Kapitel 37

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Draußen hatte das Treiben zugenommen. Ich bestand darauf zu laufen, denn mit den Pferden hätte es kein Durchkommen mehr gegeben. Im Gegensatz zu den Menschen aus Seyl war es den Skara scheinbar relativ egal, vor die Hufe eines Tieres zu geraten.

Ich ergriff Alyns Hand, damit ich sie nicht verlor. Immer wieder mussten wir anhalten, weil Alyn staunend vor einem Gebäude, dessen Architektur ihr imponierte, innehielt oder wenn ihr die Auswahl an einem der zahlreichen Stände gefiel. Sogar ein Streuner, der genauso aussah wie die Hunde in Seyl, war so interessant, dass an ein Weiterkommen nicht mehr zu denken war. Und das nur, weil ich eine Meute anderer Hunde vertrieben hatte, die ihren Artgenossen gehetzt hatten.

„Wir müssen weiter", gab ich genervt von mir, während Alyn in eine Hockstellung gegangen war und entzückt auf das treudoofe Gesicht des Straßenköters blickte.

„Ist der nicht süß?"

„Ja, aber vermutlich bietet er Tausenden von Flöhen eine sichere Heimat. Lass uns weitergehen."

„Aber ich kann ihn doch nicht einfach hierlassen."

„Das ist ein Straßenhund. Der kann für sich selbst sorgen."

Jetzt winselte das Tier auch noch und ich konnte nichts dagegen tun, als ebenfalls in die Hocke zu gehen.

Das arme Tier legte den zerrupften Kopf schief. Mit seinen dunklen Augen starrte er bettelnd zu uns hinauf.

„Er ist so zutraulich", flötete Alyn. Das war in der Tat überraschend. Für gewöhnlich behielten diese Hunde ihr Misstrauen gegenüber Menschen ein Leben lang.

„Und Träger zahlreicher Krankheiten."

Sie seufzte und stand auf. „Lass uns gehen."

Erleichtert erhob ich mich ebenfalls. Alyn warf einen letzten Blick auf den struppigen Hund, dann ergriff sie meine Hand und ich zog sie weiter durch das Gewühl.

Während Alyn aus Neugier in alle Richtungen starrte, tat ich es aus Unwohlsein. Wieder hatte ich das seltsame Gefühl beobachtet zu werden.

Auf einmal strich mir etwas am Bein entlang und mein Blick raste gen Boden in Erwartung eines Taschendiebes. Stattdessen sah ich in ein Hundegesicht. Der Straßenköter von vorhin ließ hechelnd seine Zunge aus dem Maul hängen, während er mich keinen Moment aus den Augen ließ. Sabber tropfte von seinen Lefzen auf den Boden. Erleichterung überkam mich. Offenbar hatte es sich bei dem geheimnisvollen Beobachter nur um den Hund gehandelt.

„Geh weg", befahl ich, aber er legte nur den Kopf schräg.

„Hau ab!", wiederholte ich energischer, während ich mit einer Geste irgendwohin wies. Alyn packte meinen Arm und drückte ihn an sich.

„Sei nicht so gemein. Das arme Tier."

Ich seufzte. „Das haben wir nun davon. Lass uns weitergehen." Vielleicht würde der Hund von selbst verschwinden. Tiere hatte ich noch nie schlagen können.

Leider erfüllte sich meine Hoffnung nicht. Das Tier folgte uns bis zur Wellenkönigin. Das Schiff schien verlassen. Wahrscheinlich waren die Matrosen bereits in der Schenke. Rosena und Mika konnte ich nirgends sehen.

Die Abendsonne stand noch knapp über dem Hafentor, dessen langer Schatten bis zu unserem Standplatz reichte. Noch war das Gitter heraufgezogen, aber sobald die Sonne untergegangen war, würde es herabgelassen werden.

„Senn! Alyn!" Eine aufgeregte Stimme drang an unser Ohr. Rosena kam auf uns zugeeilt. Ihr helles Haar hatte sich aus der Flechtfrisur gelöst, die sie zuvor getragen hatte, und ihr Gesicht war gerötet. Mika folgte der jungen Frau in etwas gemächlicheren Schritten.

Die Chroniken von Seyl 2 - Die Herrscher der WüsteWo Geschichten leben. Entdecke jetzt