Der Dschungel wirkte von Nahem bei Weitem bedrohlicher. Ich starrte unbehaglich in das dunkelgrüne Blätterwerk. Irgendwo dort drinnen lebte ein Volk, das unser aller Leben retten konnte.
Der Glatzkopf neben mir schien meine Gedanken zu teilen. Sein Gesicht spiegelte seinen Zwiespalt zwischen Hoffnung und Resignation.
Ich hatte darauf bestanden, ihn mitkommen zu lassen. Er musste seinem Käpt'n helfen, andernfalls wäre er seines Lebens nicht mehr glücklich geworden. Die Piratin hatte nach einigem Zögern meinen Bitten nachgegeben und ihn mir als Begleitung zugeteilt. Am Ende hätte man ihn sowieso in den Dschungel geschickt, weil er sie angegriffen hatte, obwohl Doms Mannschaft bereits kapituliert hatte. Für die Jamarer eine besonders ehrlose Tat.
Aöwe klopfte mir auf die Schulter. „Ich wünsche euch viel Glück. Ihr habt zehn Tage. Dann ist es zu spät. Segrele wird alles tun, um Dominic so lange am Leben zu halten."
Ich schulterte meinen Rucksack. Er war nicht sonderlich schwer. An meinem Gürtel hing ein mir unbekanntes Gewicht. Die Piratin hatte mir eine große Klinge überreicht. „Das ist eine Machete. Mit ihr kannst du dir den Weg freihieben." Ich hatte sie zögerlich entgegengenommen. Ich war mit der Waffe nicht vertraut, aber ich sah ein, dass sie sich vielleicht noch als unentbehrlich herausstellen könnte.
Der Glatzkopf, dessen Name ich immer noch nicht kannte und der immer noch hartnäckig schwieg, bekam ebenfalls eine Machete. Er schwang sie geschickt durch die Luft und kam mir dabei so nahe, dass ich fast zurückgewichen wäre, wenn mich mein jahrelanges Training nicht auf genau solche Situationen vorbereitet hätte. So zuckte ich nicht mit der Wimper, was der Glatzkopf, ohne das Gesicht zu verziehen, zur Kenntnis genommen hatte.
Langsam bewegte ich mich auf die kleine Schneise zu, von der aus man auf den Pfad, der tiefer in den Dschungel führte, gelangen konnte. Kurz blickte ich nochmal zurück und Aöwe nickte mir aufmunternd zu. Die beiden grimmigen Piraten neben ihr hoben ihre Waffen. Die Warnung war eindeutig. Sollte ich es mir anders überlegen, wäre mein Leben verwirkt. Auch wenn Aöwe und ich uns verstanden, wusste ich doch, dass sie mir nicht zur Hilfe kommen würde. Es war meine Mutprobe.
Ich verfluchte den Kapitän, der mir das alles eingebrockt hatte. Die Flussräuber waren offenbar der Meinung, der junge Mann habe versucht, ihre Anführerin vor seinem eigenen Matrosen zu retten. Ich wusste nicht, wen er damit hatte retten wollen. Seine Stiefmutter oder doch seinen Matrosen, der durch einen Mord sofort sein Leben verwirkt hätte.
Kurz warf ich einen Blick auf den Glatzkopf, der in eine ausführliche Musterung des Dschungels versunken war. Er schien der Meinung zu sein, dass sein Kapitän sich für ihn opfern hatte wollen.
Was hatte Dom wirklich vorgehabt? Gab es überhaupt einen Plan oder war es mehr eine rein instinktive Handlung gewesen?
„Die Zeit läuft", meldete sich Aöwe ungeduldig zu Wort.
Ich zwang mich zu einem Lächeln. „Ich werde rechtzeitig zurück sein." Mit diesen Worten marschierte ich los. Ich drehte mich nicht mehr um.
Der Pfad führte tiefer ins Blattwerk und meine Augen passten sich an die Dunkelheit an. Ich hatte erwartet, dass der Dschungel, ähnlich wie die Wälder Seyls, eher ein ruhiger Ort sein würde, aber ich hatte mich geirrt. Von allen Seiten drang Zwitschern, Rascheln und sogar Gebrüll auf uns ein. Ich konnte jedoch kein einziges Tier sehen, egal wie sehr ich meine Umgebung auch absuchte.
Der Glatzkopf neben mir zuckte bei jedem Brüllen zusammen. Schnell wurde der Pfad enger und wir mussten hintereinander gehen. Weil mein Begleiter zögernd stehen blieb, übernahm ich die Führung. Immer wieder versperrten uns Pflanzen den Weg, aber die Machete leistete gute Dienste.
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Die Chroniken von Seyl 2 - Die Herrscher der Wüste
FantasySenn und Alyn haben es geschafft: Sie haben den ersten Edelstein gefunden. Doch nun führt ihre Reise sie nach Skaramesch, das Land der Wüste. Der Weg dorthin ist nicht einfach, es lauern Piraten, die es insbesondere auf wohlhabende Reisende abgesehe...