27.1

1.7K 51 0
                                    

Salon – abends

Ich saß gerade eben gemeinsam mit Sam in der Küche und breitete ihr meinen Büchereinkauf aus, als ich es hörte. Eine wunderschöne Melodie hallte durch das riesige Haus und ließ mich aufhören zu sprechen. Wahrscheinlich zu Gunsten von Sam die ich zutextete, wie ein Wasserfall.

Ich kannte diese Melodie, aber konnte sie nicht zuordnen. Sie klang wie eine frischer Windhauch, über einem Sonnenblumenfeld. Das ergab doch keinen Sinn. Ich sah ein Bild vor mir, von einem Wohnzimmer. Die Kommode war runtergekommen und das Holz splitterte von einer Ecke ab. Wieso wusste ich, dass jemand die Kommode an die Wand geknallt hatte und deshalb das Holz hinaus lugte? Die Dielen im Fußboden waren hell, als eine Person mit einem schwarzen Anzug über die Dielen lief, knarzten vereinzelte Teile und erinnerten daran, wie alt das Holz eigentlich war. Die Person war riesig. Ich sah nur ihre Schienbeine und schwarze Lederschuhe, die das Sonnenlicht, welches durch die offene Balkontür fiel, glänzen ließ, wie Saphire im Licht. Aber vielleicht war ich auch einfach klein. An der Wand hingen bunt bedruckte Fotos, auf denen irgendwelche Menschen abgebildet wurden, die ich noch nie zuvor gesehen hatte. Die Person mit den Lederschuhen und der schwarzen Kleidung, bewegte sich auf einen schwarzen runden Kasten zu, setzte sich auf einen kleinen Hocker davor und fing an auf weiße und schwarze Tasten zu drücken, die genau dieselbe Melodie von sich gaben wie diese, die gerade eben durch unser Haus glitt.

„Entschuldige mich." Sagte ich gar nicht wirklich bei mir an Sam gerichtet, die mir nur einen komischen Blick zu warf, doch ich war schon durch die Küchentür verschwunden.

Schnell rannte ich die Flure entlang, folgte einzig meinem Gehör und meiner inneren Intention.

Als ich vor der riesigen Tür ankam die weit offenstand und mir den Weg in den Salon zeigte, zögerte ich. Ich wusste selbst nicht warum. Es hatte mir Angst gemacht, diese Melodie zuhören und gleichzeitig war es aber auch, das schönste Gefühl das ich seit langer Zeit empfunden hatte. Es fühlte sich an, als würde mein Herz sich krampfhaft zusammenziehen, sich danach aber wieder soweit aus einander dehnen, dass es sich anfühlte, als würde mein Herz noch mal neu anfangen zu schlagen.

Langsam und bedacht lugte ich mit meinem Kopf in das Zimmer und sah Kyle an einem schwarzen Flügel sitzen, mit den Händen auf den weißen Tasten. Er spielte diese Melodie.

Krampfhaft zog sich etwas in mir zusammen, es tat weh. Mein Herz...Es schmerzte. Wieso schmerzte es? Warum zitterten meine Hände?

Ich lehnte mich an der schweren Tür an und beobachtete ihn. Meine Hand hatte ich auf Brusthöhe gelegt und spürte nun das regelmäßige Klopfen unter ihr. Langsam hörte meine Hand auf zu zittern.

Wie graziös er auf dem schwarzem Hocker saß und mit wie viel Hingabe er die Tasten drückte, ließ etwas in mir warm werden. Es klang wunderschön und dennoch wollte mich das Gefühl nicht loslassen, dass ich die Musik irgendwo her kannte.

Langsam ging ich in das Zimmer hinein und setzte mich zögerlich auf eines der Sofas. Es sank unter mir ein und ließ mich wie auf einer Wolke schweben. Kyle musste die Bewegung aus dem Augenwinkel her mitbekommen haben, denn er hörte abrupt auf mit

spielen, wie als hätte er sich an einem kochendem Topf voll mit Wasser verbrannt. Langsam drehte er sich zu mir um und als er mich hier sitzen sah, in meiner mehr oder wenigeren Schockstarre, weiteten sich seine Augen, für den Bruchteil einer Sekunde, dass man sich es auch nur hätte einbilden können.

„Das klang wunderschön, wie heißt das Lied?" fragte ich ihn, weil ich auf einmal das Bedürfnis spürte irgendetwas zusagen, damit die Stille mich nicht erdrückte.

Langsam stand er von dem Lederhocker auf und kam in voller Pracht auf mich zugelaufen. Ich spürte wie meine Wangen warm wurden und die nur alt zu bekannte Unsicherheit sich in mir breit machte. Als er vor mir stehen blieb und auf mich hinabsah, mit einem fast nachdenklichem Gesicht, kam ich mir viel zu klein vor und stand ebenfalls auf. Wir waren zwar nicht auf Augenhöhe, da ich einen ganzen Kopf kleiner war, aber ich fühlte mich nicht ganz so klein.

„Was machst du hier?" fragte er mich kalt und blickte mit einem Gesicht aus Stein zu mir herunter. Er hatte alle seine Mauern wieder hochgefahren. Alle Mauern die ich heute während des Tages Mühsam runterdrücken wollte. Alle, die ich sogar fast auf den Boden gezwängt hatte. Der Kyle mit welchem ich gemeinsam vor dem Resteraunt rumgeplänkelt hatte und der mit mir in einen verdammten Bücherladen gegangen war, war verschwunden. Die kalte Fassade die ihn schützte, hatte sich um ihn gelegt, wie ein warmer Morgenmantel.

Es war zum Verzweifeln.

„Schon okay." Sagte ich und wollte mich umdrehen, anscheinend war ich seiner Gegenwart nicht würdig, oder er wollte mich gerade nicht bei sich haben. Das war okay, denn manchmal wollte ich auch keinen Menschen um mich haben.

„Ich geh dann mal besser." Sagte ich und wollte mich an ihm vorbei schieben. Mit seiner rechten Hand hielt er meine Schulter fest, sodass ich gezwungen war stehen zu bleiben.

Mein Blick streifte den seinen. Absolut nichts konnte ich in seinen Augen lesen. Gar nichts. Keine einzige Emotion. Sein Blick war wie aus Stein.

Mit einem letzten bedachtem Blick streifte ich seine Schulter und ging an ihm vorbei. Diesmal versuchte er mich nicht aufzuhalten.

Es machte mich wahnsinnig. Diese bescheuerten Stimmungsschwankungen. Er sollte meiner Meinung nach, mal einen Arzt aufsuchen.

Elegant schritt ich aus dem Raum hinaus, ohne noch einen letzten Blick auf Kyle zu verwerfen. Als ich durch die Tür gekommen war, fing ich an zu rennen. Zu rennen durch das große Haus, welches sich nicht nach einem zu Hause anfühlte. Zu rennen, um den immer enger werdenden Wänden zu entkommen. Zu rennen, um ihm zu entkommen.

Erschöpft, ließ ich mich im Garten auf eine Bank fallen und beobachtete die Kirschbäume, die im Mondschein geradezu furchterregend wirkten.

Leise summte ich eine Melodie.

Sie gab mir das Gefühl von Geborgenheit.

Wärme erfüllte mich.

Bis ich merkte, dass es dieselbe Melodie war, die Kyle gespielt hatte.

Auf einmal wurde mir fürchterlich kalt.

Like the fire inside meWo Geschichten leben. Entdecke jetzt