Wir betraten das kühle Innere der Festung. Ein langer Gang tat sich vor uns auf, von dem zahlreiche Türen und weitere Gänge abzweigten. Zu unserer Linken befand sich eine breite Treppe aus dunklem Holz. In einem baumlosen Land wie Skaramesch ein absoluter Luxus. Doch in dieser Festung gab es zahlreiche Balken und Treppen, für die hunderte Bäume gefällt werden mussten.
Der Boden bestand aus rauem Stein, nur in den höheren Stockwerken war er aus robustem Holz. In der großen Halle, dem Raum, in dem all die Orden und Ränge verliehen wurden, hatte man sogar edle Marmorfliesen gelegt. Viele junge Rekruten wurden regelmäßig dazu verdonnert, diese auf Hochglanz zu polieren.
Hier unten gab es nur wenige Fenster. Falls es jemandem tatsächlich gelang, die Mauer zu überwinden, sollte ihm das weitere Eindringen so gut wie möglich erschwert werden. So wurde der Gang nicht von Sonnen-, aber von Fackellicht erhellt. Hier unten war ich noch nie gerne gewesen. Die dicken Mauern schienen stetig massiver zu werden und alles Licht und Leben dazwischen zu schlucken. Jedes Mal, wenn ich mich in den labyrinthartigen Gängen aufhielt, überfiel mich ein Gefühl von Beklemmung. Der Rest der Assassinen empfand teilweise nicht anders. Kein Wunder, dass die meisten Antragsteller oder Gefangenen bereits zermürbt waren, ehe sie überhaupt dem Großmeister oder anderen hochrangigen Mitgliedern gegenübergestellt werden konnten.
Den Weg zum Arbeitszimmer des Großmeisters kannte ich wie kein zweiter. Nur wenige der Männer sahen es jemals von innen, aber ich war regelmäßig dort ein- und ausgegangen. Zwar wusste theoretisch jeder, wo sich dieser Raum befand, aber die meisten liefen einfach daran vorbei. So auch die Wachen. Während ich vor einer unscheinbaren Holztür stehen blieb, eilten sie weiter den Gang entlang. Bis auf den Säbelträger, der mich immer noch am Arm gepackt hielt. Ärgerlich blieb er stehen. „Was soll das?"
Ich hob provozierend eine Augenbraue. „Ich dachte, ich solle den Großmeister aufsuchen?"
„Oh ja, und das wirst du auch." Er zog wieder an meinem Arm, aber ich blieb stocksteif stehen.
„Weißt du denn überhaupt, wo sich seine Räumlichkeiten befinden?"
„Natürlich." Er klang ungehalten.
„Warum seid ihr dann alle daran vorbeigelaufen?"
„Wir sind nicht daran vorbeigelaufen. Wir müssen in einen anderen Korridor."
Ich musste gestehen, dass es mich amüsierte, mit ihnen zu spielen, wie eine Katze es mit einer Maus tat. „Wart ihr jemals in seinem Arbeitszimmer?"
Der Säbelträger runzelte die Stirn. „Nein, aber das macht keinen Unterschied." Trotzdem wirkte er nicht nur verwirrt, sondern auch zunehmend nachdenklich. Ich hatte ihn kalt erwischt und für einen Moment hatte er seine professionelle Maske fallen lassen. Mehr brauchte ich nicht.
„Sie haben euch angelogen. Zum Schutz des Großmeisters wird immer behauptet, seine Räumlichkeiten befänden sich hinter dieser großen mit goldenem Stuck verzierten Tür. Es ist nur eine der vielen Lügen, die euch erzählt werden. Niemand wagt es diese anzuzweifeln. Schließlich scheint das nur für einen Großmeister angemessen, nicht wahr? Tatsächlich liegen seine prunkvollen Gemächer jedoch hinter dieser unscheinbaren Tür. Niemand würde je darauf kommen."
„Du lügst!", widersprach der Assassine.
Ich zuckte mit den Schultern und klopfte an. Ein „Herein" ertönte und ich warf einen Blick über die Schulter, bevor ich der Anweisung Folge leistete. Die anderen Wachen hatten sich inzwischen zu uns gesellt und jede von ihnen trug einen neugierigen Blick zur Schau. Sie drängten darauf zu sehen, was sich hinter der Tür befand. Nun - ich wollte ihnen gerne Gewissheit verschaffen.
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Die Chroniken von Seyl 2 - Die Herrscher der Wüste
FantasySenn und Alyn haben es geschafft: Sie haben den ersten Edelstein gefunden. Doch nun führt ihre Reise sie nach Skaramesch, das Land der Wüste. Der Weg dorthin ist nicht einfach, es lauern Piraten, die es insbesondere auf wohlhabende Reisende abgesehe...