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Ich bin ehrlich: die Reise auf Levis Rücken hatte ich mir durchaus angenehmer vorgestellt. Zwar hatte er mich bereits vorgewarnt, dass das kein Vergnügen werden würde, aber wirklich geglaubt hatte ich ihm nicht. Doch durch den ständigen Tempowechsel und das angespannte Warten verläuft die Reise definitiv anders als ich erwartet habe. Manchmal muss ich sogar aufpassen, dass ich nicht seitwärts von seinem Rücken rutsche. Obwohl ich nicht zu den Mädchen gehöre, die früher als Kind wahnsinnig auf Pferde reiten abgefahren ist, würde ich behaupten, dass ein Sattel ein wirklich nützliches Utensil ist. Aber die Vorstellung, einem Wolf einen Sattel anzulegen ist selbst für mich so bescheuert, dass der Gedanke auch nur für einen Bruchteil einer Sekunde in meinem Kopf schwirrt und ich mich lieber wieder auf meinen Halt konzentriere.

Zumal begreife ich auch nie, warum Levi und Koray immer anhalten und sich nach allen Richtungen umschauen. Aber ich bin ja auch nur ein Mensch und mit den ausgeprägten Sinnen eines Werwolfes kann ich nicht mithalten. Doch trotzdem versuche ich aufmerksam zu bleiben und meine Umgebung genau zu mustern.

Wieder einmal verlangsamt sich das Tempo der beiden, bis sie schließlich am Rand einer Lichtung halten. Ich blicke nach oben in Richtung Himmel und betrachte die grauen Wolken, die sich dort oben zusammenbrauen.

» Es wird wohl bald Regen geben « murmle ich gedankenverloren und der aufkommende Wind wirbelt meine Haare durcheinander. Koray brummt zustimmend.
» Das wäre gut. So verwischen sich unsere Spuren leicht « entgegnet Levi und dreht seinen Kopf in die Richtung, aus welcher der Wind gekommen ist. Konzentriert verengt er seine Augen und seine Nase zuckt, als hätte er soeben einen Geruch gewittert.

» Ich glaube, jemand kommt auf uns zu « meint Levi düster, was Koray dazu bringt, seinen Kopf in die gleiche Richtung zu drehen.
» Es sind zwei « korrigiert Koray und tritt ein paar Schritte zurück.

» Das ist nicht die Patrouille, aber es sind auch keine Eindringlinge. Wir ziehen uns langsam zurück und warten ab, welche Richtung sie einschlagen. Vielleicht haben wir Glück und unsere Wege kreuzen sich nicht « meint Levi und nickend folgen wir seiner Anweisung.

Langsam und darauf bedacht, kein Geräusch von uns zu geben, ziehen wir uns in dichteres Gebüsch zurück. Wir sind noch nicht weit gekommen, als plötzlich ein Mann und ein Wolf auf die Lichtung treten und auf uns zusteuern. Vorsichtig spähe ich durch das dichte Blattwerk, um sie noch im Blick zu haben. Es war eigentlich klar, dass wir natürlich kein Glück haben.

» Wir wissen, dass du hier bist! « Erschrocken kaure ich mich tiefer und halte meine Atmung so flach wie möglich. Hat er mich gerade gesehen? Wie kann es sein, dass sie uns so schnell gefunden haben? Eigentlich müsste unser Vorsprung doch groß genug gewesen sein. Doch anscheinend muss man mich und meine Leichtgläubigkeit eines Besseren belehren.

» Hör auf mit dem kindischen Versteckspiel und komm endlich raus! « fordert der Mann und endlich erkenne ich, dass es Clark Rowell ist. Wer aber der Wolf neben Jonahs Vater ist, kann ich nicht sagen. Allerdings frage ich mich auch, wen er genau meint. Warum sucht er nur einen von uns? Auch Koray scheint verwirrt zu sein und schlägt unruhig mit seiner Rute.

» Was machen wir jetzt? « frage ich die beiden in Gedanken und versuche zu schätzen, wie weit sie von uns entfernt sind. Vielleicht sind es vierzig Meter, vielleicht ist es auch eine kürzere Distanz, die uns trennt.

» Solange sie nicht zu uns kommen, bewegt ihr euch nicht vom Fleck « entscheidet Levi stumm und Koray kauert sich tiefer auf den Waldboden. Ich hoffe nur, dass das ausreicht. Sein weißes Fell bildet nicht gerade die perfekte Tarnfarbe.

Aus dem Nichts ertönt auf einmal ein Knacken und ich gefriere zu einem Eisblock. War ich das etwa? Das darf doch nicht war sein! Und dabei dachte ich, dass ich mich nicht bewegt habe. Sofort spüre ich die Blicke von Clark und dem Wolf nur allzu deutlich über unser Versteck gleiten und ich spiele mit dem Gedanken, ihnen entgegen zu gehen, sodass wenigstens Koray und Levi die Chance auf eine Flucht haben. Auch wenn ich von meiner eigenen Idee wenig begeistert bin, so ist es für uns die beste Option, oder nicht? Aber wenn sie gar nicht mich suchen, sondern zum Beispiel Koray, könnte es auch voll nach hinten losgehen. Mir ist bewusst, dass dieser Plan durchaus seine Schwachstellen hat, aber vor lauter Panik fällt mir nichts besseres ein.

Bevor ich ganz zu Ende gedacht habe, ertönt das Knacken noch einmal. Diesmal kann ich einfach nicht anders: ich drehe mich um, auch auf die Gefahr hin, noch ein weiteres Geräusch zu erzeugen. Fast hätte ich vor Schreck aufgekeucht, doch ich kann es mit aller Macht zurückdrängen. Aber das spielt wahrscheinlich keine große Rolle mehr. 

Wir sind sowas von geliefert.

Denn keinen Meter von uns entfernt steht Obaa-san und wir präsentieren ihr nur allzu gut unseren ungeschützten Rücken. Obwohl sie keine große Frau ist, ragt sie förmlich über uns auf und ihre aufrechte Haltung vermittelt einen schon fast herrschaftlichen Eindruck. Bevor ich den ersten Schock überhaupt verarbeiten kann, tut sie etwas, womit ich gar nicht gerechnet habe. Obaa-san richtet ihren Blick starr gerade aus und bahnt sich ihren Weg direkt zwischen Levi, Koray und mir hindurch, als wären wir gar nicht da. Fassungslos starren wir ihr hinterher. Sie mag ja alt sein, aber nicht so blind, sodass sie zwei Wölfe und mich übersehen könnte!

» Ihr gönnt einer alten Dame aber auch gar keinen Spaß « sagt sie und ich sehe deutlich, wie Clark und der Werwolf bei ihrem vorwurfsvollen Ton leicht in sich zusammenschrumpfen.

» Das sind nun mal die Vorschriften vom Alpha, daran können wir leider nichts ändern, Obaa-san. Niemand darf alleine in den Wald gehen. Dein täglicher Waldspaziergang zählt da leider auch dazu « entgegnet Clark schuldbewusst und ich kann mir ein Grinsen nicht verkneifen. Selbst ein ausgewachsener Mann kann ihrem durchdringenden Blick nicht standhalten. Mich verwundert nur, dass sie ohne große Schwierigkeiten dem Befehl des Alphas widerstehen kann. Aber wahrscheinlich liegt das daran, dass sie das Orakel des Rudels ist. Vermutlich ist es für sie ein leichtes, die Regeln zu umgehen, wenn sie das denn will.

» Schon gut, schon gut. Ich gehe ja wieder zurück « murrt sie und verschränkt beim Laufen ihre Hände hinter dem Rücken. Dabei fällt mir auf, dass sie mit ihrem rechten Zeigefinger in eine Richtung zeigt, sodass nur wir es sehen können.

» Wollt ihr mir nicht wenigstens anbieten, mich zu tragen? « fragt sie herrisch und ich muss mein Lachen zurückhalten. Es ist einfach witzig mit anzusehen, wie sie die beiden herum kommandiert.

» Natürlich Obaa-san « beeilt sich Clark zu sagen und sie tätschelt wohlwollend seine Schulter.
» Dieser Ton gefällt mir schon besser. « Und ohne weitere Widerworte setzt sie sich auf den Rücken des Wolfes und der kleine Trupp verschwindet wieder tiefer im Wald. Erleichtert stoße ich meinen Atem aus und kann ein leises ungläubiges Lachen nicht verhindern.

» Obaa-san ist der Wahnsinn « sage ich atemlos. Die beiden Wölfe an meiner Seite sehen noch immer leicht verdattert aus. Ich stupse Levi mit meiner Schulter an, was ihn aus seiner Trance reißt. Er rappelt sich auf und schüttelt seinen Kopf, um die letzte Benommenheit loszuwerden.

» Damit hätte ich nie gerechnet. Ich kann mich noch ziemlich genau daran erinnern, dass sie uns als Kinder schon tadelnd angefunkelt hat, wenn wir mal im Haupthaus gerannt sind. Obaa-san ist eine Frau, die immer streng an den Regeln orientiert ist. Und dann sowas « bringt Koray hervor und ich nicke zustimmend mit dem Kopf. » Ich hätte es auch nicht für möglich gehalten, wenn ich es nicht mit eigenen Augen gesehen hätte. Apropos: habt ihr gesehen, dass sie in eine Richtung gezeigt hat? « frage ich die beiden.

» Dieser Weg weicht von unserer Route ab. Wir sollten eigentlich weiter gerade aus « meint Levi und ich lege nachdenklich meinen Kopf zur Seite.

» Aber meinst du nicht, dass wir auf sie hören sollten? « frage ich erneut. Immerhin hat sie uns gerade geholfen und ich vermute mal, dass es dieser Tipp auch tun wird.

» Ich denke auch, dass wir die Richtung einschlagen sollten, die Obaa-san uns gewiesen hat. Schließlich ist sie ein Orakel « pflichtet mir Koray stumm in Gedanken bei und ein Grollen ertönt aus Levis Kehle.

» Ihr habt es wirklich gut verstanden, dass ich die Entscheidungen treffe « erwidert Levi und ich könnte schwören, er hätte geseufzt, wenn er es denn gekonnt hätte.

» Na schön, Planänderung. Wir nehmen die Route, die Obaa-san uns gezeigt hat « fährt Levi fort. Ich klettere wieder auf seinen Rücken und schon setzen wir unseren Weg fort.

Hey ho!

da ich bereits feststellen konnte, dass manche meiner Leser nachaktiv sind, habe ich kein schlechtes Gewissen, zu dieser Uhrzeit zu updaten XD es ist immerhin noch sonntags!

Wie findet ihr eigentlich die Vorstellung, mit eurem Partner und dessen besten Freund so eine Mission zu unternehmen? Klingt schon ziemlich... spaßig? Auf jeden Fall mag ich mein Trio :P

good vibes and peace out - fearnofuture

Just the moon, you and meWo Geschichten leben. Entdecke jetzt