Kapitel 46

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„Alles geht so schnell. Vor ein paar Wochen war ich noch ein einsames Mädchen und jetzt soll ich mit dir die Welt retten. Dabei kann ich doch nicht mehr als das." Rosena wackelte kurz mit einer Hand und leuchtend bunte Schmetterlinge erhoben sich in die Luft, bis sie sich auflösten.

Warum kam sie immer wieder zu mir und vertraute mir ihre Ängste an? Ich hatte sie doch oft genug gekränkt und von mir gestoßen. Wie konnte sie nur zu mir aufsehen? Ich hatte Angst, sie zu enttäuschen.

Aber statt diese Gedanken auszusprechen, lächelte ich nachsichtig, ohne dass ich es hätte verhindern können. „Damit bist du immer noch mit mehr magischem Talent gesegnet als ich. Außerdem kommt es doch nicht auf die Stärke oder die Begabungen eines Menschen an, sondern vielmehr auf sein Innerstes. Das, was ihn wirklich ausmacht. Der Rest ist nur eine nette Draufgabe."

Jetzt musste sie leise lachen. „Das hätte von Alyn sein können."

Ich zuckte mit den Schultern. Ich wusste selbst nicht, woher diese seltsamen Worte stammten. „Sie hat mich wohl schon infiziert." Mit einem flapsigen Kommentar wollte ich meine Verlegenheit überspielen, aber Rosena starrte mich in der Dunkelheit mit großen Augen an. Sie schien geradewegs in mein Innerstes zu blicken und das war mir verdammt unangenehm.

„Warum schiebst du es immer auf?"

Ich zuckte mit den Schultern. „Weil ich Angst habe, vor dem, was passieren wird, wenn sie es erfährt", antwortete ich ungewohnt ehrlich.

Rosena schüttelte den Kopf. „Sie wird es überleben. Es ist viel schlimmer, die ganze Zeit zu spüren, wie deine große Liebe dir etwas verheimlicht. Vermute ich mal..." Die letzten Worte murmelte sie eher.

„Was macht ihr da?" Eine verschlafene Stimme ließ uns zusammenzucken.

„Ich... Wir...", stotterte Rosena, während sie sich von mir löste.

Alyn funkelte mich an und schaffte es, trotz zerknautschter Frisur zum Niederknien auszusehen.

„Rosena hatte einen Albtraum", erklärte ich und Alyn runzelte die Stirn.

„Das tut mir leid." Auf einmal wirkte sie besorgt. „War er sehr schlimm?"

Rosena schüttelte verlegen den Kopf. Ihre Hände krallten sich in ihr Nachtgewand und sie begann es nervös zu kneten. Das Ganze erinnerte mich so sehr an jenen Abend, an dem sie uns Ungeheuerliches gestanden hatte, dass ich ruckartig aufstand und unruhig auf und ab lief, bis Alyn mich mit einer entschiedenen Geste packte und festhielt.

„Senn, entspann dich."

Ich ließ meine Schultern sinken und setzte mich neben sie. Rosena sank zurück in ihr Bett. „Wir sollten schlafen. Ich denke nicht, dass mein Traum wiederkehren wird." Ihre zittrige Stimme strafte ihrer Worte Lügen.

„Ja das sollten wir", erwiderte ich lahm. Schließlich war es nicht mein Problem. Zumindest versuchte ich mir das einzureden.

Alyn runzelte die Stirn. „Bist du sicher, dass alles in Ordnung ist?"

Rosena nickte und wir legten uns nieder.

Bis zum Morgen waren uns nur noch wenige Stunden vergönnt, aber in diesen plagten mich ausnahmsweise keine schlechten Träume und ich konnte durchschlafen. Als ich schließlich von der Sonne geweckt wurde, waren die Schrecken der Nacht fern und nicht mehr als bleiche Abbilder.

Ich streckte mich ausgiebig und da ich mich zum ersten Mal seit Langem richtig erholt fühlte, schlich ich mich aus dem Raum und führte draußen im Schatten des Stallgebäudes einige Übungen aus. Obwohl meine Muskeln schwächer waren und meine Gelenke bei jeder Bewegung zu protestieren schienen, fühlte es sich gut an, in den altbekannten Bewegungsrhythmus zu fallen. Das war meine Welt. Nicht diese Gefühlschaos, das mich nicht mehr schlafen ließ. Man hatte mich zu einer Waffe geformt und Waffen besaßen kein Herz. Warum nur klopfte dann eines so heftig in meiner Brust und ließ mich Dinge sagen und tun, die mich glauben ließen, ich sei mehr?

Die Chroniken von Seyl 2 - Die Herrscher der WüsteWo Geschichten leben. Entdecke jetzt