Gelangweilt beobachte ich den Sekundenzeiger der Uhr, welche über der Tür hängt. Mein Kopf ist in meine Hände gestützt. Er fühlt sich durch die Übermüdung bleischwer an und wenn ich loslassen würde, dann lände er bestimmt mit einem lautem „Klonk!" auf der Tischplatte. Aber der Zeiger scheint sich eher rückwärts zu bewegen. Verdammt, warum ist das so langweilig hier? Mein Blick schweift wieder durch das Zimmer. In Gedanken habe ich allen schon einen Spitznamen gegeben, da Namen bei mir in dem einen Ohr rein und in dem anderen wieder hinaus gehen. In dem Gedächtnisteil herrscht definitiv eine Fehlfunktion, obwohl ich glaube auch sonst nicht behaupten kann, dass mein Gehirn nicht noch ein paar weitere Schäden und Löcher hätte.
Mein Blick landet wieder auf den Papierschnipseln, die vor mir ordentlich auf einem Haufen liegen. Blondie hinter mir, aka der Casanova, aka Koray, hat mir die ganze Zeit irgendwelche Zettel zugeworfen. Sag mal, sind wir hier in der Grundschule? Das ist mir echt zu dumm. Ohne auch nur ein einziges Wort gelesen zu haben, habe ich jeden Zettel in feinstes Konfetti verarbeitet. Und zwar kalt und emotionslos. Ich glaube, ein zusätzlicher Ansporn war auch noch, dass Koray hinter mir jedes Mal frustriert mit den Zähnen geknirscht hat und ich konnte meine neu entdeckte Seite als Sadistin voll und ganz auskosten.
Rin vor mir hat auch seine Versuche gemacht, sozialen Kontakt aufzubauen, doch mein Killerblick muss wohl echt große Klasse sein, denn ich musste ihn nur einmal anfunkeln, nachdem er sich einmal umgedreht hat und schon war seine ganze Aufmerksamkeit wieder vorn.
Wieder bleibt mein Blick an der Uhr hängen und still schicke ich ein stummes Dankgebet gen Himmel. Es sind nur noch zwei Minuten und ich frage mich, ob jeder Lehrer so eine Schlaftablette wie der werte Herr da vorne ist. Hoffentlich nicht, sonst kann ich für nichts garantieren, was meine Unterrichtsbereitschaft betrifft.
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Das Schulgelände ist ziemlich weitläufig, doch es begegnen mir viele Schüler, da diese Schule anscheinend gut besucht ist. Das Gruselige daran ist: sie sind alle freundlich. Klar, es gibt die unnatürlichen Barbies und die Möchtegern Gangster so wie an meiner alten Schule, aber sie sind in der Minderheit. Ich habe mich so sehr an die Oberflächlichkeit und das falsche Lächeln gewöhnt, dass das sich hier wie eine viel zu kalte Dusche anfühlt. So paranoid wie ich bin, suche ich in jedem Lachen den schrillen, unechten Ton und hinter jedem Geflüster, einen abfälligen Kommentar. Ich hatte nie wirklich viel Glück mit Freundschaft. In den ersten paar Jahren denkt man, man besäße echte Freunde, doch wenn du mehrmals von deinen falschen Freunden verarscht wirst, dann weißt du langsam aber sicher, dass diese Leute das absolute Gift sind. Damit klärt sich auch, warum meine Cousine auch meine beste Freundin ist.
» Komm schon, stell dich nicht so an « flüstert eine Stimme hinter mir. Damit kann sie unmöglich mich gemeint haben, oder?
» Oh Gott, ich hasse dich Cassi « stöhnt eine zweite Stimme leise.
» Ja ja, ich lieb dich auch. Wir machen das jetzt « gibt die erste Stimme entschlossen zurück, vermutlich Cassie.
» Na gut, dann sprech du sie an, ich halte mich raus « sagt Nummer zwei beleidigt. Belustigt drehe ich mich um und blicke in zwei mir schon bekannte Gesichter. Die zwei Mädchen, einmal blond und blauäugig und die Brünette, die direkt vor mir sitzt, schauen mich beide erschrocken an.
» Kann man euch helfen? « frage ich, so nett wie ich nun einmal bin. Meine Lippen sind zu einem leichten Lächeln verzogen, während mich die zwei immer noch wie eine Außerirdische anstarren. Doch die Brünette fängt sich schnell wieder und grinst mich breit an. Warum tun das alle hier? Das muss doch voll anstrengend sein. Hört auf damit!
» Sorry, aber sei unbesorgt, wir stalken nicht. Mein Name ist Cassandra, aber alle nennen mich Cassie. Der Angsthase hier neben mir ist Bloom « sagt die Brünette und stupst beim letzten Teil der zierlichen Blondine in die Seite.
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Just the moon, you and me
Werewolf» Ihr kennt mich doch überhaupt nicht! « fauche ich sie an, doch richte meinen Blick konkret auf ihn. » Fahr die Krallen ein, Kitty. Wir beißen schon nicht « erwidert er lässig und ich schnaube erbost auf. » Spar dir deine dämlichen Spitznamen! Ich...