Kapitel 49 - Reyna

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Reyna schlief bis weit in den nächsten Tag hinein. Trotzdem fühlte sie sich nach dem Aufwachen, Müde und Abgeschlagen. Und mit einer gähnenden leere in ihrem inneren. In ihrem Herzen war ein Loch, das so groß und kalt war, wie die gewaltigen Eisberge im hohen Norden.

Ein lautes Klopfen riss sie aus ihrer Starre. „Herein.

Valentin betrat ihr Schlafgemach. Sein Gesicht war ausdruckslos.

Reyna sah ihn nur kurz an, dann wanderten ihre Augen wieder zum großen Fenster. Die Sonne schien in ihr Bett und erhellte den dunkelroten Baldachin.

Valentin schwieg und auch Reyna sagte kein Wort. Schuldgefühle überkamen sie.

Miri schaute kurz vorbei und brachte etwas zu Essen und zu Trinken, dann verschwand sie wieder.

„Es tut mir leid.", flüsterte Reyna.

Valentin hob den Kopf. „Du hast meinen Vater bedroht. Und du hast mich beinahe im Regen ertrinken lassen. Wenn Asha mir nicht aus meiner Starre geholfen hätte...

„Ich weiß!!!", Reynas Stimme war schrill vor Kummer. „Ich bin einfach durchgedreht! Amarons Rede. Das Vivien ihm Versprochen ist. Ich habe die Kontrolle verloren!"

„Das passiert dir Häufiger.", Valentins Stimme war kalt, so kalt wie sie es noch nie von ihm gehört hatte. „Seitdem ich dich kenne, warst du mehr als einmal, kurz davor, mit deinem Feuer alles nieder zu brennen und die Menschen zu verletzten, denen du am wichtigsten bist."

Reyna zog die Knie an die Brust. „Es tut mir Leid. Es tut mir so Leid.", ihre Augenwinkel wurden Feucht.

Valentin seufzte Schwer. Dann ließ er die Arme sinken und setzte sich neben sie aufs Bett. „Ich will dich ja verstehen.", sein Blick wanderte unruhig durch den Raum, dann legte er ihr eine Hand auf die Schulter. „Und ich kann dich verstehen. Du stehst unter einem enormen Druck. All die Intrigen, dein Bruder. Das muss dich Fertig machen."

Reyna schloss zitternd die Augen. In diesem Moment erkannte wieder, wie alt sie tatsächlich erst war. Noch keine siebzehn Jahre alt, steckte sie tief in einem Albtraum aus Rache, Politik und Intrigen. Ein Zittern durchlief sie und sie griff nach Valentins Hand. Fest drückte er ihre Finger.

Eine weile saßen sie so da, und hielten sich die Hände. Mehr wagte Reyna nicht. Sie sah ihn an. Seine grauen Augen waren wie weicher Nebel.

„Ich vertraue dir.", flüsterte Reyna leise.

Valentin lächelte sie an. „Ich vertraue dir."

Reyna lächelte leicht zurück.

Ein Moment der Vertrautheit entstand zwischen ihnen.

Nähe.

Ein Gefühl der Geborgenheit.

Die Stille Atmosphäre wurde jä unterbrochen, als es erneut an die Tür klopfte.

Reyna verzog den Mund. „Herein!"

Einer der Bediensteten kam herein, verbeugte sich und hielt einen Pergamentbogen in der Hand. „Eine Brief, für Euch, Prinzessin."

Valentin nahm den Brief und reichte ihn an Reyna weiter.

Nachdenklich betrachtete sie das blaue Wachssiegel, in dem ein Stern zu erkenne war. „Das ist das Siegel meines Bruders.", erkannte sie erstaunt.

„Was will Amaron den Ausgerechnete jetzt von dir?", Valentin verwundert.

Reyna zuckte mit den Schultern, brach das Siegel und las sich den Brief durch:

Einladung für Prinzessin Reyna

Feier zum 17. Geburtstag

in der Villa des Winters

Amaron, Prinz von Eistahl

Reyna ließ den Brief sinken.

„Was will er?", fragte Valentin, seine Hand noch immer auf ihrer Schulter.

„Er lädt mich zu unserem Geburtstag ein.", Reyna schüttelte den Kopf. „Wie dreist kann man eigentlich sein? Gestern noch Konkurrieren wir noch um den Thron und Heute lädt er mich zu einer Feier ein. Was soll das ganze?"

Valentin kratzte sich nachdenklich am Kinn. „Er ist gut. Er will den Thron mehr als er zugibt. In dem er dich, am Tag nach eurer ersten Rede, zu einer Feier einlädt, zeigt er Großmut und Nachsicht. Das ist eine gute Taktik."

„Verteidigst du ihn etwa?", Reynas Stimme klang scharf.

Valentin hob abwehrend die Hände. „Ich sage nur was ist, nicht das ich es gut finde."

„Und was soll ich, deiner Meinung nach tun?"

„Geh zu der Feier."

„WAS!", Reyna fuhr hoch, die Fäuste geballt.

„Was sagte ich noch einmal zu deiner Wut?", erwiderte Valentin.

Reyna öffnete die Hände und das Pergament flatterte zu Boden. „Warum sollte ich zu der Feier gehen? Wäre es nicht besser eine eigene zu geben?"

Valentin schüttelte den Kopf. „Nein. Den Adel ständig dazu zu zwingen, immer zu wählen, ist die Falsche Taktik. Aber wenn du zu der Feier gehst, dann hast du die Chance, dich mit ihm zu Messen, Verbal natürlich. Du kannst zeigen, was du kannst, das du die bessere bist."

„Und wie soll ich das machen?"

Valentin lächelte. „Geh zu der Feier. Rede mit den Gästen. Überzeuge sie."

Reyna legte die Finger aneinander und stützte ihren Kopf ab. „Das klingt eigentlich ganz gut.", murmelte sie. Energisch richtete sie sich auf und sprang aus dem Bett. Die Lethargie war verschwunden. Sie rannte zu ihrem Kleiderschrank. „Wäre ein Kleid besser, oder sollte ich in Hosen gehen?"

Valentin lachte schallend.

Reyna fuhr herum. „Was ist so lustig?", fauchte sie.

Valentin lachte weiter. „Das ich dich einmal dabei beobachten würde, wie du zwischen Kleid und Hose wählst, hätte ich auch nie gedacht."

Reyna verschränkte die Arme, doch ihre Mundwinkel zuckten. „Du bist unmöglich."

Valentin grinste und stand auf. „Wenn du das sagst. Ich werde mir dann mal etwas besseres zum anziehen besorgen.", als er an der Tür war, drehte er sich noch einmal um. „Du nimmst mich doch mit, oder hast du unsere Verlobung bereits gelöst?"

Reyna ließ die Lederweste sinken. „Ich habe unsere Verlobung nicht gelöst. Ich brauche deine Familie.", sie stützte sich auf das Fensterbrett und sah hinaus in den Garten."

Valentin nickte und verließ ihr Zimmer.

„Und ich brauche dich.", flüsterte sie ihm hinterher.

Greifentochter - Band 2 - Erbe der SchattenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt