» Denn der Mensch ist dem Menschen ein Wolf, kein Mensch « murmle ich verwirrt und meine Augen wandern über die Seiten des Lehrbuches. » Hobbes, wenn du irgendwas damit sagen wolltest, dann hättest du das auch mal eindeutiger machen können! « stöhne ich und beobachte das Portrait des Englischen Philosophen. Leider ist das hier kein Harry Potter Film und das Portrait fängt nicht an, sich zu bewegen und mich für meine Dummheit zu beschimpfen.
Ich frage mich nicht zum ersten Mal in der vergangenen Stunde, warum ich verdammt nochmal Politik- und Gemeinschaftswesen gewählt habe. Denn ich verstehe es einfach nicht und ich weiß auch überhaupt nicht, wie ich darüber ein einigermaßen gutes Essay schreiben soll. Seufzend blicke ich auf meinen Planer und reibe mir müde über mein Gesicht. Wir haben zwar eine Woche Zeit, um dieses blödes Essay zu schreiben, aber ich würde es am liebsten gleich erledigen.
Verzweifelt fange ich den Text von neuem zu lesen, aber der Inhalt kommt irgendwie nicht in meinem Gehirn an. Vielleicht ist irgendeine Leitung defekt, sodass die Informationen verstopfen. Gut möglich. In meinem letzten verzweifelten Versuch frage ich Dr. Google, was er so zu Mr. Thomas Hobbes und co. zu sagen hat. Drei verschiedene Websiten und fünfzehn Minuten auf Instagram später, beschließe ich, einfach nur Notizen zu machen und es auf morgen zu verschieben. Wenn ich es erzwinge, wird es sowieso scheiße. Trotzdem bin ich unzufrieden mit mir selbst.
Um die negative Stimmung abzuschütteln, gehe ich nach unten in unsere Küche, wo ich hoffentlich etwas zu futtern finde. Vielleicht brauche ich einfach nur ein bisschen Nervennahrung, um mich mit vollem Elan in die langweiligen Hausaufgaben stürzen zu können. Und wann bitte ist Essen nicht die Antwort?! Wahrscheinlich mit dem meisten Enthusiasmus, den ich heute aufgebracht habe, fülle ich eine Schüssel mit Knabberzeug und meine Trinkflasche mit Wasser.
Anstatt wieder hoch in mein Zimmer zu gehen, schlurfe ich ins Wohnzimmer und schaue mich kurz um. Die vielen Bücher meines Dads sind in einem Regal über der Couch eingeräumt und davor liegt ein großer, flauschiger Teppich. Es sieht aus wie ein normales Wohnzimmer. Trotzdem fühlt es sich nicht wie mein Zuhause an.
Ein schmerzender Gedanke durchzuckt mich. Würde es Mom hier gefallen? Ich stelle mir vor, wie sie auf der Couch sitzen würde, ein Buch in der Hand und ihre langen blonden Haare in einem unordentlichen Dutt zusammengebunden. Wahrscheinlich würde sie auf dem Teppich immer meditieren und das Holz für den Kamin hacken. Ein Schluchzen weicht über meine Lippen. Es tut weh, nur an sie zu denken und ich vermisse sie so sehr. Ohne ihre Lebensenergie und ihr fröhliches Lachen fühle ich mich leer und fehl am Platz. Könnte ich in der Zeit zurückreisen, würde ich zu den glücklichen Tagen zurückkehren, die mir so fehlen. Auch wenn meine Augen schon vor unterdrückten Tränen brennen, verbiete ich es mir schon wieder loszuflennen. Ich bin festentschlossen, nach vorne zu sehen und keinen Schritt mehr nach hinten zu machen. Ich muss lernen mit dem Schmerz zu leben. Ich bin nicht so dumm zu glauben, dass er in nächster Zeit verschwinden wird. Wahrscheinlich wird mich für den Rest meines Lebens dieser dumpf pochende Schmerz begleiten, deswegen muss ich jetzt schon anfangen, damit umzugehen.
Ich lasse mich auf die Couch fallen, schaufle Nüsse und getrocknete Früchte in mich rein und starre ins Feuer. Die Flammen tanzen und leuchten warm, weshalb ich fasziniert zuschaue. Irgendwann lasse ich meinen Kopf auf die Lehne fallen und schließe die Augen. Ich rolle meinen Kopf zur Seite, um in eine angenehmere Position zu wechseln und versuche für ein paar Minuten abzuschalten. Tatsächlich klappt es für circa zwei Minuten, bis ich wieder meine Augen öffne. Mein Blick fällt sofort auf den Umzugskarton, der versteckt hinter der Couch steht. Verwirrt stehe ich auf und laufe zu dem Karton. Eigentlich dachte ich, wir hätten alles ausgepackt. Haben wir den Karton vergessen? Ich hocke mich vor den Karton und lese seine Beschriftung.
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Just the moon, you and me
Werewolf» Ihr kennt mich doch überhaupt nicht! « fauche ich sie an, doch richte meinen Blick konkret auf ihn. » Fahr die Krallen ein, Kitty. Wir beißen schon nicht « erwidert er lässig und ich schnaube erbost auf. » Spar dir deine dämlichen Spitznamen! Ich...