31. Kapitel - Violet

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Violet Elaine Craig

June ist eine wunderschöne, schlanke Frau Ende zwanzig, mit einem warmen Lächeln im Gesicht. Ich kann mir einfach nicht vorstellen, dass sie mal nicht lächelt und ich glaube, dass Emil genau deshalb so ein Sonnenschein ist.

>Danke, wirklich<, sagt sie schon wieder, reicht mir eine Kiste mit Dinosauriern. >Auf die hat er bestanden<, erklärt sie, wirft einen Blick über meine Schulter in das Wohnzimmer, sucht vermutlich nach Emil, der schon unser Haus erkundet.

>Dann weiß ich schon, womit wir den Abend verbringen werden. Du kannst ihn dann jederzeit abholen. Auch erst morgen, wenn dir das besser passt.< Ich habe auch nichts dagegen, wenn Emil hier einzieht, aber das möchte ich so nicht sagen.

>Schau Mal<, strahlt Emil, kommt aus dem Wohnzimmer und zeigt seiner Mutter ein Buch über Dinosaurier, welches ich heute nach der Schule gekauft habe, um ihm nachher etwas vorlesen zu können. Von den Gebrüdern Grimm haben wir nämlich nichts hier und die Abwechslung gefällt ihm sicher.

Während er das macht, stelle ich die Kiste in das Wohnzimmer, wo wir den Abend über spielen können. Meine Eltern sind außer Haus und hier gibt es ausreichend Platz.

>Das wird eine spannende Gutenachtgeschichte<, kommentiert sie das Buch, reicht es ihm zurück und er blättert es durch, sieht sich die Bilder an. >Das heißt, mir wäre es tatsächlich lieb, wenn ich ihn morgen um sieben holen könnte. Aber ich möchte natürlich nicht, dass du zu spät in die Schule kommst.< Sie wirkt besorgt, obwohl sie noch immer freundlich lächelt, was irgendwie komisch ist. Aber auf eine gute Weise.

>Keine Sorge, sieben Uhr ist eine gute Zeit.< Sie scheint sich wirklich zu freuen, drückt ihrem Sohn noch einen Kuss auf die Stirn.

>Dann sei schön brav und wir zwei sehen uns morgen, ja?< Er nickt eifrig, legt das Buch bei Seite und schlingt seine Arme kurz um ihren Hals.

>Ich habe dich lieb<, sagt er leise, dann lässt er sie schon wieder los, widmet sich der Dino-Kiste. Ich muss immer wieder feststellen, wie wunderbar und herzerwärmend dieser kleine Kerl ist und auch June betrachtet ihn mit einem sanften, liebevollen Lächeln.

>Dann wünsche ich euch viel Spaß und einen schönen Abend. Wie gesagt, Ash ist erreichbar, falls etwas ist und ich im Notfall auch.< Stumm nicke ich, versuche mir nicht anmerken zu lassen, dass mein Bauch flattert. Das ist nicht normal und ganz egal, was ich versuche, jeden Tag wird es schlimmer. Wenn ich auch nur kurz an ihn denke, gehen meine Gefühle auf eine Achterbahnfahrt. Dabei hat sie nur seinen Namen gesagt.

>Danke, euch auch.< Sie nickt knapp, hebt die Hand zum Abschied und geht. Ich sehe ihr noch nach, bis sie das Haus verlassen hat, dann klammert sich Emil an mein Bein.

>Ich habe Hunger<, flüstert er, was mich lachen lässt.

>Ich dachte die Dinos warten?< Er sieht tatsächlich kurz wehmütig zu der vollen Kiste, strahlt dann aber wieder zu mir hoch.

>Erst essen. Mama hat heute nur Gemüse gemacht<, erklärt er, was wohl bedeutet, dass er sich nicht satt gegessen hat und deshalb auch gleich etwas essen möchte, obwohl man eigentlich nicht hungrig zum Babysitter geht.

>Du willst nur wieder Pfannkuchen.< Er lächelt verlegen, wendet aber den Blick nicht ab.

>Und Ahornsirup<, stellt er klar und ich ergebe mich. Niemand kann diesen großen, unschuldigen, braunen Augen widerstehen. Mal ganz abgesehen davon, dass ich Pfannkuchen genau so sehr liebe wie er und durchaus auch ein bisschen Hunger habe.

>Hilfst du mir oder möchtest du schon Mal alles aufbauen?< Nachdenklich sieht er sich im Wohnzimmer um, dann stahlt er wieder zu mir hoch.

>Ich will helfen. Mama sagt, dass ich gut kochen kann.< Das glaube ich gern, schließlich ist er sehr kreativ, aber auch manchmal sehr kleinlich. Die Zutaten sollte er demnach problemlos vermengen können und ich backe sie dann. Von der heißen Pfanne kann ich ihn mit den fertigen, leckeren Pfannkuchen sowieso sehr gut weglocken.

>Das glaube ich dir. Also alles wie beim letzten Mal oder möchtest du das Rezept vielleicht ein bisschen verändern und etwas ganz neues Kreieren? Dann nennen wir sie „Emils Pfannkuchen".< Seine Augen werden ganz groß, dann nickt er eifrig und hebt seine Arme, damit ich ihn hochhebe.

>Wir machen Honig in den Teig<, beschließt er und irgendwie war es mir klar, dass er sie noch süßer machen will.

>Dann aber nicht zu viel, sonst haben wir dann Probleme beim Backen.< Er nickt wieder, als könnte es da gar keine Probleme geben und ich trage ihn nach nebenan in die Küche. Dort stelle ich dann einen Stuhl an die Kücheninsel, damit er an alles ran kommt. 

>Dauert das lange?<, will er wissen und ich stelle ihn auf dem Stuhl ab, suche alles zusammen, was wir brauchen.

>Bist du so hungrig?< Er nickt verlegen, dann reiche ich ihm eine Schüssel für den Teig. >Nur ein paar Minuten. Sobald der Teig fertig ist, muss ich sie nur noch backen und du kannst so viele haben, wie du möchtest.< Zufrieden stellt er die Schüssel auf die Kücheninsel, inspiziert die Zutaten, welche ich schon dazugestellt habe.

>Ash kann auch gut kochen<, erklärt er unvermittelt und mir fallen beinahe die Eier aus der Hand. Ich habe wirklich versucht ihn nach der Anmerkung von June aus meinem Kopf zu verbannen, aber die Welt ist gegen mich. Wobei ich ohnehin nicht sehr erfolgreich war, weil Emil ihm einfach so ähnlich sieht.

>Wie oft bist du denn bei ihm?< Er schient kurz zu überlegen und ich stelle die Eier vorsichtig ab.

>Nicht oft. Wir haben ihn aber ab und zu besucht, als er noch woanders gewohnt hat und da hat er immer für uns gekocht<, erzählt er und ich beginne damit, die Zutaten abzuwiegen. Das mache ich lieber selbst, aber vermischen kann er sie dann. >Sein neues Haus ist viel größer. Mama und Papa haben ihm beim Umzug geholfen, deshalb durfte ich mir die Farbe für das Gästezimmer aussuchen<, redet er weiter und ich überlege, ob ich weiter mit ihm über Ash, ich meine Herr Lesharo, reden sollte oder doch das Thema wechseln. Wobei das auch erklären würde, warum das Gästezimmer als einziger Raum nicht Weiß, sondern in einem angenehm hellen Orange gestrichen ist.

>Dann hast du jetzt wohl mehr Platz für Dino-Städte und auch noch dein ganz eigenes Reich.< Er lächelt breit, nimmt mir das abgewogene Mehl ab. >Vorsichtig in die große Schüssel geben.< Er nickt, wirkt dabei hoch konzentriert und kippt das Mehl dann langsam in die große Schüssel. Sie schwankt dabei ein wenig, darum halte ich sie fest, aber es geht nichts daneben. >Sehr gut.< Er strahlt mich an, reicht mir die Schüssel zurück und ich mache mich daran, auch die anderen, trockenen Zutaten abzuwiegen, damit er die erst Mal alle vermischen kann.

>Ist Onkel Ash einsam?< Ich weiß, dass sich meine Augen weiten, aber ich kann nichts dagegen tun, denn auch mein Herz hat kurz ausgesetzt. So eine Frage habe ich einfach nicht erwartet und schon gar nicht, dass ein vierjähriger sie mir stellt. >Mama sagt immer, dass ich eine Freundin haben kann, wenn ich groß bin und sie dann bestimmt ganz leckere Sachen für mich kocht. Aber Ash kocht immer selber und hat auch keine Freundin. Und Papa hat gesagt, dass eine Freundin etwas ganz Wichtiges ist. Wenn ich groß bin, will ich auf jeden Fall eine haben, aber mein Onkel ist schon groß.< Er sieht zu mir auf, erwartet eine Antwort, aber mir fehlen die Worte. Dass er diese Schlussfolgerung gezogen hat, ist für mich nicht nachvollziehbar. Er ist viel zu jung für solche Fragen.

>Also, ehrlichgesagt weiß ich das nicht.< Er sieht traurig aus, deshalb hole ich tief Luft und suche nach einer plausiblen Antwort für ihn. >Vielleicht hat er seine Freundin einfach noch nicht gefunden. Man kann sich nicht aussuchen, wann man die Richtige kennenlernt. Ich glaube nicht, dass er einsam ist und du dir Sorgen machen musst. Er findet bestimmt bald jemanden, der sehr gern für ihn kocht.<

>Und lecker<, ergänzt er gleich und wir grinsen uns kurz gegenseitig an. Um das Thema zu wechseln, reiche ich ihm meine Schüssel mit den übrigen, trockenen Zutaten und erkläre ihm, was er machen soll. Ab da konzentriere ich mich ganz auf ihn und das Backen der Pfannkuchen, aber die Frage lässt mich irgendwie nicht los. Tatsächlich denke ich nicht, dass Herr Lesharo einsam ist, aber er ist allein. Genau wie ich. 

Zu 0,05% schwangerWo Geschichten leben. Entdecke jetzt