*24*

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Im Licht der untergehenden Sonne im Wald spazieren zu gehen, ist wohl einer meiner genialsten Ideen. So kann ich endlich mehr sehen als Schatten und Umrisse und es ist nicht allzu unheimlich. Der Wald scheint voller Leben zu sein. Vögel zwitschern in den Ästen und ab und zu sehe ich Eichhörnchen oder andere kleine Nagetiere umher huschen. Langsam fange ich an zu verstehen, was mein Dad an der Ruhe des Waldes zu schätzen weiß. Die Zeit scheint stehen zu bleiben und all der Stress und die Hektik des Tages verschwinden. Summend laufe ich weiter, bis ich schließlich anfange leise zu singen. Hier hört mich sowieso niemand, außer vielleicht die kleinen Waldbewohner und sie scheint es nicht zu stören.

Plötzlich höre ich ein kleines Heulen, dass zu meinem Lied mit einstimmt und überrascht drehe ich mich um. Keine drei Meter vor mir entfernt steht ein Hund. Glaube ich zumindestens. Schneller als ich blinzeln kann, kommt er auf mich zugerannt und wirft mich fast um. Obwohl der Hund den Eindruck auf mich macht, als wäre er ein Welpe, reicht er mir fast bis zur Hüfte. Er schnuppert an meiner Hand und ich halte sie ihm vorsichtig hin. Zum Glück gehöre ich nicht zu der Sorte von Menschen, die Angst vor Hunden hat, sonst wäre die Situation nicht so unbeschwert. Er brummt kurz, als wäre er zufrieden und leckt mir über die Hand, was mich zum Lachen bringt.

» Freut mich auch, dich kennenzulernen « murmle ich und streichle über seinen Kopf, was ihn wieder zufrieden brummen lässt. Aufgeregt wedelt er mit dem Schwanz hin und her und blickt mich erwartungsvoll an. Ich gehe in die Hocke, sodass wir auf einer Augenhöhe sind. An seinem Hals kann ich kein Halsband oder eine Marke finden, was einen Hinweis auf seinen Besitzer liefert. Es sei denn ... es ist ein wildlebender Hund. Das macht ihn dann wahrscheinlich zu einem Wolf.

» Bist du ein Wolf? « murmle ich fassungslos und kraule seine Ohren. Natürlich erwarte ich keine Antwort. » Oh Mann « sage ich trocken und streichle ihn weiter, da es ihm zu gefallen scheint und fahre mit den Fingern durch sein langes rostbraunes Fell. Ich stehe auf und gehe weiter, mein neuer Schoßhund, pardon ich meine mein Schoßwolf, folgt mir auf Schritt und Tritt. Unbeirrt tollt er neben mir her. Warum ich keine Angst habe, kann ich nicht sagen, doch es ist quasi ein normaler Hund. Zwar ein wilder Hund, aber dieses Exemplar wirkt noch jung und verspielt.

» Müsstest du nicht bei deinem Rudel sein? « frage ich den Wolf und komme mir im gleichen Moment total dämlich vor. Selbst wenn er mich verstehen würde, könnte er mir ja nicht antworten. Der Wolf läuft nur weiter und dringt in ein dichteres Waldstück ein.

» Du kannst ruhig mal warten « grummle ich und folge ihm. Er kommt zurück gelaufen, im Maul einen Stock und hält ihn mir erwartungsvoll entgegen. Schmunzelnd beobachte ich ihn. Es ist also doch ein normaler Hund, der spielen will. Ich greife nach dem Ast und spielerisch knurrend zieht er ebenfalls daran.

» Also gut, möge der Stärkere gewinnen « sage ich zu dem Wolf und wir ziehen und rangeln miteinander. Plötzlich gibt er nach und ich komme durch den fehlenden Widerstand ins Straucheln. Dabei knicke ich mit dem Fuß um, stolpere über einen am Boden liegenden großen Ast und alles geht plötzlich ziemlich schnell. Ich falle zu Boden und rolle einen Abhang hinunter. Meine Haut ritzt sich auf und mein Fall wird schmerzhaft von einem Stein gestoppt, an den unglücklicherweise mein Kopf knallt. Kurz bevor alles schwarz wird, höre ich das Winseln des kleinen Wolfes.

(***)

Ein Schnüffeln weckt mich und blinzelnd öffne ich meine Augen. Ich brauche kurz, um etwas klar zu erkennen und erschrocken reiße ich meine Augen auf, als ich einen riesigen Kopf über meinem ausmachen kann. Panisch sehe ich mich um. Ich bin immer noch an meiner Unfallstelle im Wald, jedoch ist der kleine Wolf nicht mehr zu sehen. Stattdessen ist über mir ein riesiges und gewaltiges Wolfsmonstrum, was mich beschnuppert. Bei meinem Glück ist das auch noch Mama- oder Papa-Wolf und wenn ich mich auf mein sperrliches Wissen aus Tierdokus verlasse, wird sie oder er wenig erfreut sein, den Geruch ihres oder seines Jungtiers an mir zu riechen. Zum ersten Mal in meinem Leben hoffe ich, dass ich eine Gehirnerschütterung habe, die mir diesen Wolf nur vorspielt. Ich kneife fest in meinen Unterarm, doch außer dem Schmerz ändert sich rein gar nichts. Die Vorderpranken dieses Wolfes sind links und rechts von meinem Körper platziert und er beugt sich über mich. Eine Flucht ist damit also ausgeschlossen. Eigentlich ist die Bezeichnung "Wolf" völlig fehl am Platz. Ich starre dem Wesen in die Augen und was ich in ihnen sehe, überrascht und überrumpelt mich gleichermaßen. In seinen Augen spiegelt sich eine Intelligenz, die bei einem wilden Tier niemals so ausgeprägt sein könnte. Erstaunt blicke ich ihn an und statt mir den Kopf abzubeißen, zieht sich das Tier scheu zurück und setzt sich zwei Meter von mir entfernt auf den moosbedeckten Waldboden. Anscheinend sollen wilde Tiere ja mehr Angst vor Menschen haben als umgekehrt, was ich eigentlich nie so richtig geglaubt habe, aber die Theorie bestätigt sich gerade vor meinen Augen. Ich richte mich ebenfalls auf, setze mich in einen Schneidersitz und schaffe es, meinen Herzschlag unter Kontrolle zu bringen. Wahrscheinlich sollte ich eher weglaufen, doch ich will lieber keinen Muskel zu viel bewegen.

» Wenn du jetzt auch noch mit sprechen anfängst, dann schockt mich echt gar nichts mehr « spreche ich den Wolf an, der mich irgendwie neugierig, aber zugleich auch scheu betrachtet. Gerade noch bin ich wie Schneewittchen singend und von niedlichen Tieren begleitet durch den Wald gelaufen. Jetzt bin ich anscheinend San und vor mir sitzt die Wolfsgöttin Moro, entsprungen aus meinem Lieblingsfilm „Prinzessin Mononoke". Wie hart muss mein Kopf wohl gegen den Stein geschlagen sein?

» Ach komm schon. Ja, ich bin diejenige, die mit Wölfen redet, aber du bist hier derjenige, der unnormal riesig ist « rechtfertige ich mich vor dem Wolf und vor mir irgendwie auch. Er schnaubt nur. Ich bin zwar ein Stadtkind, aber selbst ich wage zu behaupten, dass Wölfe nicht so groß werden können wie Pferde.

» Also ein bisschen enttäuscht bin ich jetzt schon « sage ich nach ein paar Augenblicken und deute vorwurfsvoll mit einem Finger auf ihn. Der Wolf lässt sich von meinen Anschuldigungen nicht stören und legt sich hin, dabei bettet er seinen Kopf auf die Vorderpfoten.

» Was mache ich eigentlich hier? « frage ich laut mich selbst und knalle meine flache Hand gegen die Stirn und treffe unglücklicherweise die Stelle, an der ich mir meinen Kopf gestoßen habe. »Verdammter Mist « fluche ich und reibe sanft über die Stelle. Der Wolf hat mich die ganze Zeit nicht aus den Augen gelassen und steht nun wieder auf und kommt zu mir. Langsam lasse ich meinen Arm sinken und starre ihn wieder an. Er senkt den Kopf und leckt mit seiner warmen Zunge über meine Verletzung. Ein Schauer durchläuft mich und ich starre den Wolf nur mit großen Augen an. » Danke sehr « murmle ich perplex und strecke vorsichtig meine Hand aus. Er verspannt sich kurz und ich halte in meiner Bewegung inne.

» Ich will dir nicht weh tun « flüstere ich und überbrücke den letzten Abstand. Vorsichtig lege ich langsam meine Hand an seinen großen Kopf. Sein weiß meliertes Fell ist unglaublich weich unter meinen Fingerspitzen und ich streichle zaghaft die Seite seines großen Kopfes. Ich spüre, wie sein Körper vibriert und ein tiefes, zufriedenes Brummen ertönt. Seine Ohren zucken und ich traue mich, meine Hand weiter auszustrecken und diese zu kraulen, wofür ich wieder mit einem wohligem Brummen belohnt werde. Mein Herz in meiner Brust scheint mir fast davon zu hüpfen, doch ich fühle keine Angst. Vielmehr ist es ein aufregendes und glückliches Gefühl, als der Wolf sich meiner Hand entgegen neigt, als würde er meine Berührungen genießen und mehr von ihnen wollen. Plötzlich legt er seinen Kopf in meinen Schoß und ist nun ganz nah bei mir. In mir breitet sich ein warmes Gefühl aus. Es fühlt sich an, als würde ich den Wolf schon mein Leben lang kennen und ich wünschte, die Zeit würde stillstehen. Um uns herum wird es allerdings immer dunkler und ich seufze leise, was den Wolf aufschauen lässt.

» Ich muss nach Hause « erkläre ich ihm und er knurrt. Wahrscheinlich ist er genauso unzufrieden, dass unser Rendezvous jetzt enden muss. Ich stehe vorsichtig auf und er tut es mir nach. Ich winke ihm zum Abschied und vielleicht bilde ich es mir ein, doch er lässt leicht seinen Kopf sinken, als würde er sich zum Abschied verneigen. Ich drehe mich ein letztes Mal zu ihm um und er steht immer noch da. Ich lächle leicht und gehe. Oh Mann, das wird mir niemand glauben.



Hello hello,

ob ihr es glaubt oder nicht - in Kapitel 24 gibt es endlich den ersten richtigen Kontakt zwischen Helen und einem Werwolf! Juhu!

Wer Prinzessin Mononoke nicht kennt, verdonnere ich dazu, ihn sich auf Netflix anzuschauen  - ein wirklich wunderschöner Film aus dem japanischen Animationsstudio Ghibli ^^

An alle Schulkinder schöne Oktoberferien xp

Peace out and good vibes - fearnofuture 

Just the moon, you and meWo Geschichten leben. Entdecke jetzt