32. Kapitel - Ash

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Ash Lesharo

Anton wollte nicht ins Fitnessstudio und ich nicht in eine Bar, darum haben wir uns darauf geeinigt spazieren zu gehen. Das ist untypisch für unser Alter und auch eine nicht sonderlich gängige Art, sich zu treffen, aber so fällt es mir leichter, mit ihm zu reden.

>Du hast wirklich viel erlebt<, seufzt er, wir folgen weiter dem Pfad im Wald, für den wir uns entschieden haben.

>Nicht so viel wie du. Seit wann bist du mit Gina verlobt und wann wollt ihr heiraten?< Ein verträumtes, glückliches Lächeln tritt in seine Züge.

>Erst zwei Monate und die Hochzeit ist für nächstes Jahr geplant, wir haben aber noch keinen Termin. Sie plant schon wie wild und bevor sie nicht sicher ist, alles Rechtzeitig fertig zu bekommen, will sie auch noch keinen Termin. Wo wir schon beim Thema sind<, beginnt er, sieht zu mir. Ich ahne schon, was er sagen will und freue mich, dass er das wirklich möchte, obwohl wir uns so lange nicht gesehen haben. >Du wirst mein Trauzeuge. Das ist keine Frage, um das gleich klarzustellen.< Er hat ein neckendes Lächeln im Gesicht und ich kann mir ein Lachen nicht verkneifen. Er macht solche Sachen gern und dafür schätze ich ihn. Er ist immer ehrlich, meistens auch sehr direkt, aber auf eine gute Weise. 

>Es ist mir eine Ehre.< Er nickt zufrieden, dann runzelt er die Stirn. 

>Ich hätte nie gedacht, dass ich vor dir heirate.< Das hat niemand gedacht. Er ist nicht spontan, plant immer im Voraus und wollte auch eigentlich nicht unbedingt heiraten. Über Kinder haben wir nie gesprochen, aber ich glaube, dass er Vater werden will. Auch ich will irgendwann Kinder haben, aber dazu brauche ich erst Mal eine Partnerin und eine funktionierende Beziehung. Kinder sind für mich noch lange kein reeller Gedanke.

>Ich auch nicht, aber natürlich freue ich mich für dich und kann es kaum erwarten, dein Gelübde zu hören.< Er schnaubt, schenkt mir ein entspanntes Lächeln.

>Ich bin eben nicht sehr gläubig, aber sie besteht auf eine kirchliche Trauung. Im Gegenzug wird sie für den Rest unseres Lebens meine Frau, also kann ich das schon über mich ergehen lassen.< Wegen seinem angestrebten Studium war er immer in der Schule, hat nie geschwänzt, aber wenn es seine Noten im Religionsunterricht zugelassen haben, hat er durchaus die ein oder andere Stunde verschlafen. >Was ist mit dir? Wie steht es mit dir und der geheimnisvollen Frau?< Ich hatte gehofft, dass das Thema nicht wieder aufkommt, aber das lässt sich wohl nicht vermeiden. Er ist neugierig und ich wäre es an seiner Stelle auch.

>Gut, denke ich. Also wenn man das so sagen kann. Sie hat mich geküsst und es war perfekt, aber die Erinnerung ist auch immer mit Schuldgefühlen behaftet. Wenn es um sie geht, bin ich immer zwiegespalten.< Er mustert mich einen Moment lang nachdenklich, dann achtet er wieder mehr auf den Weg.

Für eine Weile gehen wir so schweigend nebeneinander her, folgen unseren eigenen Gedanken. Was bei mir heißt, dass ich an Violet denke. Ich vermisse es, sie ansehen zu können. Es ist erst ein paar Stunden her, dass ich sie in der Schule gesehen habe, aber es fühlt sich an, als wären es mehrere Tage.

>Es liegt also an ihr, dass ihr nicht zusammen sein könnt, wenn ich das richtig verstehe<, durchbricht er die Stille, lenkt meine Gedanken um. Das stimmt nicht wirklich, aber ich weiß auch nicht, wie ich ihm das sagen soll. Wie man überhaupt jemandem diese Situation begreiflich machen kann, ohne alles zu verraten.

>Es ist eher beidseitig, aber können wir wieder über dich reden?< Er schmunzelt, schüttelt knapp den Kopf.

>Nur eine Frage noch.< Ich nicke knapp, wappne mich innerlich, doch seine Frage ist ganz anders, als ich dachte. >Bist du glücklich?<

>Ja.< Darüber muss ich nicht nachdenken. Es gibt Probleme, ich kann nicht bei ihr sein, wie ich es gern wäre und für uns beide ist es besser, wenn wir uns nie wiedersehen. Aber ich bin immer glücklich, wenn ich an sie denke. Ihr Lächeln, ihre Stimme, ihre sympathische, offene Art.

All das erinnert mich immer an die guten Dinge auf dieser Welt. Sie zu sehen ist manchmal, wie der erste Sonnenstrahl nach vielen, endlosen, dunklen Tagen. Mit ihr zu reden ist immer angenehm und ich habe das Gefühl ihr alles sagen zu können. Ich vertraue ihr, will sie beschützen und es ist das erste Mal, dass ich das für jemanden außerhalb meiner Familie empfinde. Selbst bei Jennifer hatte ich das alles nicht in diesem Maß. Es fällt mir eigentlich nicht sehr leicht, zu vertrauen.

>Dann passt für mich alles<, meint er, bleibt aber stehen. >Lass dich nur nicht irgendwo reinziehen. Wenn es besser ist, sie zu vergessen, solltest du das zumindest in Erwägung ziehen.< Genau das wollte ich nicht hören. Ich rede zwar nicht mit ihm, damit er einfach all meine Entscheidungen gutheißt und mich blind unterstützt, aber ich will auch nicht hören, dass ich sie gehenlassen sollte.

>Ich weiß.< Er nickt knapp, dann beginnt er von seinen Eltern zu erzählen. Ich höre ihm auch mit einem Ohr zu, aber ich konzentriere mich viel lieber auf meine Gefühle.

Früher, als ich noch jünger war, habe ich niemandem vertraut. Das war irgendwie schon immer so. Später habe ich gemerkt, dass ich durchaus Anton vertraue, auch wenn mir das nie so wirklich bewusst war. Auch bei Jennifer habe ich entschieden, dass es in Ordnung ist, wenn ich mich öffne, zumindest ein bisschen, aber das ist nach hinten losgegangen.

Bei der Bundeswehr habe ich dann gelernt, was Vertrauen bedeuten kann, wie wichtig es ist. Das hat mir geholfen zu entscheiden, wem ich vertrauen möchte und wem nicht. So hatte ich zum Beispiel ein paar gute Freunde an der Uni, aber ich habe mich niemandem gegenüber vollkommen geöffnet. Jeremy und René kennen mich gut, aber sie wissen lange nicht alles über mich. Sie waren meine Gefährten für eine gewisse Zeit, aber ich wusste immer, dass es vorbei geht. Die Zeit an der Uni ist unvergleichlich und war sehr schön, aber die wenigsten meiner Bekannten von dort werden mich in den nächsten Jahren weiter begleiten.

Und weil ich so bin, überrascht es mich sehr, dass ich Violet einfach alles von mir erzählen will. Ohne nachzudenken, würde ich ihr alle meine Schwächen nennen, meine Ängste mit ihr Teilen und hätte nicht den Hauch einer Sorge, dass sie das jemals gegen mich verwendet oder weitererzählt. Ich kann und will mir einfach nicht vorstellen, dass sie so etwas tun würde. Ich fühle mich ihr irgendwie verbunden, auf eine Art und Weise, die ich nicht in Worte fassen kann.

>Ash?< Fragend sehe ich zu Anton, welcher mich belustigt mustert. >Wenn du die ganze Zeit an sie denkst, solltest du vielleicht auch zu ihr gehen und mich nicht noch tiefer in den Wald locken.< Tatsächlich dürften wir schon ein paar Kilometer in den Wald hineingelaufen sein und sollten auch zurück gehen, bevor es dunkel wird.

>Tut mir leid.< Er winkt ab, dabei ist es tatsächlich nicht in Ordnung mit ihm unterwegs zu sein, ihm aber keine Aufmerksamkeit zu schenken. An Violet denke ich immerhin die meiste Zeit, bin aber jetzt mit Anton unterwegs, also sollte ich mich auch auf ihn konzentrieren. 

Zu 0,05% schwangerWo Geschichten leben. Entdecke jetzt