Kapitel 25

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„Ich möchte, dass du der heutigen Sitzung beiwohnst", verkündete Orik und riss Timo damit aus seinen Träumereien. Er sollte nicht so oft an Delia denken.

Seit ihrer letzten Begegnung waren Wochen vergangen. Einmal hatte Timo es gewagt, ihr Haus aufzusuchen, aber sie war nicht da gewesen. Eine Nachbarin hatte ihm einen misstrauischen Blick zugeworfen, deshalb war er eilig wieder verschwunden und hatte sich nicht getraut, noch einmal dorthin zurückzukehren.

Was für ein elender Feigling er doch war. Er war der Prinz von Seyl, er sollte sich von einer harmlosen Nachbarin nicht abschrecken lassen.

„Junge, hast du gehört, was ich gesagt habe?" Oriks verärgerte Stimme ließ Timo auffahren.

„Ja, Vater."

„Gut. Ich erwarte dich in einer Stunde vor dem Sitzungssaal. Wehe, du kommst wieder zu spät."

Die letzten Worte ließen Timo auffahren. Seit er sich bei dem Bankett verspätet hatte, ermahnte ihn der Obere Kriegsminister immer und immer wieder, als wäre er ein kleines unzuverlässiges Kind und kein zukünftiger Herrscher!

Nichtsdestotrotz beeilte sich Timo, sodass er sich zehn Minuten zu früh vor der mit aufwendigen Schnitzereien verzierten Türe einfand. Auf ihr war die Zusammenkunft des ersten Rates abgebildet, die Gesichter jedoch längst abgesplittert oder arg in Mitleidenschaft gezogen.

Timo blickte sich unsicher um. Niemand war zu sehen, doch es dauerte nicht lange, da fand sich der Graf von Verdun ein. Er trug wie auch sonst einen einfachen Anzug.

Als er Timo erkannte, huschte ein merkwürdiger Ausdruck über seine Züge. „Guten Tag, der junge Herr", grüßte er freundlich wie immer.

Timo erwiderte den Gruß. Dann wusste er jedoch nicht, was er sagen sollte und verlagerte unruhig sein Gewicht von einem Bein auf das andere.

„Darf ich fragen, was Ihr hier macht?"

„Mein Vater möchte, dass ich der heutigen Sitzung beiwohne."

„Warum steht Ihr dann hier draußen?"

„Ich soll doch hier warten."

Der Graf zuckte mit den Schultern. „Wie Ihr meint. Doch der Obere Kriegsminister ist sicher schon im Raum."

Er öffnete die Tür, ohne anzuklopfen, was an sich einer Ungeheuerlichkeit gleichkam. Vermutlich war der Le'Hag der einzige Mann, der sich so etwas erlauben konnte. Vorsichtig lugte Timo hinter dessen Rücken hervor. Verdun hatte recht behalten, sein Ziehvater saß tatsächlich bereits an seinem Platz.

Auch die meisten anderen Sitze waren bereits besetzt.

Neben den Oberen waren auch Torz, der neue Kommandeur der Le'Hag, sowie Herzog von Sumreck und die beiden Grafen von Ratna und Winterau anwesend.

Verdun setzte sich neben Torz, der ihn verächtlich angrinste. „Wie ist denn die Luft dort hinten?", fragte er, nur weil er sich einen Platz näher an den Oberen befand. Er schien seine Position zu genießen. Der ehemalige Kommandant verzog hingegen keine Miene. Stattdessen ignorierte er seinen Sitznachbarn völlig.

„Da bist du ja", sagte Orik. „Und sogar pünktlich. Setz dich neben mich."

Der Herzog von Sumreck, der diesen Platz zuvor eingenommen hatte, wirkte verärgert, traute sich aber nicht, etwas gegen die Anweisung des Oberen zu unternehmen.

Timo gegenüber starrte Kurtis, der Graf von Winterau, auf den Tisch, als wäre dieser ungemein faszinierend. Neben ihm saß der wesentlich ältere Graf von Ratna.

Die Tür öffnete sich und eine Frau trat ein. Es handelte sich bei ihr um die königliche Erzieherin, die diesen Titel noch immer trug, obwohl es schon seit über zwei Jahrzehnten keinen König mehr gab. Timo überlegte, ob sie einmal die Lehrerin seiner Kinder sein würde. Der Gedanke erschreckte ihn, denn die Frau war absolut streng und hielt die meisten Menschen für unter ihrer Würde. Auch wenn sie Kinder scheinbar ehrlich mochte, wie Timo gehört hatte.

Die Chroniken von Seyl 2 - Die Herrscher der WüsteWo Geschichten leben. Entdecke jetzt