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Wieder zu Hause – 23:28 Uhr

Meine Mutter warf sich Tabletten ein, weil ich nicht mehr zu Hause bei ihnen lebte. Sie weinte. Wegen mir.

Bei Amelia hatte sie das nicht getan. Sie hatte es einfach akzeptiert. Aber wieso tat sie das bei meiner Ehe nicht?

Warum?

Ein großes Fragezeichen schwebte über meinem Kopf.

Wieder einmal saß ich in der Bibliothek auf dem ledernen Sofa und las in einem Buch. Es entspannte mich und ich konnte eigentlich immer meinen Kopf abschalten. Doch heute war es anders. Ich konnte nicht abschalten.

Mutter schwebte in meinem Kopf herum, wie eine kleine Elfe.

Valeria schwebte in meinem Kopf herum, wie ein Eimer Zement.

Kyle schwebte in meinem Kopf herum, wie der Duft nach dem Plätzchen backen. Wieso wusste ich auch nicht. Er war einfach immer da, genauso wie der Zimtgeruch in der Weihnachtszeit. Ein Windhauch.

Ich schloss zögerlich meine Augen und dachte nach. Was tat ich eigentlich hier? Würde ich meinen Ehemann eigentlich eines Tages auch mal sehen oder war ich an die großen Regale der Bibliothek und wöchentliche Ausflüge ins Barths gebunden? – So hieß das Resteraunt in welchem ich heute mit Alessia, Enzo und Kiano, Mittag gegessen hatte.

Schnell öffnete ich die Augen, diese Themen behandelte ich einfach wie zuvor. Ich Schloss sie in eine alte Truhe, legte drei Eisenketten drüber, verfrachtete sie unter ein Bett auf einem Dachboden, ging die Treppen nach unten, schloss die Haustür ab und warf danach alle Schlüssel – auch die von den Schlössern an der Truhe – in den Pazifik.

Ich schwang meine Beine über das Sofa und setzte mich in Bewegung. Das Buch nahm ich mit, denn es war eine Sonderausgabe und nebenbei auch eines meiner Lieblingsbücher.

Schnell sprang ich die Stufen nach oben in unser Master Zimmer und danach unter die Dusche.

Als ich fertig war zog ich mir meine Schlafsachen an und schnappte mir einen plüschigen Bademantel. Er war erstaunlich warm. Um meine Pläne noch zu vollenden holte ich mir eine warme Decke, die auf dem großem Bett lag und legte sie mir um die Schultern. Danach klaubte ich mein Buch von der weißen Kommode, auf die ich es vorhin gelegt hatte, und öffnete die großen Türen des Balkons.

Die wunderschöne Aussicht auf Los Angeles ließ mich fast anfangen zu weinen. Ich war Rapunzel. Eingesperrt in ihrem Turm nur dass es bei mir eine Villa war.

Okay, nein, ich würde jetzt nicht anfangen zu weinen. Ich durfte heute raus. Das war gut. Das war ein Anfang.

Obwohl mir einige Sachen Angst machten: Die Attacke von den Menschen über die niemand mit mir reden mochte, Meine komischen Träume, bei denen ich nicht wusste ob sie real waren oder nicht und die ganze Sache mit meiner Mutter, konnte ich endlich durchatmen.

Auf dem Balkon – naja, eigentlich konnte man es schon als Terrasse bezeichnen – ließ ich mich in einen bequemen Stuhl fallen und schaute auf Los Angeles. Die Sonne umarmte die Stadt, auch wenn es erst Januar war. Der Himmel war in warme Orangetöne getaucht und vereinzelt konnte man ein Wolkennetz sehen.

Ich schaute auf die Stadt herunter und sah die Autos, die Hochhäuser und auch die bunten Schilder, mit leuchtenden Buchstaben, mit welchen die Leute auf ihre Marke oder auch ihr Unternehmen aufmerksam machen wollten.

Ich fing an, in meinem Buch zu lesen, doch schon nach einigen Minuten zog es mir die Augen zu.

***

  Ich flog.

Nein wirklich, das war kein Spaß.

Ich flog.

Der Wind wehte um meine Ohren und ein leises Lächeln stahl sich auf meine Lippen.

Als ich meine Augen öffnete um zu sehen wo lang ich flog, erschrak ich.

Ich flog nicht wirklich. Also irgendwie schon, aber irgendwie auch nicht.

Kyle hielt mich in den Armen und trug mich. Ich war so nah an seinem Gesicht. Vielleicht war das nur wieder einer meiner verrückten Träume und selbst wenn es keiner war, war es mir egal, denn ich ließ meine Fingerspitzen über sein kantiges Kinn wandern, mit purem erstaunen.

Seine Muskeln bewegten sich und ein Grinsen stahl sich auf sein Gesicht. Kurz senkte er seine Lider und schaute mich aus seinen großen Augen an. Diese Katzenaugen...

„...ich hatte sie so vermisst."

„Was hast du vermisst?" flüsterte Kyle und ich erschrak. Wieso war selbst seine Stimme der Inbegriff von sexy und hatte ich das ernsthaft laut gesagt?

Irgendwie war mir bewusst, dass das hier kein Traum war. Doch ich war so müde und um ehrlich zu sein, war es mir auch egal.

Ich betatschte einfach weiter sein Gesicht. Ich glaubte er...

„...stammte von einem Gott ab."

„Wer stammte von einem Gott ab?" flüsterte er wieder, doch ich war so sehr in meiner eigenen kleinen Blase gefangen, dass ich es gar nicht realisierte.

Als er mich auf dem großem Bett ablegte, merkte ich erst ein paar Sekunden später wie sehr mir seine Wärme jetzt schon wieder fehlte.

Ich wollte mich in das Bett legen und einfach nur schlafen, doch als Kyle sich wieder von dem Bett entfernen wollte, platzte es aus mir heraus.

„Bitte geh nicht. Ich bin immer allein und habe kaum jemanden zu reden. Kannst du nicht bei mir bleiben? Bitte?" fragte ich ein wenig niedergeschlagen und senkte meine Lider. Im Bett saß ich nun im Schneidersitz und schaute auf die Zipfel der weißen Bettdecke, welche in meinem Schoß lagen. Es war mir zu peinlich ihm in die Augen zu schauen.

Als sich die Matratze vor mir senkte, schaute ich dann aber doch auf und sah in Kyles Katzenaugen.

„Wieso fühlst du dich allein?" fragte er und hob mein Kinn mit seinem Zeigefinger an. In meinem Bauch begann es zu Kribbeln, wie immer eigentlich, wenn ich bei ihm war.

In meinem Hinterkopf schwebte immernoch eine kleine Stimme die mir zuflüsterte, dass er der gefürchtetste Mafiaboss aller Zeiten war, aber hier in dem Zimmer, wenn der Mondschein durch die offene Terrassentür brach und sein Gesicht erhellte, sah er für mich in keiner Weise Angst einflößend aus. Er sah viel eher wie der Mensch aus, der er war.

„Ich weiß auch nicht. Nie bist du da. Ich fühle mich allein gelassen in diesem riesigen Haus, aus welchem ich nicht ausbrechen kann. Viel lieber möchte ich draußen sein - und nimm es nicht persönlich du hast einen wunderschönen Garten - aber ich möchte ganz raus. Dahin wo die meisten Leute sind, dahin wo andere Achtzehnjährige sein dürfen und ich nicht." Ich strich mir über die Oberarme denn ich fröstelte auf einmal. Sein markantes Gesicht musterte mich auf einmal wieder so intensiv, wie er es eigentlich immer tat. Wie als würde er schon wieder, jedes Detail speichern wollen.

Bevor ich mich vorsehen konnte, lagen seine Lippen schon wieder auf den meinen. Zögerlich legte ich meine Hand an seine Wange und die seine fuhr durch meine Haare.

Dieses unbeschreibliche Kribbeln machte sich schon wieder in meinem Bauch frei und ich fühlte mich nun wirklich als ob ich flog.

Als er sich schwer atmend von mir löste, drückte er mir einen kurzen Kuss auf die Wange und schaute mir danach wieder in die Augen.

„Wir machen Morgen etwas zusammen." Flüsterte er mit einem zufriedenem Ausdruck auf dem Gesicht.

„Wirklich?" fragte ich ihn. Und als er es noch einmal mit einem Nicken bestätigte, fiel ich ihm um den Hals.

Ich konnte nicht beschreiben wie beschützt ich mich in diesem Moment in seinen Armen fühlte. Als würde er nicht zulassen, dass mir jemals etwas schlimmes passierte. Als würde er für immer auf mich aufpassen.

Ich gab ihm einen langen Kuss, den er erwiderte. 

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