Kapitel 4 - Reyna

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Schmerz. Das war alles was Reyna fühlte. Egal ob auf Veilans Rücken in der Luft, beim Kampf gegen die Dunkelelfen, oder als sie frierend am Feuer saß. Der Schmerz war immer da.

Doch es war nicht der Körperliche Schmerz, welcher sie in eine Endlose Tiefe zog. Weder der in ihrem Gesicht, wo die Klinge des Winterprinzen sie getroffen hatte, noch der in ihren Beinen, ihrem Rückens, oder ihren Händen, Nein.

Es war der Schmerz in ihrem Herzen, welcher sie am meisten quälte. Der Winterprinz hatte ihr ihr Herz mit seiner eisigen Klinge herausgeschnitten, als er ihren Geliebten Edward getötet hat.

Sie begann am ganzen Leib zu Zittern, als ihr erneut die Bilder des Kampfes in den Sinn kamen. Die beiden weißen Drachen, welche die Kreuzstadt in Flammen legten. Anora, welche von Orks überrannt worden war.. Edward, welcher sie vor dem Winterprinzen beschützen wollte und dies mit seinem Leben bezahlt hatte.

Und Norie, der sie Verraten hatte. Norie. Ihr bester Freund seit sie Kinder gewesen waren. Er hatte sie verraten. Er hatte ihrem Vater einen Pfeil in den Hals geschossen und ihn umgebracht.

Das Zittern wurde stärker. Ihre Hände verkrampften sich und begann zu zucken.

„Reyna! Wach auf!" Rief eine glockenhelle Stimme.

Dann traf sie etwas hart im Gesicht und ihr Kopf flog herum.

„Reyna! Du musst aufwachen!"

Sie schlug die Augen auf. Asha hockte über ihr und sah sie besorgt an. „Ist alles in Ordnung?" fragte die Nymphe voller Sorge.

Reyna antwortete nicht. Langsam richtete sie sich auf. Schnee rieselte von ihrem schwarzem Umhang. Stumm saß sie im Schnee und stierte vor sich hin. Sie fühlte sich völlig leer.

Jemand ließ etwa in ihren Schoß fallen. Sie zuckte nicht einmal zusammen und sah auf. Varon stand über ihr. Er sah sie aus indigofarbenen Augen kalt an. „Ihr müsst etwas essen, Prinzessin. Ihr braucht Nahrung."

Er wand sich ab und ging zu seinem Blutschatten.

„Hey." Asha legte ihr eine Hand auf die Schulter. Reyna sah sie an. Ashas Gesicht war voller Sorge. „Varon hat recht. Du musst wirklich etwas Essen."

Reyna senkte den Blick. Ein Hase lag in ihrem Schoß. Bei dem Geruch von Gebratenem Fleisch wurde Reyna sofort Speiübel. Sie drehte sich zur Seite und wollte sich übergeben, doch sie beherrschte sich.

„Alles in Ordnung?" fragte Asha, noch besorgter.

Reyna nickte und zwang sich ein paar bissen von dem Hasen zu nehmen. Ihr Magen rebellierte zwar, doch sie behielt es unten. Den Rest warf sie Veilan zu. Die goldene Greifin schnappte nach dem Hasen und schlang ihn mit einem biss runter.

Reyna stand auf. Beinahe gaben ihre Beine unter ihr nach, doch sie hielt sich an Veilans Flügel fest.

Die Goldene senkte den Kopf und half ihr sich aufzurichten. Dankbar streichelte Reyna ihr den Kopfansatz, dort wo die Federn des Kopfes in das Fell übergingen.

Veilan schnurrte Tief und Wohlklingend. Dann erhob sie sich und schüttelte sich den Schnee aus dem goldenen Fell. Dann breitet sie probehalber ihre Flügel aus und schlug mehrmals mit ihnen.

Das Licht der Sonne fing sich in den Federn und zauberte goldene Punkte in den kahlen Wald.

Normalerweise bewunderte Reyna die Schönheit ihrer Greifin, doch dieses mal, ließ es sie beinahe völlig kalt. Sie klopfte ihr auf die Schultern und Veilan kniete sich wieder in den Schnee, damit Reyna aufsteigen konnte.

Auf dem Rücken der goldenen Greifin fühlte sie sich wieder etwas besser. Das Gewicht des Schwertes an ihrer Hüfte und des Bogens auf ihrem Rücken, gab ihr erneut etwas Sicherheit zurück.

Reyna betrachtete Lichtbringers Griff aus weißem Elfenbaumholz. Die eingravierten, Runen glänzten wie frisches Blut.

Das Schwert der alten Zaren schien ihr wie ein Versprechen. Ein Versprechen der Vergeltung.

„Wir müssen weiter." Varon trabte auf seinem Blutschatten neben sie. Das blutrünstige Pferd knurrte Veilan an und bleckte sie langen spitzen Zähne.

Veilan fuhr ihre langen gekrümmten Adlerkrallen aus und kratzte den vereisten Boden auf.

Reyna strich ihr beruhigend über die Flanke. Veilans knurren verstummte.

„Müssen wir immer noch nach Osten?" fragte Asha, welche hinter Varon auf dem Blutschatten saß.

Reyna nickte Stumm. Varon gab dem Blutschatten die Sporen und galoppierte voran. Reyna folgte ihm.

Auf einem Greifen zu reiten war anders, als auf einem Pferd. Veilans kräftige Beine ließen die Kahlen Bäume förmlich an ihr Vorbeifliegen. Reynas Gedanken wurden leer, als sie durch den Wald ritten. All die Dinge, welche sie durchlebt hatte, schienen zu verschwimmen und weniger zu schmerzen.

Schnell holte sie Varon und Asha auf.

Stumm ritten sie durch den Wald. Niemand sagte etwas. Varon war still wie immer und Reyna wollte mit niemandem Reden.

„Wie lange müssen wir noch reiten?" fragte Asha nach einer weile.

Reyna dachte an die Visionen, welche Lichtbringer ihr geschenkt hatte. „Wir suchen einen Art Ruine. Umgeben von einem Schwarzen Wald." Ihre Stimme war so rau, das es ihr Schwerfiel zu sprechen.

„Ich weiß wo unser Weg hinführt." sagte Varon leise. Er ließ die Zügel knallen und sein Blutschatten wurde so schnell, das es Reyna so vorkam, sie würde einem dunkelroten Schatten folgen.

Sie strich Veilan über die Schultern. „Los Mädchen." sagte sie mit rauer Stimme.

Veilan knurrte zufrieden und sprang.

Es war ein Unglaubliches Gefühl. Veilans goldenen Flügel, fingen die Luft unter sich ein und hoben sie in die Luft. Der Wind rauschte in Reynas Ohren, als die Bäume unter ihr kleiner wurden.

Veilan kreischte wie ein Adler und drehte sich zufrieden, während Reyna sich auf ihrem Rücken klein machte. Sie spürte einen starken Druck auf den Ohren, als sich die goldenen drehte und fallen ließ.

Das leere Gefühl in ihrem Magen verstärkte sich noch und Reyna fühlte erneut Übelkeit in sich aufsteigen, doch sie schluckte sie wieder hinunter.

Knapp über den kahlen Baumwipfeln, breitete Veilan ihre Flügel aus und glitt über dem Winterlichem Wald entlang, während unter ihr Varon und Asha durch den Wald ritten, immer tiefer hinein, in den kalten Wald.

Greifentochter - Band 2 - Erbe der SchattenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt