Kapitel 7

44 12 13
                                    

Laut dem Kapitän würden wir das seylsche Hoheitsgebiet im Laufe des dritten Tages verlassen. Meine Anspannung wuchs von Sekunde zu Sekunde. Es half nicht, dass mich drei der Matrosen mit hasserfüllter Miene beobachteten und nur darauf warteten, dass ich unaufmerksam wurde. Es fiel mir schwer zu verstehen, warum sie derart gekränkt waren, dass sie eine Bestrafung durch den Kapitän riskierten. Verletzter Stolz war etwas Gefährliches, aber ich hatte früh lernen müssen, dass es nie gut war, sich von seinen Gefühlen überwältigen zu lassen. Wenn ich diese Lektion nicht verinnerlicht hätte, wäre ich heute nicht mehr am Leben.

Der Kapitän hatte uns eine eigene, wenn auch winzige, Kajüte überlassen, in der wir drei nächtigen konnten. Einigen der Matrosen wäre es sowieso unangenehm gewesen, wenn die beiden Frauen im Mannschaftsbereich geschlafen hätten. Ein Teil war offenbar recht abergläubisch und befürchtete, sich den Zorn des Flussgottes zuzuziehen, wenn er Umgang mit dem schönen Geschlecht pflegte. Als wäre es einem gelangweilten Herrn des Fließgewässers nicht völlig egal, was die Menschen auf ihren Schiffen trieben, solange es keine Konsequenzen für den Fluss hatte. Er war vermutlich mehr erzürnt über die andauernde Verschmutzung, denn über potenzielle Liebeleien.

Rosena verbrachte die ersten beiden Tage zum Großteil mit Mika. Der Bruder des Kapitäns hatte aus irgendeinem Grund einen Narren an der jungen Frau gefressen. Tuschelnd saßen die beiden oft nebeneinander, die Köpfe zusammengesteckt.

Ich konnte sehen, dass ihm der Umgang mit ihr guttat, denn sein Gesicht wirkte fröhlicher. Möglicherweise lag das auch daran, dass er seit dem Abend, an dem wir auf ihn gestoßen waren, keinen Alkohol mehr angerührt hatte. Und ich war mir ziemlich sicher, dass Alyn die körperlichen Entzugserscheinungen verringert hatte, während Rosena ihm eine mentale Zuflucht bot.

Der Kapitän schien über diese Entwicklung zwiespältige Gefühle zu hegen. Er stand oft achtern und beobachtete den Arbeitsablauf an Bord, konnte sich jedoch die Seitenblicke auf seinen Bruder nicht verkneifen. Alyn kletterte munter in schwindelerregende Höhen, schwang sich von Mast zu Mast und wirkte, als wäre sie dazu geboren worden, Seilkunststücke aufzuführen.

Nachdem ich sie einmal aus Gereiztheit angefahren hatte, mied sie meine Nähe. Sie erklärte mir, ich wäre wie ein eingesperrtes Tier, das an den Gitterstangen seines Käfigs ruhelos auf und ab wanderte. Damit hatte sie recht. Ich konnte nicht stillsitzen, rannte von einer Seite des Decks zur anderen. Setzte mich, nur um sofort wieder aufzuspringen, wälzte mich im Schlaf hin und her, ohne dass ich jemals wirklich vollständig wegdämmerte.

Noch eine Nacht, sagte ich mir. Dann würde sich herausstellen, ob ich zu hoch gepokert hatte oder nicht.

Als ich am späten Nachmittag des zweiten Tages steuerbords ans Ufer starrte, stand auf einmal der Kapitän neben mir. Meine Hand, die schon zu meinem Dolch gezuckt war, senkte sich wieder.

„Was versetzt Euch in so große Nervosität, dass Ihr beim geringsten Geräusch sofort zu Eurer Waffe greift?"

Wortlos starrte ich ihn an und er hob eine Augenbraue. Alyn hatte recht – obwohl wir uns nicht ähnlich sahen, besaßen wir das gleiche Mienenspiel.

„Die Hand an der Waffe hat mich stets am Leben bewahrt und ich habe nicht vor zu sterben."

Er runzelte die Stirn. „Eines Tages möchte ich Eure Geschichte erfahren. Ihr scheint mir ein interessanter Zeitgenosse zu sein."
Ich lächelte süffisant. „Dito."

„In meiner Vergangenheit gibt es nichts von Bedeutung."

„Verzeiht mir, wenn ich Euch nicht glaube."

Er seufzte und wir schwiegen für eine Weile.

Erschrockene Rufe wurden laut und wir fuhren beide herum. Der Grund für die Aufregung unter den Matrosen war Alyn, die gerade tatsächlich durch die Luft geflogen war und jetzt mit einem schmerzhaft klingenden Geräusch gegen den Fockmast prallte. Statt jedoch abzurutschen, schaffte sie es irgendwie, ihren Schwung zu nutzen und in den Wanten zu landen.

Die Chroniken von Seyl 2 - Die Herrscher der WüsteWo Geschichten leben. Entdecke jetzt