9. Kapitel - Violet

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Violet Elaine Craig

Selbstverständlich bemerke ich, dass ich nach außen hin zeige, wie nervös ich bin. Luca hat das nicht bemerkt, Tristan und Tina haben es nicht angesprochen, aber ich denke sie ahnen zumindest, dass etwas nicht stimmt. Und Herr Lesharo weiß es auf jeden Fall.

Ich war auch nicht ganz bei mir, muss ich zugeben. Mit einem männlichen Lehrer wegen einem Arzttermin zu reden ist ganz normal. Aber morgen wird er erfahren, dass ich beim Frauenarzt war. Ich habe nämlich zum Glück gleich einen Termin bekommen. Zwar habe ich dann Gewissheit, aber selbst dann, wenn ich nicht schwanger bin, wird er wissen, wo ich war. Und nur er. Meine Eltern dürfen davon nichts wissen, sonst stellen sie Fragen. Neben meinen halbjährlichen Kontrollterminen bin ich da nämlich eigentlich nicht und das wissen sie. Zwar lassen sie mir viel Freiraum, ich darf mein Leben selbst bestimmen, aber es gibt so ein, zwei Themen, da wollen sie genau Bescheid wissen, was ich natürlich verstehen kann.

>Willkommen zu Hause<, begrüße ich meine Mutter, die gerade durch die Haustür kommt, als ich nach oben in mein Zimmer gehen will. Ich darf nicht lange in ihrer Nähe sein, sonst merkt sie es sofort und ohne eine plausible Antwort komme ich auf keinen Fall davon. Sie hat da ein sehr feines Gespür oder mir ist es einfach sehr deutlich anzumerken, wenn ich mal etwas verbergen will.

>Hallo mein Schatz. Ich bin nur auf dem Sprung hier, wir müssen in einer halben Stunde bei einem Abendessen sein<, erklärt sie, wirft mir nur einen kurzen Blick zu, dann läuft sie schon hektisch umher. Erleichtert lasse ich die Schultern sinken, gehe weiter nach oben.

>Okay, dann viel Spaß schon Mal.< Sie lächelt, sieht noch einmal zu mir, was ich nur aus dem Augenwinkel sehen kann, doch es lässt mich innehalten und noch einmal zu ihr runter sehen. 

>Alles in Ordnung?< Sie hat mich bis dahin nur eine Sekunde lang angesehen und trotzdem weiß sie, dass mich etwas bedrückt. Wie gesagt, vor ihr kann ich nur sehr schwer etwas verbergen und diesmal ist es noch schwieriger, weil ich genau weiß, wie sie reagieren würde, wenn sie wüsste, was in mir vorgeht und warum ich mich so komisch verhalte.

>Luca und ich, wir hatten einen kleinen Streit, aber nichts Ernstes.< Eine bessere Lüge ist mir nicht eingefallen und es ist auch nur dieses eine Mal. Ausnahmsweise kann ich ihr nicht die Wahrheit sagen und bin wirklich froh, dass sie mir zu glauben scheint.

>Das klärt sich schon wieder, mach dir keine Sorgen<, versucht sie mich aufzumuntern und ich nicke stumm, gehe nun endlich ganz nach oben.

>Bis nachher.<

In meinem Zimmer angekommen stelle ich meine Tasche ab, steuere direkt mein Bett an und lasse mich darauf fallen. Es tut gut, einfach mal loszulassen. Seit der ersten Pause bin ich angespannt, mache mir ununterbrochen Gedanken. Das ist natürlich ganz normal und auch berechtigt, würde ich sagen, aber es führt zu keinem Ziel, also ist es am Ende schon irgendwie umsonst.

Eigentlich ist das alles gar nicht so schlimm. Ginge es nur um mich, würde ich nach meinem Gefühl entscheiden, ob ich es behalte oder nicht, falls ich wirklich schwanger bin. Aber es geht nicht nur um mich.

Meine Eltern werfen mich raus, wenn ich es behalte und wenn ich abtreibe, sind sie auch sauer. Sie sind nämlich beide gegen Abtreibungen, daran gibt es auch nichts zu rütteln. Allein könnte ich das auch gar nicht machen. Ich habe weder das Geld, noch die Möglichkeiten.

Durch meine Schwester weiß ich nämlich, dass Abtreibungen nicht so leicht und günstig sind, wie zum Beispiel die Pille danach zu kaufen. Sie hat das alles schon durch gemacht, aber sie hatte ihren Freund an ihrer Seite. Er hat sie unterstützt, sie sind zusammengezogen und das hat ihr die Entscheidung sehr erleichtert. Da war es nicht ganz so schlimm, dass unsere Eltern sie rausgeworfen haben.

Zu 0,05% schwangerWo Geschichten leben. Entdecke jetzt