Kapitel 32

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Delia fand ihn vor ihrer verschlossenen Tür. Er hatte sich in den kalten Schnee gesetzt und den Kopf an das raue Holz gelehnt.

„Timo?", rief sie aus. „Was machst du denn hier?"

„Wenn ich das wüsste", murmelte er. Dann erhob er sich steif gefroren. „Ich habe auf dich gewartet."

Sie seufzte. „Komm rein." Sie schloss auf und er folgte ihr. Wieder zündete sie als Erstes die Lampe an und entfachte dann das Feuer. „Komm schon her, du bist ja ganz unterkühlt."

Dankbar setzte er sich vor den Kamin. Sie hantierte in der Küche, oder vielmehr an der einzelnen Wand, die als Küche fungierte. „Ich habe nicht mit dir gerechnet", erklärte sie.

„Du warst nie zu Hause", meinte Timo. „Deshalb habe ich beschlossen auf deine Rückkehr zu warten."

„Ich war bei meinem Verlobten. Solange er noch hier ist. Sobald die Tage wieder etwas wärmer werden und die Schneedecke schmilzt, wird er in den Norden gehen."

Timo wusste nicht, was er darauf erwidern sollte. Er kannte ihre Abneigung gegenüber den Oberen. „Du hast mir versprochen, dass du mich herumführst. Mir deine Welt zeigst."

„Das hast du dir gemerkt?"

Sie lehnte sich gegen die Theke und wartete darauf, dass der Teekessel zu pfeifen begann.

„Bitte", flehte Timo. „Ich muss lernen, mein Volk zu verstehen."

„Bei den Göttern, ich hätte nie gedacht, dass mich sowas der angebliche König fragt. Na gut, wenn ich dir dabei die Augen öffnen kann, dann sollte ich es wohl tun."

„Jetzt gleich?"

Ein Pfeifen durchbrach die Stille, die auf seine Worte folgte. Delia schüttete den Tee in eine Tasse mit einem zerbrochenen Henkel. „Hier." Sie reichte sie ihm. „Werd erst mal wieder warm."

Der Tee schmeckte nach Kräutern und war so heiß, dass sich Timo die Zunge verbrühte. Er verzog das Gesicht.

Delia setzte sich ihm gegenüber, einen kleinen Becher in der Hand. „Du musst warten, bis er etwas abgekühlt ist."

Timo wurde rot. „Normalerweise stelle ich mich nicht so dumm an", erklärte er.

Sie grinste nur.

Er genoss das Schweigen zwischen ihnen. Es war ein Schweigen ohne Erwartungen an ihn. Bisher hatten alle immer irgendetwas von ihm verlangt. Dinge, von denen er sich nicht sicher sein konnte, ob es ihm möglich war, sie zu erfüllen. Delia hingegen hatte sich ihre Meinung bereits gebildet. Timo war sich ziemlich sicher, dass sie schlecht von ihm dachte. Er würde ihr das Gegenteil beweisen.

Nachdem sie den Tee getrunken hatte, war Timo mollig warm. „Danke", sagte er.

Sie erhob sich. „Dann komm mit."

Gespannt folgte er ihr. Endlich lernte er die Welt aus ihren Augen kennen. Er würde ihr beweisen, dass ihre Sicht einfach zu negativ war, und dann würde er ihr zeigen, was die Oberen alles für ihr Land taten.

Sie schmiss ihm ein unförmiges Stück Stoff zu. „Zieh das über."

„Warum?", fragte er, während er das braune Ding entfaltete. Es besaß einige Löcher und roch scheußlich. Er verzog das Gesicht.

Sie musterte ihn. „Jetzt hab dich nicht so. Wenn ich dir meine Welt zeigen soll, musst du das überziehen. Die Leute sehen Gardisten nicht gerne."

Er sah an sich herunter. Er war auf seine blaue Gardeuniform immer recht stolz gewesen, repräsentierte sie doch Recht und Ordnung.

Aber weil Delia nicht nachgab, streifte er sich den Umhang über. Sie nickte. „Besser."

Die Chroniken von Seyl 2 - Die Herrscher der WüsteWo Geschichten leben. Entdecke jetzt