Ohne groß nachzudenken, habe ich das Haus der Campbells weit hinter mir gelassen und renne immer tiefer in den Wald. Es ist absolut leichtsinnig und super bescheuert zu denken, dass ich Koray und Bloom finden kann. Der Wald ist viel zu groß und die beiden sind spurlos verschwunden. Was hatte ich auch erwartet? Dass die beiden hinter sich eine Spur aus Kieselsteinen hinterlassen haben, damit ich ihnen folgen kann? Am liebsten würde ich meinen Kopf gegen einen der Bäume rammen, damit meine Dämlichkeit durch Schmerzen ersetzt wird. Dagegen kann man eher etwas ausrichten als gegen ein nichtfunktionierendes Gehirn. Doch anstatt umzukehren, laufe ich einfach weiter.
Ich achte nicht groß auf meine Umgebung, sondern versuche das heillose Durcheinander zu entwirren, was ich angerichtet habe. Mir schwirren unzählige Fragen durch den Kopf und ich versuche die spärlichen Puzzleteile zu einem großen Ganzen zusammenzufügen, doch je mehr ich es versuche, desto mehr stellen sich mir neue Fragen in den Weg. Ich finde einfach keine Erklärungen für das, was passiert und das frustriert mich mehr, als es sollte. Irgendwie bin ich da in eine Sache reingerutscht, von der ich mich am liebsten von Anfang an hätte fernhalten sollen. Aber es zu spät, deswegen bleibt mir nichts anderes übrig, als mir den Kopf weiter zu zerbrechen.
Wem kann ich eigentlich überhaupt vertrauen? Ist Koray wirklich der, für den ich ihn gehalten habe? Hat Bloom mit ihrer zurückhaltenden und schüchternen Art nur versucht, ihre Gefühle für mich zu verstecken? Ich mache mir selbst Vorwürfe, dass ich es nicht schon eher gemerkt habe. Ganz sicher hätte ich es besser machen können und mich quält der Gedanke, dass ich sie mit meinen Worten und Taten verletzt haben könnte. Sie ist ein wirklich liebenswerter Mensch, jedoch kann ich ihre Gefühle auf diese Weise nicht erwidern. Was hat Bloom so aus der Fassung gebracht, dass sie wortwörtlich die Flucht ergriffen hat? Warum hat sie sich nicht schon längst geoutet? Vielleicht ist das Thema Homosexualität in ihrer Familie ein Tabuthema? Auch Koray's Reaktion hätte ich so nicht erwartet, aber bestätigt leider irgendwie meine Theorie. Liebe ist kein Verbrechen und niemand kann sich aussuchen, in wen man sich verliebt.
Ich schrecke aus meinen Gedanken hoch, als ein Zweig unter meinen Füßen knackt. Ich hebe den Blick und drossle mein Tempo, bis ich schließlich ganz stehen bleibe und mich einmal um meine eigene Achse drehe. Doch ich sehe nicht mehr außer Bäume und noch mehr Bäume. Überall nur grün und braun.
» Wo seid ihr? « schreie ich verzweifelt. In diesem Moment dringt die Erkenntnis endlich zu mir durch, während Wind an meinen Haaren und Kleidung zerrt und meine Worte davonträgt. Anstatt Koray zu helfen und seine kleine Schwester zu finden, habe ich mich verlaufen und das Chaos noch perfektioniert. Nun schlage ich meinen Kopf wirklich gegen die raue Rinde eines Baumes. Meine Stirn pocht schmerzhaft, doch ich beiße nur meine Zähne fester aufeinander und reibe mir über die Stelle.
» Was zum Teufel machst du hier? « fragt eine ruhige Stimme direkt hinter mir. Erleichtert und auch leicht erschrocken drehe ich mich beim Klang der bekannten Stimme um und ich blicke in bernsteinfarbene Augen. Ich will zu einer Erklärung ansetzen, als mein Gehirn beschließt, eine viel wichtigere Frage loszuwerden.
» Und wo zum Himmel ist dein Shirt? « frage ich entgeistert und kann nicht verhindern, wie mein Blick über seinen nackten Oberkörper wandert. Seine Lippen verziehen sich zu einem echten Schmunzeln, was mir den Atem stocken lässt. Wahrscheinlich ist seine ewig finstere Miene dafür verantwortlich, dass mir noch nie aufgefallen ist, wie hübsch er eigentlich ist.
» Ich habe zuerst gefragt « erwidert Levi nur und kommt auf mich zugelaufen. Keine gute Idee. Ich muss dringend etwas spannenderes als diesen halb nackten Adonis finden. Allerdings stehen zur Auswahl nur Kiefern und Tannen. Ich würde jetzt nicht sagen, dass mich der Anblick völlig kalt lässt, aber irritiert bin ich trotzdem.
DU LIEST GERADE
Just the moon, you and me
Werewolf» Ihr kennt mich doch überhaupt nicht! « fauche ich sie an, doch richte meinen Blick konkret auf ihn. » Fahr die Krallen ein, Kitty. Wir beißen schon nicht « erwidert er lässig und ich schnaube erbost auf. » Spar dir deine dämlichen Spitznamen! Ich...