19. Kapitel - Violet

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Violet Elaine Craig 

Er hat Recht. So habe ich das nie gesehen. Natürlich will ich dieses Kind nicht abtreiben, aber es würde tatsächlich nicht in mein Leben passen. Nicht so, wie es jetzt ist und in neun Monaten sieht das nicht anders aus. Ich kann es ohnehin nicht allein aufziehen und schon gar nicht so leben wie meine Schwester. Ich habe schließlich gesehen, wie es ist, allein ein Kind zu bekommen. Ohne den Rückhalt eines Partners oder zumindest der Familie. Zwar war er am Anfang für sie da, aber er hat sie dann noch vor der Geburt verlassen, also war sie am Ende allein mit ihrer Tochter. Obwohl ich ihr natürlich immer geholfen habe, wenn ich konnte. Aber das reicht nicht.

>Danke für den Rat.< Er lächelt leicht, will etwas sagen, doch ich bin noch nicht fertig. >Ich würde gern hierbleiben. Also heute Nacht und morgen, wenn das geht.< Er nickt, mustert mich jedoch fragend. >Mit Emil kann ich das alles sehr gut vergessen und ich muss meinen Eltern nicht gegenübertreten, wenn ich hier bin. Wenn sie herausfinden, dass ich schwanger bin, habe ich ein Problem und alles wird noch komplizierter.< Langsam setzt er sich etwas anders hin, beugt sich in meine Richtung. Seine blauen Augen mustert mein Gesicht sehr eingehend, was mich schwer schlucken lässt.

>Ich hoffe du weißt, wie es gemeint ist, wenn ich sage, dass du hier immer willkommen bist. Wenn du zu Hause Probleme hast, kannst du jederzeit vorbeikommen.< Das ist ein komisches Angebot. Natürlich weiß ich, wie er das meint. Er hat ein Gästezimmer und ich kann hier schlafen, aber er ist trotzdem mein Lehrer. Ich sollte zu Tina oder Tristan gehen, bevor ich hier her komme.

>Danke.< Anders kann ich darauf nicht antworten. Das hier wird nie meine erste Wahl sein, aber vielleicht brauche ich es Mal als Plan B oder C.

>Es tut mir leid<, sagt er leise, lehnt sich wieder etwas zurück, lächelt mich entschuldigend an. >Das war zu viel.< Ich weiß nicht, was das bedeuten soll, traue mich aber auch nicht zu fragen. >Das Angebot steht natürlich, aber wir sollten schlafen gehen und das Thema nicht vertiefen.< Er steht auf, reicht mir seine Hand. Irgendwie habe ich Angst davor, sie zu nehmen. Ich weiß instinktiv, dass etwas passieren wird, wenn ich es tue. Etwas, das nicht passieren darf. >Violet?<

>Ich möchte auf der Couch schlafen<, erkläre ich schnell, was die einzige Ausrede ist, welche mir eingefallen ist. So muss ich nicht aufstehen und einen anderen Grund finden, warum ich seine Hand nicht nehme. Schließlich ist es nur eine normale, freundliche Geste. Es fühlt sich allerdings anders an. Alles fühlt sich grade anders an, als es sollte.

>Wie du möchtest.< Er klingt nachdenklich, zögernd, doch ich traue mich nicht, zu ihm aufzusehen. Ich habe Angst davor, dass er mir dann ansieht, was ich denke.

Er geht zu einer Kommode, holt eine Decke und ein Kissen hervor, reicht mir beides. Vorsichtig nehme ich die Sachen, achte sehr darauf, ihn nicht zu berühren.

>Danke.< Er nickt nur, wendet sich ab.

>Gute Nacht.< Ich verstehe nicht, warum ich nicht will, dass er geht. Warum er bei mir bleiben soll und ich gleichzeitig nicht will, dass er mich berührt. Die Gefühle in mir scheinen sich gegenseitig zu widersprechen.

Natürlich weiß ich, dass es falsch ist, sich so zu fühlen. Es sollte klar sein, dass er nicht mehr als ein Bekannter ist und ich mich allerhöchstens gut fühlen sollte, wenn er in meiner Nähe ist. Nur fühle ich gerade so viel mehr.

>Gute Nacht.< Er geht nach oben, lässt mich allein und ich mache es mir bequem, obwohl es bei Emil viel gemütlicher wäre. Ich will ihm morgen nicht erklären, warum ich dann doch nach oben gegangen bin, darum bleibe ich, versuche meinen Kopf abzustellen und zu schlafen. Was gar nicht so leicht ist.

Wir haben nur ganz normal geredet und dennoch gehe ich immer wieder durch, was wir eben besprochen haben. Das wäre normal, wenn sich mein Kopf dabei auf die Fakten beschränken würde, aber das macht er nicht. Er versucht sich nur an seine Stimme zu erinnern, daran, wie er mich eben angesehen hat.

>Das ist so falsch<, versuche ich mir selbst zu erklären, ziehe mir die Decke über den Kopf. Wahrscheinlich sind das nur die Hormone. Meine Frauenärztin hat gesagt, dass sich einiges ändern wird, besonders im Bezug auf meine Stimmung. Jede Schwangere ist da wohl anders und ausgerechnet ich fange an von einem unerreichbaren Mann zu schwärmen. >Das ist wieder typisch. Schwanger werden und dann auch noch das<, beschwere ich mich bei mir selbst, aber natürlich bringt das rein gar nichts. Sich darüber aufzuregen, macht es bei mir meistens nur schlimmer, darum lege ich stattdessen eine Hand auf meinen Bauch, versuche mich auf den Embryo zu konzentrieren. Vielleicht kann ich ihn überzeugen meine Gefühle wieder ruhig zu stellen oder wenigstens jemand anderem zuzuordnen als meinem Referendar.

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>Violet.< Seine Stimme ist ganz leise, seine warme Hand legt sich an mein Gesicht. Ich muss lächeln, weil es sich gut anfühlt, mein Herz schlägt etwas schneller. Mich hat lange niemand mehr berührt, mir einfach nur ein bisschen Wärme gegeben, habe ich das Gefühl. Genau das brauche ich jetzt. >Violet<, sagt er wieder und ich öffne die Augen, sehe ihn an. Sein besorgtes, schönes Gesicht, die aufmerksamen, blauen Augen.

Erschrocken zucke ich zurück, setzte mich sofort auf. Ich dachte, dass ich noch träume. Ich war mir sicher, dass er mich nicht berühren würde, nicht so. >Es ist alles in Ordnung. Habe ich dich erschreckt?<, will Herr Lesharo besorgt wissen, mustert mein Gesicht, aber ich bin zu verwirrt, um einen klaren Gedanken zu fassen.

Es ist noch dämmrig im Wohnzimmer, er hat kein Licht an gemacht. Dennoch kann ich ihn gut erkennen, seinen wachen, aufmerksamen Blick auf meiner aufgeheizten Haut spüren. >Du hast im Schlaf geredet<, erklärt er leise, was mich schlucken lässt. Ich bete, dass er nichts davon verstanden hat, auch wenn ich mir nicht sicher bin, wovon ich geträumt habe. >Nicht deutlich, aber du warst sehr unruhig.<

>Mir geht es gut<, versichere ich ihm, obwohl ich mir da ehrlichgesagt gar nicht so sicher bin. Er wirkt auch nicht überzeugt, mustert mich schweigend.

Da liegt etwas in der Luft. Eine gewisse Spannung, die mir bekannt vorkommt. Vertraut und doch völlig fehl am Platz. Ich bin nicht so dumm zu glauben, dass es zwischen uns funkt. Wir kennen einander kaum und er ist ein Referendar, ein halber Lehrer. Ich bin ein Kind für ihn, ein Niemand, eine ganz normale Schülerin. Zwar fahren meine Gefühle wegen meinen Hormonen Karussell und mein Kopf spinnt auch ein bisschen rum, aber das bedeutet nicht, dass da etwas ist. Das würde nämlich zwangsweise bedeuten, dass er auch etwas an mir findet. Seiner Schülerin. Das ist absurd.

>Möchtest du darüber reden?< Automatisch schüttelt sich mein Kopf, ich schlinge die Decke enger um mich. So fühle ich mich etwas sicherer, obwohl es gar keinen Grund gibt, Angst zu haben. Ich bin nur so verdammt verwirrt. >Wenn doch, sag es mir einfach<, bietet er mir mit einem aufmunternden Lächeln an, dann steht er auf. Ich kann beinahe physisch spüren, wie er sich von mir entfernt, versuche zu verstehen, was mit mir los ist. Warum ich plötzlich so fixiert auf einen fremden Mann bin.

>Gute Nacht.< Er lächelt, sieht noch einmal zu mir.

>Danke, dir auch.< Ich nicke nur, dann geht er wieder nach oben. Ich kann jeden Schritt auf der Treppe hören, dann seine Schlafzimmertür. Dabei bin ich auch froh, dass Emil nicht wach geworden ist. Obwohl ich nicht verstehe, warum ich unruhig war. Noch nie hat mich jemand darauf angesprochen oder mich deswegen geweckt. Darum denke ich, dass ich normalerweise nicht im Schlaf rede.

Tief atme ich durch, versuche mich zu beruhigen, zu entspannen. Schließlich ist nichts anders als sonst auch. Ich habe oft außerhalb von zu Hause geschlafen und das hier ist nicht anders. Alles ist ganz normal und harmlos. Kein Grund unruhig zu sein.

Langsam lege ich mich wieder hin, wickle die Decke eng um mich. Dann jedoch erinnere ich mich an das Gefühl seiner warmen Hand, als er sie an meine Wange gelegt hat. Und da ist diese Frage, warum ich glücklich war. Warum ich mich so wohl gefühlt habe, bis ich bemerkt habe, dass es echt ist. Es ergibt keinen Sinn, warum ich so auf ihn reagiert habe, darum versuche ich es zu vergessen und meinen Kopf frei zu machen. Nur dann werde ich einschlafen können und ich bete, dass ich diesmal so ruhig und still schlafe, wie immer. Ohne jemanden zu wecken und im Schlaf zu reden. Ohne noch einmal von meinem Mathe- und Sportlehrer geweckt zu werden. 

Zu 0,05% schwangerWo Geschichten leben. Entdecke jetzt