Ash Lesharo
Violet ist so besorgt um Emil, dass ich mich gar nicht wahrnimmt, obwohl ich auf ihrem Bett sitze. Sie trägt nur ein T-Shirt und Shorts, hat ihre Haare zu einem groben Dutt zusammengebunden. Sie sitzt ebenfalls auf ihrem Bett, an das Kopfteil gelehnt. Emil sitzt auf ihrem Schoß und schläft. Sie streicht dabei über seinen Rücken, lässt ihn nicht aus den Augen. Sein Kopf liegt auf ihren Brüsten, wo ich versuche möglichst nicht hinzusehen.
Er hat ab und an diese Fieberschübe, davon hat mir June schon erzählt und ich habe auch immer die richtige Medizin dafür bei mir. Offenbar hat Violet einfach eine schlechte Nacht erwischt, um allein auf ihn aufzupassen.
>Hat er das häufiger oder habe ich etwas falsch gemacht?<, fragt sie leise, ohne aufzusehen.
>Sein Immunsystem regiert manchmal über, dann bekommt er Fieber. Ich bin mir allerdings sicher, dass die Ursache nicht in diesem Haus ist. Meistens hat er das, wenn er den Tag über lange draußen war.< Sie nickt langsam, atmet erleichtert aus. >Ist alles in Ordnung bei dir?< Sie nickt kurz, ohne zu mir aufzusehen, lächelt aber zumindest leicht.
>Seine Temperatur ist schon runtergegangen<, sagt sie leise, dann sieht sie doch zu mir. >Danke, dass Sie so schnell hier waren. Ich hatte wirklich Angst um ihn.<
>Das ist selbstverständlich<, versichere ich ihr, erwidere ihr Lächeln. >Brauchst du noch etwas?< Ich sollte gehen. Das möchte ich natürlich nicht, aber wenn ich bleibe, weiß ich nicht, was passiert. Nicht allzu viel, weil Emil hier ist, aber es ist nicht ausgeschlossen, dass es doch mehr wird, als gut für uns ist.
Sie schweigt, mustert mich einen Moment lang stumm. Dann jedoch bewegt sich Emil im Schlaf, lenkt ihre Aufmerksamkeit auf sich und sie lächelt wieder so schön.
>Im Moment nichts. Außer vielleicht schlaf<, scherzt sie, betrachtet sein entspanntes, verschlafenes Gesicht.
>Soll ich ihn zu mir nehmen?< Sie starrt mich an, als hätte ich etwas sehr Merkwürdiges vorgeschlagen und ich will sie danach fragen, doch sie sagt schon etwas.
>Und wie erkläre ich das June?<, will sie wissen, dann greift Emil im Schlaf nach ihrem Shirt, zieht es nach unten, weshalb es mich etwas mehr Anstrengung kostet, ihr nur ins Gesicht zu sehen.
>Ich werde ihr sagen, dass er einen seiner Schübe hatte und du dich damit besser fühlst, wenn er danach bei mir ist. Wenn dir das Recht ist.< Sie weiß vermutlich, dass ich June auf jeden Fall von dem Fieber erzählen muss und es war richtig, mich um Hilfe zu bitten, also gibt es auch keine Probleme.
>Kann ich mitkommen?< Sie hat das so leise gefragt, dass ich sie beinahe nicht verstanden habe. Auch so habe ich das Gefühl, mich verhört zu haben.
>Was hast du gesagt?< Sie beißt sich kurz auf die Lippe, was meinen Blick auffängt. Ich weiß noch sehr gut, wie es sich anfühlt, diese weichen Lippen zu küssen.
>Ich kann nicht mehr schlafen, wenn ich nicht genau weiß, dass es Emil gut geht<, erklärt sie und das ist herzerwärmend. Allgemein gefällt es mir, wie sehr sie sich um ein Kind sorgt, mit dem sie kaum etwas zu tun hat.
>Du hast ihn ziemlich gern, oder?< Ihre Wangen röten sich leicht, dann sieht sie zu Emil und nickt.
>Er ist einfach so liebenswert und lebhaft und verspielt und süß und-< Sie unterbricht sich, streicht ihm über den Rücken. Mir ist danach sie zu fragen, was sie noch sagen wollte. Es sieht ihr nicht ähnlich, mitten im Satz abzubrechen. Aber ich weiß nicht, ob ich das tun sollte. Schließlich will ich sie nicht bedrängen, nachdem sie sich endlich wieder etwas entspannt hat. >Er sieht aus wie du.< Mit diesem einen, kurzen Satz hat sie meinen Kopf einfach restlos leergefegt. Stattdessen sehe ich sie vor mir, mit einem Kind in den Armen, aber es ist nicht mein Neffe.
Sie löst den Blick von Emil, sieht zu mir auf. Ihre hellen, grünen Augen mustert mein Gesicht, dann schließt sie die Augen und ich küsse sie vorsichtig. Ihre Lippen schmecken leicht nach Vanille, fordern mehr als einen kurzen, sanften Kuss.
Es ist wie im Schwimmbad. Ich kann mich nicht daran erinnern ihr nähergekommen zu sein und doch bin ich hier. Ich weiß auch nach wie vor, dass wir Abstand halten sollten und das eigentlich auch wollen, weil jede Vernunft gegen das hier spricht. Aber es fühlt sich so verdammt gut an.
Eine ihrer Hände krallt sich in mein T-Shirt, sie zieht mich enger an sich und ich gebe ihr nach. Nicht zu sehr, schließlich ist da auch noch Emil, aber den Kuss will ich genauso wenig lösen wie sie.
Anton und René würden mich hierfür verprügeln und das zu Recht, aber das wäre es mir Wert. Violet nahe zu sein und sie zu berühren ist jedes Mal wieder mit unglaublich vielen, schönen Gefühlen verbunden.
>Ash<, sagt sie leise, ihre Stimme klingt belegt. Emil bewegt sich unruhig, hat wohl dafür gesorgt, dass die Vernunft die Oberhand zurückerlangt hat. >Nimm ihn mit zu dir. Ich bleibe hier.< Ihre Worte versetzten mir einen Stich, auch wenn sie Recht hat. Sie jetzt mit zu mir zu nehmen, könnte einfach nicht gut enden. Abgesehen davon, dass wir langsam wirklich wieder schlafen gehen sollten.
>Okay.< Meine Stimme klingt belegt, ihr Blick huscht zu meinen Lippen, doch anstatt mich wieder an sich zu ziehen, reicht sie mir Emil. Genau so muss es sein.
Vorsichtig nehme ich ihn entgegen, er kuschelt sich an mich und ich stehe auf. Sie tut es mir nach, sammelt seine Sachen zusammen und reicht mir schließlich den Rucksack. >Ich gebe June Bescheid, du kannst schlafen gehen.< Sie nickt stumm, führt mich dann aber noch nach unten und hält mir die Tür auf.
>Gute Nacht<, wünschte sie uns beiden, denke ich, sieht aber nur Emil dabei an.
>Gute Nacht.< Ihre schönen Augen springen hoch, sie sieht mich wieder an, aber bevor etwas passieren kann, wende ich mich ab, gehe.
Das ist das einzig Richtige, das weiß ich. Aber so fühlt es sich nicht an. Eher so, als würde ich gehen und mein Herz bei ihr lassen.
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Der Morgen danach verlief ganz entspannt und ohne weitere Vorkommnisse. June wollte noch einmal zusammengefasst wissen, was letzte Nacht passiert ist und ich habe ihr alles Wichtige erzählt. Sie war nicht sauer oder besorgt, hat mich nur gebeten, Violet auszurichten, dass alles in Ordnung ist und sie sich keine Sorgen machen soll. Was Emil auch bekräftigt hat.
Und genau das hatte ich grade vor, doch Violet geht mir aus dem Weg. Sie ist eben am Lehrerzimmer vorbeigegangen, aus dem ich im selben Moment gekommen bin, hat mich aber ignoriert. Es sind noch zwanzig Minuten bis zur ersten Stunde, eilig hat sie es also eher nicht.
>Violet<, sage ich ihren Namen wieder und diesmal bleibt sie auch stehen.
>Ich muss zum Unterricht<, erklärt sie, ohne sich zu mir umzudrehen und will weitergehen, aber das verstehe ich nicht. Dass sie Abstand wahren will, vor allem hier, das ja. Aber warum sie mir derart ausweicht, dafür gibt es keinen Grund. Sie hat mit ihrem Kuss letzte Nacht ausgedrückt, dass sie mehr will. Vielleicht schämt sie sich jetzt dafür, aber das ist kein Grund so zu tun, als wäre ich nicht da.
>Ich möchte dir nur von June ausrichten, dass alles in Ordnung ist und sie dich gern wieder als Babysitterin einsetzen würde. Nur wird sie dir vorher noch ein paar Dinge erklären, damit du nächstes Mal weißt, wie du ihm helfen kannst.< Tatsächlich hält sie inne, dreht sich langsam zu mir um und mir bleibt das Herz stehen. Da ist wieder diese Sorge um sie und ich will sie in den Arm nehmen, aber ich kann nicht. >Was ist passiert?< Sie hat geweint, das sehe ich ihr an. Nicht grade eben, es ist schon ein paar Minuten her, aber ihre Augen sind noch leicht verquollen.
>Nichts neues<, weicht sie aus, wendet sich wieder ab. >Danke, wegen der Nachricht von June<, fügt sie hinzu und geht. Ich will ihr folgen, sie in einen Raum zerren, wo wir allein sind und die Wahrheit aus ihr herausholen, aber ich darf nicht. Mir sind die Hände gebunden, solange wir in diesem Gebäude sind.
>Hey Elly!<, ruft Tristan von irgendwo, dann eilt er an mir vorbei zu Violet, die überhaupt nicht reagiert hat. Im Gegensatz zu mir kann er sie aber festhalten und zwingen, ihn anzusehen. Sie wird ihm hoffentlich sagen was passiert ist, auch wenn ich gern derjenige wäre, der ihr wieder auf die Beine hilft. Vielleicht kann ich das irgendwann, aber nicht heute.
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Zu 0,05% schwanger
RomanceWenn die Vernunft gegen das Herz verliert, wenn wir unseren Herzen folgen, entsteht meist ein Geheimnis, das alles zerstören kann. Verliebt zu sein ist etwas Schönes, schwanger zu sein auch. Beides würde prinzipiell in so ziemlich jedes Leben passe...