuchs gelungen war, von dem kleinen Dorf aus, in dem Luipold wohnte, einen Führer für Davide zu engagieren, war dem Archivar schleierhaft. Seiner grauenvollen Rechtschreibung zum Trotz war Fuchs ein heller Kopf mit vielerlei Talenten. So wartete eine junge Frau vor der Tür des Archivs.

Davide, der einen Mann erwartet hatte, erkundigte sich nach ihrem Begehr. Spitzfindig antwortete sie ihm. „Ich bin hier, weil jemand einen Führer braucht, um aus der Stadt zu kommen, obwohl er doch auf einem Berg alter Karten sitzt."

„Ich bin nun einmal ein Theoretiker", verteidigte sich Davide.

Die junge Frau versteckte ihre Haare unter einer Wollmütze, nur einzelne braune Strähnen fielen herab. „Ich mache das nur, weil ich Fuchs einen Gefallen schulde. Ich halte nichts davon, Leute, die zum Bleiben zu feige sind, bei der Flucht zu verhelfen, verstanden?"

„Aber ich will doch gar nicht fliehen", fühlte Davide sich genötigt, sich zu verteidigen.

„Ach und was willst du dann?" Abschätzig betrachtete sie ihn. „Du bist zwar eindeutig etwas schwächlich, aber definitiv nicht zu alt oder zu krank, um im Krieg zu kämpfen."

Nervös schob sich Davide die Brille mit dem Ringfinger nach oben. „Ich möchte einen Freund besuchen."

„Sowohl mein Mann als auch meine beiden Brüder würden gerne mich besuchen, aber sie dürfen nicht. Also spar dir deine Ausreden, verstanden?"

Davide zog es vor zu schweigen. Er hatte den Eindruck, dass, egal was er auch gesagt hätte, sie nur noch schlechter auf ihn zu sprechen wäre. Stattdessen schulterte er seine Tasche und verriegelte die Tür des Archivs.

Es fiel ihm schwer, seine Heimat und seinen Rückzugsort zu verlassen, doch er brauchte Antworten.

Die junge Frau ging voraus. Sie bewegte sich geschmeidig und fast lautlos, während Davides Schritte deutlich hörbar durch die Kanalschächte hallten. Behände wich sie braunen Pfützen aus und sprang über alte Gräben, ohne ihren Schritt zu verlangsamen. Je mehr Davide sich bemühte, nicht den Anschluss zu verlieren, desto schneller schien sie zu werden.

Bald fiel der Archivar in einen Laufschritt, seine Tasche schlug mit jeder Bewegung gegen seine Hüfte. „So warte doch", rief er schließlich.

Widerstrebend blieb sie stehen. „Sei nicht so langsam", murrte sie.

„Wisst Ihr, niemand zwingt Euch dazu, mich zu führen. Wenn es Euch so unangenehm ist, sollten sich unsere Wege hier besser trennen", keuchte Davide. Dann schluckte er, bevor er fortfuhr. „Ich sehe keinen Sinn darin, dass ich von den Gardisten erwischt werde, weil ich vor lauter Eile nicht einmal mehr auf den Weg achten kann."

„Drück dich doch nicht so geschwollen aus." Die Frau marschierte weiter, aber immerhin drosselte sie ihr Tempo, sodass auch Davide mithalten konnte.

Trotzdem hüllte sie sich den Rest des Wege in eisiges Schweigen. Vor einem alten verrosteten Gitter blieb sie schließlich stehen.

„Haben wir uns verlaufen?", wagte Davide vorsichtig zu fragen. Er schob seine Brille nach oben und starrte in die Dunkelheit dahinter.

„Nein", knurrte die Frau. Sie bückte sich und machte irgendetwas, was Davide nicht sehen konnte, weil ihr Körper ihm die Sicht versperrte.

Er streckte sich und versuchte einen Blick zu erhaschen, aber sie fuhr ihn an. „Glotz nicht so."

Die Chroniken von Seyl 2 - Die Herrscher der WüsteWo Geschichten leben. Entdecke jetzt