Kapitel 71

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Die nächsten Tage liefen ähnlich ab. Vor Sonnenaufgang holte mich Rashkel ab und hetzte mich um die ganze Feste, bevor er mir Dehnübungen anordnete. Nach einer kurzen Pause, in der ich zumeist Chandri besuchte und mit ihr gemeinsam buk, reichte mir Rashkel meine Sennen, sodass ich gegen ihn in einem Übungskampf antreten konnte. Anfangs ging es mir nicht anders als beim ersten Mal, aber jeden Tag hielt ich ein bisschen länger durch, bis ich ihn am sechsten Tag entwaffnete. Rashkel schlug mir daraufhin grinsend auf die Schulter mit den Worten „Du bist wieder da". Nachmittags setzten wir uns zusammen und führten lange Gespräche.

Hätte das Turnier nicht wie ein Schatten über mir gehangen, hätte ich die Zeit fast genießen können, denn niemand verlangte von mir, irgendwelche Menschen zu töten. Noch nicht. Doch auch der Gedanke an Alyn und Rosena trübte meine Stimmung. Zudem wusste ich, dass meine Zeit ablief.

Zu Beginn der zweiten Woche meiner Rückkehr traf ich auf Karim. Nach einem langen Aufenthalt in den Bädern war ich gerade auf dem Weg zu Rashkel, als er mir entgegenkam.

„Kasar", begrüßte er mich. Verschwörerisch steckten wir die Köpfe zusammen. „Hast du Rashkel schon überzeugen können?" Er grinste, als er meine erstaunte Miene sah. „Wenn es einer schafft, diesen sturen Bock auf unsere Seite zu ziehen, dann du."

„Ich weiß nicht. Ich bin mir sicher, dass er viele Handlungen vonseiten des Großmeisters und seiner Unterstützer nicht gutheißt, aber ich glaube, er steht auf seiner eigenen Seite."

„Arbeite weiter daran. Ach ja, Sphen hat sich mit deinen Frauen getroffen. Ihnen geht es den Umständen entsprechend gut. Sie sind bereit."

Ein Lächeln stahl sich mir auf die Lippen. Natürlich waren sie das. „Morgen Abend", sagte ich. „In den Stallungen. Ich werde Rashkel mitbringen. Sollte ich nicht auftauchen, müsst ihr ohne mich handeln."

Karim nickte. „Ich werde es weitergeben. Bist du dir sicher, dein Plan wird funktionieren?"

„Ich weiß es nicht. Aber mir ist nichts Besseres eingefallen. Es wird euch die Gelegenheit geben, das Ruder herumzureißen."

Eine Gruppe Assassinen, die an uns vorbeikam, grüßten Karim ehrerbietig und ignorierten mich. „Ich muss gehen", entschied ich. „Man sollte uns nicht zu oft miteinander sehen."

Karim verabschiedete sich und ich eilte weiter.

„Du wirkst zerstreut", stellte Rashkel fest.

Ich bemühte mich um ein Lachen, das mir reichlich misslang. „Ich denke über eine rein hypothetische Sache nach."

„Die da wäre?"

„Wenn die Assassinen wieder an den Kodex zu glauben beginnen, würdet Ihr das gutheißen?"

„Du willst natürlich eine rein hypothetische Antwort."

Ich nickte.

„Natürlich ja. Unser Orden ist längst verkommen. Wir leben jenseits der Gesetze und niemand traut sich, uns Einhalt zu gebieten. Wenn es kein anderer macht, dann müssen wir uns selbst darum kümmern."

„Wenn der Kodex plötzlich wieder auftauchen würde, würdet Ihr dann gegen diejenigen vorgehen, die sich weigern, seine Regeln zu akzeptieren?"

Rashkel schwieg lange, dann seufzte er, während er sinnierend in die Ferne starrte. „Ich schätze, es muss getan werden. Aber was soll das alles? Diese merkwürdigen Fragen."

„Nichts. Es war ja nur hypothetisch."

Er betrachtete mich aus gerunzelter Stirn. „Meine Augen mögen vielleicht allmählich schwächer werden, aber mein Verstand ist dadurch nicht beeinträchtigt. Was hast du vor?"

Die Chroniken von Seyl 2 - Die Herrscher der WüsteWo Geschichten leben. Entdecke jetzt