57. Kapitel - Violet

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Violet Elaine Craig

Ash hat einfach ein Talent dafür, mir den Tag zu versüßen. Vom Aufstehen, bis ich in sein Auto gestiegen bin, war der Tag einfach nur eine Katastrophe. Nichts von dem, was in diesem Zeitraum passiert ist, hätte ich gebrauchen können.

Aber kaum war ich bei ihm, wir beide allein, ging es mir besser. Am Anfang war ich zu sehr damit beschäftigt nervös zu sein und mir zu viele Gedanken zu machen, um das zu bemerken, aber später ist es mir aufgefallen.

Er hat mich am Stadtrand eingesammelt, damit uns niemand zusammen sieht und mich den ganzen Tag über begleitet. Er war da und das hat mir so sehr geholfen, dass ich mir gar nicht vorstellen will, wie das alles ohne ihn gelaufen wäre. Vermutlich wäre ich einfach nur verloren und würde weinend in meinem Bett liegen.

>Bin zu Hause!<, verkünde ich, obwohl ich vermutlich allein bin, schließe die Haustür hinter mir. Es ist schon spät, wir sind nach dem Asiaten gemütlich zurück gefahren und dann musste ich noch ein ganzes Stück laufen, aber das macht nichts. Beim Laufen kann ich immer gut nachdenken.

>Violet Elaine<, antwortet meine Mutter in ungewohnt strengem Ton und ich halte beim Ausziehen meiner Schuhe inne. Meine Mutter nennt mich nie bei beiden Vornamen. Im Gegensatz zu meinen Freunden und fast allen anderen, die ich kenne, nennt mich jeder in der Familie Violet.

>Ja?< Sie kommt aus dem Wohnzimmer, verschränkt die Arme vor der Brust und ich ziehe schnell noch den zweiten Schuh aus.

>Wir müssen reden<, verkündet sie, was ich mir schon gedacht habe, dann geht sie in die Küche. Schweigend folge ich ihr dort hin, dann sehe ich schon, warum ich hier bin. Auf dem Esstisch liegt meine angebrochen Pillenpackung und ich brauche ganz schnell einen Grund dafür. >Eigentlich wollte ich das zusammen mit deinem Vater machen, aber er musste kurzfristig ins Büro. Also, erklär mir doch bitte, warum dieser Blister seit Tagen unangerührt im Bad liegt.< Das ist eine berechtigte Frage, von ihrer Seite aus. Immerhin sind das meine Antibabypillen und für gewöhnlich habe ich die auch in meinem Geldbeutel immer bei mir, damit ich sie pünktlich nehmen kann. Weil ich sie abends nehme und dann nicht immer zu Hause bin, habe ich das so gehandhabt, seitdem ich damit angefangen habe, sie zu nehmen.

>Weil ich sie nicht mehr brauche. Luca und ich sind nicht mehr zusammen.< Sie legt den Kopf leicht schief, scheint mir aber nicht zu glauben.

>Und deshalb brichst du sie mittendrin ab? Dann verfällt die Wirkung und du kannst immer noch schwanger werden<, will sie mich aufklären, aber für die Antwort muss ich noch nicht einmal lügen, obwohl es durchaus peinlich ist, mit ihr darüber zu reden.

>Wir haben vor über einem Monat das letzte Mal miteinander geschlafen. Ich kann nicht durch den Abbruch schwanger werden und ich weiß, ich hätte nicht mittendrin aufhören sollen, weil das meinen Zyklus durcheinander bringt, aber daran habe ich nicht gedacht.< Sie schweigt, mustert mich eingehend und ich bete, dass sie es nicht merkt. Sie darf einfach nicht herausfinden, dass ich etwas vor ihr verberge. Wenigstens nicht die nächsten zehn Tage. Danach muss ich es ihr sagen oder es gibt dann nichts mehr, was ich ihr sagen müsste. Also eigentlich schon, aber dann ist alles vorbei.

>Violet<, seufzt sie. >Du handelst doch sonst nicht so übereilt<, sagt sie ein bisschen ruhiger und ich atme erleichtert durch. Das hier scheint in die richtige Richtung zu laufen.

>Luca hat mich beschuldigt ihm fremdgegangen zu sein und mich deshalb verlassen. Das hat mich aus der Bahn geworfen und ich habe ein oder zwei Tage überhaupt nicht über die Folgen vom Absetzten der Pille nachgedacht und dann hätte es nichts mehr gebracht, sie weiter zu nehmen. Das heißt, ich habe nur darüber nachgedacht, ob ich schwanger werden kann und weil ich das klar mit einem „Nein" beantworten konnte, habe ich sie einfach weg gelassen<, gestehe ich schließlich und schließe kurz die Augen. Ich wollte es eigentlich meiden, ihr davon zu erzählen, aber ich weiß, dass ich sonst nicht ganz aus dem Schneider bin. Sie wird jetzt sehr genau auf mich achten, bis sie absolut sicher ist, dass nicht doch etwas anderes dahintersteckt. Das weiß ich, denn ich kenne meine Mutter sehr gut.

>Das hast du gar nicht erzählt<, höre ich sie leise sagen, dann öffnet sie ihre Arme und ich gehe sofort zu ihr, hole mir eine schöne, lange Umarmung. Die hatte ich viel zu lange nicht mehr. Sie konnte mir bisher immer am besten Trost spenden und war auch immer für mich da. Es fehlt mir ein bisschen, einfach nur mit ihr zu Reden oder Mal den Abend zu verbringen, aber in letzter Zeit ist einfach so viel los. Vielleicht schaffe ich es in den kommenden Tagen mal, mit meinen Eltern irgendetwas zu unternehmen, oder wenigstens wieder mit ihnen zu Abend zu essen.

>Das wollte ich euch auch nicht erzählen, damit ihr ihm nicht böse seid oder euch Sorgen macht. Es ist mittlerweile auch in Ordnung so<, versichere ich ihr und sie drückt mich noch einmal, ehe sie mich wieder loslässt. Irgendwie fühle ich mich jetzt leichter.

>Also können wir die entsorgen?<, will sie wissen, deutet mit einem Nicken in die Richtung der Pillenpackung.

>Ja, in nächster Zeit brauche ich die nicht und einen angefangenen Blister sowieso nicht.< Sie lächelt leicht, kneift mir in die Wange und ich bin einfach nur erleichtert. Das ist doch besser ausgegangen als erwartet.

>Ich habe mir wirklich Sorgen gemacht<, erklärt sie, zieht mich noch einmal in ihre Arme und ich kann mich endlich wieder etwas entspannen. >Ich will nicht noch eine Tochter, die ihr Leben für ihr Kind wegwirft. Du ziehst schließlich auch so noch früh genug aus. Ohne dich würde mir hier so viel fehlen<, sagt sie leise, beinahe Liebevoll, aber mir wird kalt. Wenn ich dieses Kind bekomme, verliere ich meine Familie. Sie hat mir gerade durch die Blume gesagt, dass sie mich vor die Tür setzt, wenn ich ihr gestehe, dass ich schwanger bin.

>Sag doch so was nicht<, bitte ich sie, versuche meinen Magen zu beruhigen, doch mir ist übel.

>Du weißt doch, wie ich das meine<, sagt sie locker, aber genau das ist das Problem. Ich weiß sehr gut, dass sie das wirklich ernst meint. Sie wird mich rauswerfen, genau wie Scarlet und mit großer Sicherheit auch den Kontakt abbrechen. Ich weiß nicht, ob ich damit umgehen könnte. Das allein wäre schon wirklich schlimm, aber das ist nicht die einzige Hürde im Moment.

>Ich muss hoch<, erkläre ich ihr knapp, mache mich von ihr los. Ich muss das in Ruhe verarbeiten.

>Was hast du denn?<, will sie wissen, mustert mich besorgt und ich sage einfach das erste, was mir einfällt.

>Regelschmerzen.< Magenschmerzen sind nicht so sehr viel anders, darum kann ich das gut tarnen, halte mir den Bauch und eile nach oben. Sie lässt mich gehen, ruft mir nicht nach, dann bin ich schon im Bad, schließe ab. Zum Glück schaffe ich es auch noch zur Toilette, dann muss ich mich übergeben. >Was-<, höre ich mich fragen, doch dann geht es schon weiter. Nur, als sich mein Bauch und mein Magen zusammengezogen haben, hat es sich angefühlt, als hätte ich tatsächlich meine Tage. Aber das kann unmöglich sein.

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Ich werde noch wahnsinnig. Das ist einfach unmöglich. Bei dem Gedanken an den Dienstagmorgen will ich schon sagen, dass es unmöglicher als unmöglich ist, aber eine Steigerung gibt es da eigentlich nicht. Nur wenn ich meine Tage habe, kann ich nicht schwanger sein. Das eine schließt das andere aus und Ende. Aber ich habe meine Tage.

>Also habe ich mich die ganze Zeit um sonst verrückt gemacht? Glauben jetzt alle, dass ich schwanger bin und ich habe meine Mutter angelogen, obwohl gar nichts ist?<, frage ich mein Spiegelbild leise, versuche mit dem Weinen aufzuhören. >Das war alles um sonst?< Das kann und will ich nicht glauben. Diese beiden Wochen waren eine Katastrophe, Chaos und noch so viel mehr. Aber damit komme ich schon klar, wenn es wenigstens einen guten Grund hatte. Bisher gab es den auch.

Mein Handy vibriert, darum sehe ich nach, starre auf meinen Wecker. Wir haben schon halb sieben. Ich muss mich fertig machen und in die Schule. Aber so kann ich da nicht hin. Die halbe Nacht über habe ich mich übergeben und den Rest der Zeit habe ich an meinem Verstand gezweifelt.

Kurz entschlossen lege ich mein Handy weg, ziehe mich aus und steige in die Dusche. Ich werde jetzt einfach so tun, als wäre nichts, um sieben meine Frauenärztin anrufen und sie fragen. Sie muss wissen, was da los ist und wenn nicht, fahre ich eben zu ihr. Ohne eine Antwort kann ich heute mit niemandem reden und schon gar nicht in die Schule gehen. Da sind Luca, der mich wegen meiner Schwangerschaft verflucht und Ash, der bereit ist sein Leben auf den Kopf zu stellen, für mich und ein Baby, das es vielleicht gar nicht gibt. Der mir Beistand geleistet hat, obwohl das alles vielleicht nur ein großer Irrtum war. 

Zu 0,05% schwangerWo Geschichten leben. Entdecke jetzt