49. Kapitel - Violet

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Violet Elaine Craig

Ich bin irgendwie nervös. Heute ist nicht allzu viel anders als sonst, es fühlt sich nur sehr viel anders an. So vieles hat sich in den letzten beiden Wochen verändert, aber meine Familie ist immer noch dieselbe und dafür bin ich sehr dankbar.

>Oh mein Gott, Violet.< Mit einem breiten Grinsen reißt sie ihre Wohnungstür auf, zieht mich gleich fest in ihre Arme. Das hier habe ich wirklich vermisst. Sie ist immer so herzlich und einfach die beste Schwester der Welt.

>Du erdrückst mich, Scar.< Sie lacht nur und ich erwidere ihre Umarmung. Ich war einfach viel zu lange nicht mehr hier.

>Dann musst du wohl häufiger zu Besuch kommen, kleine.< Sie lässt mich wieder los und wir grinsen uns an, bis ein weinerliches Meckern aus der Wohnung dringt. >Komm rein, du kennst dich aus.< Mit einem Nicken folge ich der Aufforderung, schließe die Wohnungstür hinter mir und ziehe meine Schuhe aus, ehe ich ihr folge. >Sie bekommt grade ihre Zähne. Kannst du sie mal kurz nehmen?< Ich war noch keine zwei Schritte im Wohnzimmer und jetzt habe ich Maja auf den Armen, meine kleine Nichte.

>Na, wen haben wir denn da?< Maja sieht genau so aus wie Scarlet, allerdings hat sie blaue Augen, Scarlet hingegen grüne, so wie ich. Mal abgesehen davon, dass Maja nicht halb so glücklich wirkt wie ihre Mutter.

>Den schlimmsten Wecker überhaupt<, scherzt Scarlet, geht in die Küche und ich folge ihr einfach.

>Sie ist jetzt fast ein Jahr alt, oder?< Sie nickt nur, reicht mir ein Spielzeug für Maja, welches ich natürlich gleich weitergebe. Die kleine will es erst nicht, nimmt es aber dann doch und kaut darauf herum.

>Sie schläft durch, quengelt nicht mehr so oft und auch alles andere ist einfach super. Also war es, bis sie dann vor einer Woche entschieden hat, dass es Zeit für die nächsten Zähne wird. Ein paar wenige hat sie ja schon. Sie ist damit ziemlich spät, aber es ist auch ein unpassender Zeitpunkt, wenn du mich fragst.< Sie rollt die Augen und tut genervt, aber ich sehe genau, wie liebevoll sie Maja ansieht. Genau das bringt mich schon wieder in einen Zwiespalt.

Ich bin hier, um mir ihren Rat zu holen. Sie kann mir alle meine Fragen beantworten und kennt mich sehr gut. Gleichzeitig hat sie die Erfahrung als alleinerziehende Mutter gemacht und wird mir ehrlich sagen, was ihrer Meinung nach das Beste sein wird.

>Du, Scar?< Sie sucht weiterhin irgendetwas in ihren Schränken, wirft mir nur einen kurzen, fragenden Blick zu. >Würdest du deine Entscheidung rückgängig machen? Oder nein, die Antwort kenne ich. Wenn du mit deinem jetzigen Wissen noch mal entscheiden müsstest, ob du dein Kind bekommst oder abtreibst, was würdest du machen?< Sie hält kurz inne, sucht dann aber wieder weiter.

>Ich liebe Maja, das weißt du. Mit meinem heutigen Wissen würde ich mich wieder für mein Kind entscheiden. Auch, wenn es schwer war und auch noch ist, ich bereue nichts.< Ich dachte mir schon, dass sie das sagen würde. Wenn ich keine Wahl hätte oder das Kind schon da wäre, würde ich das auch so sehen. Aber noch habe ich eine Wahl. >Wieso fragst du? Solche Fragen bin ich von dir gar nicht gewohnt<, will sie wissen, lächelt etwas verwirrt, sieht noch einmal fragend zu mir und ich hole tief Luft.

Ganz egal, wie ich mich entscheide, ich muss ganz sicher sein. Ich will nicht bereuen, dass ich es angetrieben habe, aber genauso wenig will ich ein Leben mit einem Kind, für das ich nicht bereit bin.

>Weil ich genau dieselbe Entscheidung treffen muss.< Wieder hält sie inne, doch diesmal dreht sie den Kopf zu mir, starrt mich an. Ganz langsam weiten sich ihre Augen, dann wandert ihr Blick zu meinem Bauch.

>Du bist schwanger?<, hakt sie nach, lässt von ihren Schränken ab. Zur Antwort nicke ich knapp und warte dann. Es wird einen Moment dauern, bis sie die Information verarbeitet hat, das ist ganz normal. Doch anstatt etwas zu sagen, kommt sie zu mir, umarmt mich fest, soweit das mit Maja zwischen uns geht.

>Ich will dich beglückwünschen, aber auch nicht. Ich weiß nicht<, gibt sie zu, lächelt verlegen und mustert mein Gesicht nun noch etwas aufmerksamer.

>Ja, geplant war das alles nicht, also eher keine Glückwünsche. Ich habe noch ein paar Wochen, bis ich mich entschieden haben muss, aber ich will nicht bis zum letzten Moment warten. Ich brauche deinen Rat und ich will dir auch noch etwas anderes erzählen.< Sie nickt langsam, fährt sich abwesend durch ihre schulterlangen, dunkelblonden Haare.

>Jetzt habe ich ganz vergessen, was ich gesucht habe<, meint sie, kneift mir sanft in die Wange. >Gib sie mir. Ich lege sie hin und dann reden wir.<

>Okay, danke.< Sie lächelt schwach, halb in Gedanken, dann nimmt sie mir Maja ab und geht nach nebenan. Ich dagegen holte tief Luft, ehe ich ins Wohnzimmer gehe und es mir auf der Couch bequem mache. Allerdings ist das gar nicht so leicht, weil ich jetzt noch nervöser bin als vorhin. Ganz egal, wie ich mich hinsetzte, es kommt mir nicht richtig vor.

>Dann erzähl Mal<, fordert Scarlet, stellt das Babyfon auf den Wohnzimmertisch und ich springe auf. Ich kann jetzt einfach nicht still sitzen, darum laufe ich ein wenig auf und ab.

>Du kennst Luca, meinen Freund. Also mittlerweile Exfreund.< Sie nickt, lässt sich nun selbst auf der Couch nieder. >Er hat mich verlassen, als ich ihm gesagt habe, dass ich schwanger bin. Weil er dachte, dass ich ihn betrogen habe.< Sie schnaubt verächtlich, lässt mich aber weiterreden. >Das war vor ungefähr zwei Wochen. Jetzt bin ich mit meinem neuen Freund zusammen.< Ich glaube, dass sie mich anstarrt. Mein Blick ist allerdings auf den Boden geheftet, während ich weiter auf und ab gehe. >Er weiß, dass ich schwanger bin und auch von wem. Er würde mich unterstützen, ob ich es behalte oder nicht, aber du kennst mich. Ich will keine Kinder und er will zumindest jetzt noch keins. Außerdem sind wir erst zwei Tage zusammen und ein Kind, das auch noch von einem anderen ist, würde uns nicht guttun, denke ich.<

>Warte Mal<, bittet sie mich und ich bleibe stehen, sehe nun doch zu ihr.

>Luca hat dich verlassen und obwohl du schwanger von ihm bist, hast du einen neuen Freund? Also du kannst dich nach so kurzer Zeit auf einen Neuen einlassen und er will dich, auch wenn du von einem anderen Schwanger bist? Bist du dir ganz sicher, dass er ehrlich ist und keine Hintergedanken hat?< Wenn sie das so sagt, klingt das wirklich komisch. Das alles ging auch sehr schnell, nichts davon war geplant, aber ich will Ash nahe sein. Wenn sie ihn kennen würde, wüsste sie auch, dass Ash ehrlich ist und mich ganz bestimmt nicht ausnutzen will oder so. Er hätte dazu auch viel zu viel zu verlieren, wenn rauskommt, dass zwischen uns etwas läuft.

>Ich weiß durchaus, wie das klingt.< Sie wirkt nicht überzeugt und wenn ich ihr jetzt noch sage, dass mein neuer Freund auch mein Lehrer ist, schickt sie mich in die nächste Anstalt. >Ich würde ihn dir gern vorstellen.< Sie wirkt nicht sonderlich überzeugt, schüttelt schon den Kopf, aber ich will, dass sie mich versteht. >Du weißt doch noch, wie wir die ersten Wochen immer wieder telefoniert haben, als ich mit Luca zusammengekommen bin. Ich war glücklich und verknallt und habe dir einfach alles erzählen müssen, weil ich sonst geplatzt wäre.< Ein schwaches Lächeln schleicht sich auf ihre Lippen, dann nickt sie.

>Du hast mir die Ohren voll gequatscht, ob Maja neben mir geweint hat oder nicht. Du hast einfach nicht mehr aufgehört<, erinnert sie sich und genau darauf wollte ich hinaus.

>Diesmal ist es anders. Ich bin nicht nur verknallt und es ist nicht einfach nur romantisch. Ich habe mich ernsthaft verliebt, es ist unglaublich kompliziert und dazu kommt dann auch noch, dass ich schwanger bin. Ich brauche wirklich deinen Rat, Scar. Mit Tina und Tristan kann ich über vieles reden, aber nicht alles. Dafür brauche ich dich.< Sie ringt offensichtlich mit sich, zögert mit ihrer Antwort, aber ich kenne sie zu gut. Scarlet war immer für mich da, ausnahmslos. Genau so, wie ich ihr immer geholfen habe, wenn es irgendwie ging. Sie wird mir diesen Wunsch nicht ausschlagen, das weiß ich.

Wenn ich ihr unzufriedenes Gesicht so sehe, weiß sie es auch schon und das bedeutet, ich muss mir jetzt überlegen, wie ich ihr meinen Freund schrägstich Lehrer vorstellen soll. 

Zu 0,05% schwangerWo Geschichten leben. Entdecke jetzt